Was bisher geschah - Worum geht es?
Mit Schreiben vom 08.07.2021 hat das BMF auf die Rechtsprechung des EuGH (Rechtssache IO, Urteil vom 13.06.2019, C-420/18) und BFH (Urteil vom 27.09.2019, Az. V R 23/19) reagiert und seine Auffassung zur Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern umfassend geändert (siehe dazu bereits unseren Umsatzsteuer-Newsletter vom 22.07.2021).
Zuvor war das BMF davon ausgegangen, dass ein Mitglied eines Aufsichtsrats seine Tätigkeit grundsätzlich selbständig ausübt und damit Unternehmer ist. Nach den geänderten Rechtsprechungs- und Verwaltungsgrundsätzen ist demgegenüber eine selbständige Tätigkeit des Aufsichtsratsmitgliedes nur dann anzunehmen, wenn das Mitglied ein Vergütungsrisiko trägt. Bei reinen Festvergütungen ist das Aufsichtsratsmitglied fortan unselbständig tätig. Besteht die Vergütung hingegen aus festen und variablen Vergütungsbestandteilen, ist von einer wurde mit dem BMF-Schreiben eine 10%-Grenze implementiert. Danach ist dann von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen, wenn der variable Vergütungsanteil über 10 % der Gesamtvergütung liegt.
Die Regelungen des Schreibens vom 08.07.2021 waren in allen offenen Fällen anzuwenden. Zur Vermeidung von Übergangsproblemen wurde jedoch eine Nichtbeanstandungsregelung aufgenommen. Danach wurde es nicht beanstandet, wenn für bis einschließlich 31.12.2021 erbrachte Leistungen die bisher geltenden Grundsätze angewendet wurden. Im Zusammenhang mit dieser Übergangsregelung wurde in der Fachwelt diskutiert, auf welchen Zeitpunkt für die Bestimmung des Leistungszeitpunkts der Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder abzustellen ist. Denn nach der bislang geltenden herrschenden Meinung waren Vergütungen das Geschäftsjahr 2021 betreffend (sofern dies dem Kalenderjahr entspricht) nicht mehr von der Nichtbeanstandungsregelung gedeckt.
Kernaussagen des vorliegenden BMF-Schreibens
Zum Leistungszeitpunkt der Aufsichtsratstätigkeit sowie zur Bestimmung des variablen Vergütungsanteils bei sog. Mischvergütungen nimmt das BMF nun mit Schreiben vom 29.03.2022 Stellung (Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern; Klärung weiterer Fragen zum BMF-Schreiben vom 08.07.2021).
1. Kernaussage: Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung zum Leistungszeitpunkt
Bislang ging das BMF davon aus, dass Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Leistungen umsatzsteuerrechtlich in der Regel erst mit Abschluss der Hauptversammlung erbringen. Hintergrund war, dass nach bisheriger Auffassung der Finanzverwaltung das Mitglied des Aufsichtsrats zum Ende eines Geschäftsjahres erst einen Teil der ihm auferlegten Aufgaben erledigt haben konnte (vgl. BMF-Schreiben vom 15.09.1980). Mit Schreiben vom 29.03.2007 wurde dieses BMF-Schreiben zwar formell aufgehoben, dies beruhte aber allein auf verwaltungsökonomischen Gründen und bedeutete keine Aufgabe der bisherigen Rechtsauffassung.
Mit dem nun vorliegenden BMF-Schreiben hält das BMF ausdrücklich nicht länger an dieser Rechtsauffassung fest. Vielmehr soll nunmehr maßgeblicher Leistungszeitpunkt für die allgemeine Tätigkeit des Aufsichtsratsmitglieds der Ablauf des Geschäftsjahres der Gesellschaft sein (vgl. A 2.2. Abs. 3a Satz 8 UStAE NEU).
Erhält das Aufsichtsratsmitglied teilnahmeabhängige Sitzungsgelder und Auslagenersatz, werden zudem vorgelagerte Teilleistungszeiträume fingiert. Denn fortan soll der maßgebliche Leistungszeitpunkt der Sitzungstag sein (vgl. A 2.2. Abs. 3a Satz 9 UStAE NEU).
