Der Entwurf enthält – wie im Folgenden dargestellt – eine erhebliche Verschärfung der bisherigen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung i. S. d. § 6 AStG. Die neuen Regelungen sollen wohl rückwirkend zum 1.1.2020 Anwendung finden.
Grundsätzliches zur Wegzugsbesteuerung i. S. d. § 6 AStG
Die Wegzugsbesteuerung i. S. d. § 6 AStG soll die Besteuerung der im Inland entstandenen Wertsteigerungen (stille Reserven) von Kapitalgesellschaftsanteilen i. S. d. § 17 EStG sicherstellen (sog. Entstrickungsbesteuerung). Unter § 17 EStG fallen ausschließlich im Privatvermögen gehaltene Kapitalgesellschaftsanteile, die i. d. R. einer Beteiligung i. H. v. mindestens 1 % des Nennkapitals entsprechen. Werden die Anteile in einem Betriebsvermögen gehalten oder handelt es sich um einbringungsgeborene Anteile i. S. d. § 21 UmwStG 1995, gelten hingegen andere Entstrickungsnormen (§ 4 Abs. 1 S. 3 EStG oder § 27 Abs. 3 Nr. 3 UmwStG).
§ 6 Abs. 1 AStG fingiert im Wegzugsfall eine Veräußerung der Anteile und führt damit eine Realisation der stillen Reserven herbei, die grundsätzlich zu 60 % steuerpflichtig ist (Teileinkünfteverfahren). Wertminderungen (stille Lasten) von im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteilen lassen sich durch bloßen Wegzug steuerlich hingegen nicht realisieren.
Erweiterter Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung
Der aktuelle Entwurf des ATADUmsG erweitert den persönlichen Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung erheblich. Danach genügt es für die Wegzugsbesteuerung in persönlicher Hinsicht bereits, wenn die einen der Wegzugstatbestände erfüllende Person innerhalb der letzten zwölf Jahre mindestens sieben Jahre in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. Für den sachlichen Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung sieht der Referentenentwurf – über eine Konkretisierung der Zeitpunkte der gesetzlichen Veräußerungsfiktionen hinaus – keine wesentlichen Änderungen vor.
Zum Teil erheblich verschärfte Rechtsfolgen der Wegzugsbesteuerung
Stundungsregelung
Als wesentlichste Änderung im Regime der Wegzugsbesteuerung sieht der Referentenwurf die Abschaffung der privilegierten Steuerstundung für EU-/EWR-Wegzugssachverhalte vor. Die Steuerstundung soll beim Wegzug in EU/EWR-Staaten nach denselben – aber nun neu gefassten – Regeln wie beim Wegzug in Drittstaaten erfolgen („One-Fits-All-Lösung“).
Die Neuregelung enthält im Vergleich zur bisherigen, nur für den Wegzug in Drittstaaten geltenden Regelung des § 6 Abs. 4 AStG einerseits gewisse Erleichterungen hinsichtlich des Stundungszeitraums und der Verzinsung: Der Steuerpflichtige soll – auf Antrag – die Steuerschuld statt bisher in fünf, nunmehr in sieben gleichen Jahresraten entrichten dürfen (§ 6 Abs. 4 S. 1 bis 3 AStG-E). Eine Verzinsung schließt der Referentenentwurf nun explizit aus (§ 6 Abs. 4 S. 4 AStG-E).
Andererseits ist nicht unproblematisch, dass nach dem Referentenentwurf von der Finanzbehörde im Gegenzug für die Stundungsgewährung „(…)in der Regel (…)“ eine Sicherheitsleistung gefordert werden soll (§ 6 Abs. 4 S. 2 AStG-E). Die Kosten für die Leistung von Sicherheiten treffen allein den Steuerpflichtigen (vgl. Abschnitt 1 S. 4 AEAO zu §§ 241 bis 248). Im Regelfall wird der Steuerpflichtige außer den gemäß § 6 AStG entstrickten Kapitalgesellschaftsanteilen über keine weiteren Wirtschaftsgüter verfügen, die dem Finanzamt ein hinreichendes Maß an Sicherheit für den entstandenen Steueranspruch bieten. Der Steuerpflichtige hat allerdings keinen Anspruch darauf, dass das Finanzamt die Anteile auch tatsächlich als Sicherheiten akzeptiert. Dies ist grundsätzlich eine Ermessensentscheidung (§ 245 S. 1 AO), bei der das Finanzamt auch die i. d. R. nicht leichte Verwertbarkeit der Anteile berücksichtigen muss (§ 245 S. 2 AO). Für den Steuerpflichtigen wird durch das grundsätzliche Besicherungserfordernis somit eine zusätzliche Hürde zur Inanspruchnahme der Stundungsregelung geschaffen.