Gleichzeitig implementiert das BMF im Hinblick auf die geänderte Sichtweise zum Leistungszeitpunkt eine Nichtbeanstandungsregelung. Danach wird es für Geschäftsjahre der Gesellschaft, die vor dem 01.01.2022 enden, nicht beanstandet, wenn als Leistungszeitpunkt für die allgemeine Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats die Teilnahme an der Hauptversammlung mit dem Ziel der Entlastung zu Grunde gelegt wird.
Hinweis: Die bisherige Verwaltungsauffassung orientierte sich an dem Grundsatz, dass eine Leistung erst dann erbracht ist, wenn sie vollendet ist. Da zu den Kernaufgaben des Aufsichtsratsgremiums u. a. die Vorbereitung der Hauptversammlung gehört, konnte die Leistung erst zu diesem Zeitpunkt erbracht werden. Zudem lehnte die Finanzverwaltung mangels Teilbarkeit der Leistung das Vorliegen von Teilleistungen ab.
Über das nun vorliegende BMF-Schreiben fingiert die Finanzverwaltung etwaige vorgelagerte Leistungszeitpunkte. Soweit Sitzungsgelder ausbezahlt werden, die häufig erst zur Annahme einer unternehmerischen Leistung der Mitglieder des Gremiums führen, werden zudem Teilleistungen fingiert. Ob diese geänderte Verwaltungsauffassung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde, wird sich in Zukunft zeigen.
Was bedeutet das konkret in der Praxis?
Vergütungen das Geschäftsjahr 2021 (mit Geschäftsjahresende vor dem 01.01.2022) betreffend:
- Für die umsatzsteuerliche Beurteilung der Tätigkeiten von Aufsichtsräten ist nunmehr die Nichtbeanstandungsregelung gemäß BMF-Schreiben vom 08.07.2021 anwendbar. D.h. Aufsichtsratsmitglieder können unabhängig vom Vorliegen variabler Vergütungsbestandteile für ihre Tätigkeiten als Unternehmer behandelt werden und den Gesellschaften steht aus entsprechenden Abrechnungen über die Aufsichtsratstätigkeit der Vorsteuerabzug zu.
- Ist man hingegen mangels variabler Vergütung oder variabler Vergütungsbestandteile bereits für die Aufsichtsratsleistungen das Geschäftsjahr 2021 betreffend von der nicht unternehmerischen Tätigkeit des Aufsichtsrates ausgegangen, besteht kein Handlungsbedarf, denn die durch das BMF aufgestellten Grundsätze sind grundsätzlich in allen offenen Fällen anzuwenden.
Vergütungen der Geschäftsjahre 2022 ff. (mit Geschäftsjahresende nach dem 01.01.2022) betreffend:
Zu beachten ist, dass die nachstehenden Ausführungen nur für die Fälle gelten, in denen das Aufsichtsratsmitglied aufgrund der Vergütungsstruktur als selbständig zu qualifizieren ist. Im Falle der Nichtselbständigkeit hingegen fehlt es bereits an einer unternehmerischen Tätigkeit, so dass es auf die Frage des Leistungszeitpunktes mangels Leistung im umsatzsteuerlichen Sinne nicht ankommt.
- Sofern die Vergütung im laufenden Geschäftsjahr ausbezahlt wird, dürfte die geänderte Rechtsauffassung regelmäßig zu keinen Änderungen der umsatzsteuerlichen Behandlung führen. Für allgemeine Vergütungsbestandteile, mit Ausnahme der teilnahmeabhängigen Sitzungsgelder, bleibt es bei der Umsatzversteuerung nach Anzahlungsgrundsätzen. Sowohl die Umsatzsteuer des Aufsichtsrates als auch das Vorsteuerabzugsrecht der Gesellschaft entstehen erst in der Voranmeldungsperiode der Auszahlung des Vergütungsbestandteils.
- Vorsicht ist jedoch bei teilnahmeabhängigen Sitzungsgeldern geboten, wenn das Mitglied des Aufsichtsratsgremiums seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuert. In diesem Fall entsteht die Umsatzsteuer bereits mit Ablauf der Voranmeldungsperiode, in der die jeweilige Sitzung stattgefunden hat. Prozessseitig ist daher eine zeitnahe Abrechnung des Sitzungsgeldes und eines möglichen Auslagenersatzes sicherzustellen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Abrechnung nicht durch das Aufsichtsratsmitglied, sondern durch die Gesellschaft im sog. Gutschriftenverfahren erfolgt. Hierauf sollten betroffene Aufsichtsräte hingewiesen und gemeinsam ein Prozess implementiert werden, der eine Versteuerung nach den neuen Verwaltungsgrundsätzen ermöglicht.
- Versteuert das Aufsichtsratsmitglied seine Umsätze hingegen nach vereinnahmten Entgelten (sog. Ist-Versteuerung), entsteht die Umsatzsteuer erst mit Vereinnahmung der Entgelte. Insofern besteht prozessseitig trotz geänderter Verwaltungsauffassung kein unmittelbarer Handlungsbedarf.
- Problematisch im Lichte der geänderten Verwaltungsauffassung dürfte zukünftig auch die Abwicklung der Fälle sein, in denen Aufsichtsratsmitglieder im Quartal beispielsweise neben der anteiligen Auszahlung des fixen Vergütungsbestandteils auch Sitzungsgelder ausbezahlt bekommen. Während für erstere Anzahlungsgrundsätze gelten dürften, würden die Sitzungsgelder aufgrund des fiktiven Leistungszeitpunktes zu einer vorgelagerten Umsatzversteuerung führen. Zur Vermeidung von Qualifikationskonflikten und weiteren Fragestellungen (bspw. der korrekten Rechnungsstellung) sollten zukünftig getrennte Abrechnungsdokumente erteilt werden.
- Zu beachten ist, dass diese Grundsätze bereits für laufende Vergütungen das aktuelle Geschäftsjahr betreffend zu berücksichtigen sind. Das vorliegende BMF-Schreiben sollte also genutzt werden, möglichen Handlungsbedarf zu eruieren und zeitnah in die Abstimmung mit betroffenen Aufsichtsräten zu gehen.
- Darüber hinaus sind Auswirkungen im Hinblick auf nachgelagerte Vergütungsbestandteile das abgelaufene Geschäftsjahr betreffend denkbar. Werden diese erst nach Ablauf des Geschäftsjahres für das vorangegangene Geschäftsjahr ausgezahlt, kann dies aufgrund der fiktiven Vorverlagerung des Leistungszeitpunktes dazu führen, dass die Umsatzsteuer fortan auf den Abschluss des Geschäftsjahres zu schätzen und durch das Aufsichtsratsmitglied abzuführen ist. Erleichterungen können sich wiederum nur bei sog. Ist-Versteuerern ergeben, denn dann ist für die Entstehung der Umsatzsteuer die Vereinnahmung der Vergütung und nicht der Leistungszeitpunkt maßgeblich.
2. Kernaussage: Einzelheiten zur Beurteilung von Mischvergütungen
Darüber hinaus greift das BMF Zweifelsfragen zur Berücksichtigung der variablen Vergütungsbestandteile für die Beurteilung der selbständigen Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder auf:
- Bei der Prüfung der 10 %-Grenze sind grundsätzlich alle Vergütungsbestandteile zu berücksichtigen, die für die Leistungen gezahlt werden, die in dem betreffenden Geschäftsjahr der Gesellschaft ausgeführt werden (vgl. A 2.2. Abs. 3a Satz 7 UStAE NEU).
- Zu berücksichtigen sind grundsätzlich alle Vergütungsbestandteile, die dem Aufsichtsratsmitglied generell für seine Leistungen das Geschäftsjahr betreffend ausbezahlt werden können (vgl. A 2.2. Abs. 3a Satz 10 UStAE NEU). Für die Beurteilung, ob die Tätigkeit selbständig ausgeübt wird, sind also auch die Sitzungsgelder als variable Vergütungskomponente zu berücksichtigen, die mangels Teilnahme tatsächlich nicht zur Auszahlung kommen.
- Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der 10%-Grenze soll der Beginn des Geschäftsjahres sein und nachträgliche Änderungen sollen dementsprechend unberücksichtigt bleiben (vgl. A 2.2. Abs. 3a Satz 11 UStAE NEU).
Hinweis: Diese Klarstellung durch die Finanzverwaltung ist grundsätzlich zu begrüßen und unseres Erachtens sachgerecht, da hierüber unterjährige Statusänderungen im Hinblick auf die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds vermieden werden können. Anderenfalls könnte abhängig von der tatsächlichen Teilnahme und Auszahlung der variablen Vergütungsbestandteile die Tätigkeit nachträglich als nicht unternehmerisch zu qualifizieren sein.
Was bedeutet das konkret in der Praxis?
- Problematisch könnten jedoch die Fälle werden, in denen unterjährig nachträglich weitere Vergütungsbestandteile festgelegt werden, die zu einer Umqualifizierung der Aufsichtsratstätigkeit führen würden. Grundsätzlich entscheidet die Hauptversammlung über die Vergütungen der Mitglieder des Kontrollgremiums, so dass nachträgliche Änderungen der Vergütungsstruktur für das laufende Geschäftsjahr durchaus denkbar sind. Hauptversammlungen finden regelmäßig nicht zu Beginn eines Geschäftsjahres statt, so dass diese Vergütungskomponenten nach Auffassung der Finanzverwaltung fortan unberücksichtigt bleiben würden.
- Insofern gibt das BMF-Schreiben eine Richtung vor. Gleichwohl sollten sich, da es sich hierbei um eine reine Verwaltungsauffassung handelt, die Gesellschaft und die betroffenen Aufsichtsratsmitglieder insbesondere bei der nachträglichen Vereinbarung hoher variabler Vergütungskomponenten oder dem unterjährigen Wegfall selbiger hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise ins Vernehmen setzen.
Was ist jetzt zu beachten?
Aufgrund der Annahme der Finanzverwaltung zu den unterschiedlichen Leistungszeitpunkten für die Erbringung der Leistung von Aufsichtsratsmitgliedern (Ablauf des Geschäftsjahres der Gesellschaft sowie Termine der Aufsichtsratssitzung) und der Klarstellungen zur 10 %-Grenze, sollten die umsatzsteuerlichen Auswirkungen folgender Umstände im Lichte der neuen Verwaltungsauffassung geprüft werden:
- Enthalten die Aufsichtsratsvergütungen für 2022 variable Vergütungsbestandteile? Wie hoch ist deren Anteil?
- Lagen die Vereinbarungen zu variablen Vergütungen bereits zu Beginn des Geschäftsjahres vor?
- Zu welchem Zeitpunkt werden die einzelnen Vergütungsbestandteile an die Aufsichtsräte ausgezahlt? Werden teilnahmeabhängige Sitzungsgelder ausbezahlt? Erhält das Aufsichtsratsmitglied auch Auslagenersatz?
- Versteuern die betroffenen, also unternehmerisch tätigen, Aufsichtsratsmitglieder ihre Umsätze nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten?
- Werden nach Geschäftsjahresende noch Auszahlungen getätigt?
- Nach der Hautversammlung: Haben sich aufgrund der Hauptversammlung nachträgliche oder werden sich zukünftig Änderungen an der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder ergeben?
- Gibt es Vergütungsprogramme für Aufsichtsratsmitglieder, die zu Auszahlungen in verschiedenen Perioden führen?
Sprechen Sie uns gerne an, sofern Sie die neue Verlautbarung des BMF zum Anlass nehmen möchten, die umsatzsteuerliche Behandlung der Aufsichtsratsvergütungen in Ihrem Unternehmen einer Überprüfung zu unterziehen und Ihren konkreten Handlungsbedarf zu ermitteln.