Zudem wird der Katalog der Gründe für den Widerruf der Steuerstundung erheblich ausgeweitet und umfasst nunmehr jedwede Übertragung der besteuerten Kapitalgesellschaftsanteile (§ 6 Abs. 4 S. 6 AStG-E). Davon ausgenommen sind lediglich unentgeltliche Übertragungen von Todes wegen (§ 6 Abs. 4 S. 6 AStG-E). Nach dieser Neuregelung führt bspw. die bloße Schenkung der der Wegzugsbesteuerung unterworfenen Kapitalgesellschaftsanteile zur sofortigen Fälligkeit der geschuldeten Steuer. Ebenfalls stundungsschädlich soll nun auch grundsätzlich die Überschreitung eines Gesamtvolumen an Gewinnausschüttungen bzw. Einlagenrückgewähr i. H. v. 25 % des Wertes der Beteiligung im Wegzugszeitpunkt sein (§ 6 Abs. 4 S. 5 Nr. 5 AStG-E).
Neu geregelt ist auch, dass der Step-up der Anschaffungskosten der nach § 6 Abs. 1 AStG-E entstrickten Kapitalgesellschaftsanteile explizit von der tatsächlichen Zahlung der „Wegzugssteuer“ abhängig gemacht wird (§ 6 Abs. 1 S. 3 AStG-E).
Rückkehrreglung
Nach dem Referentenentwurf wird die Rückkehrfrist, innerhalb der der durch Wegzug begründete Steueranspruch rückwirkend erlischt, von bisher fünf auf nunmehr sieben Jahre ausgedehnt und kann auf Antrag auf insgesamt 12 Jahre (bisher zehn Jahre) verlängert werden (§ 6 Abs. 4 S. 1 u. 3 AStG-E). Laut Begründung des Entwurfs soll es auf die Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht oder auf berufliche Gründe nicht mehr ankommen. Genügen soll stattdessen bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Rückkehrabsicht. Es wird sich allerdings auch weiterhin empfehlen, die Rückkehrabsicht dem Finanzamt in gewisser Weise zu belegen.
Die Fassung des Referentenentwurfs öffnet die Rückkehrregelung nun explizit auch für Fälle der unentgeltlichen Übertragung der Kapitalgesellschaftsanteile von Todes wegen (§ 6 Abs. 3 S. 2 AStG-E). Im Falle der Schenkung der Anteile nach dem Wegzug bleibt die Rückkehrreglung wohl gesperrt, wofür allerdings kein triftiger Grund ersichtlich ist, soweit das deutsche Steuersubstrat gesichert bleibt. Als neuer Sperrgrund sollen auch Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähr gelten, die insgesamt ein Volumen i. H. v. 25 % des Werts der Anteile im Zeitpunkt des Wegzugs übersteigen (§ 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 AStG-E). Diese Neuregelung wird dem Steuerpflichtigen eine sorgfältige Liquiditätsbedarfs -und Ausschüttungsplanung abverlangen.
Rückkehrer können nach dem aktuellen Referentenentwurf ebenfalls gegen Leistung von Sicherheiten eine besondere Stundungsregelung in Anspruch nehmen. Sie haben die Option, während der siebenjährigen bzw. auf zwölf Jahre verlängerbaren Rückkehrfrist auf die Entrichtung von Teilbeträgen auf die geschuldete Steuer zu verzichten (§ 6 Abs. 4 S. 7 3. Hs. AStG-E). Wird die Rückkehrfrist jedoch nicht eingehalten, werden für die Dauer des ungerechtfertigten Zahlungsaufschubs Stundungszinsen nacherhoben (§ 6 Abs. 3 S. 8 AStG-E).
Tax Compliance
Nach dem Referentenentwurf werden parallel zur Stundungsregelung auch die Meldepflichten verallgemeinert und die Meldefrist verlängert. Bei Inanspruchnahme der Steuerstundung hat der Steuerpflichtige demnach die Pflicht, dem Finanzamt jährlich bis zum 31. Juli (zuvor 31. Januar) seine aktuelle Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die gemäß § 6 Abs. 1 AStG entstrickten Kapitalgesellschaftsanteile ihm oder seinem Rechtsnachfolger weiterhin zuzurechnen sind (§ 6 Abs. 5 S. 3 AStG-E).
Zeitliche Anwendung
Die neuen Regelungen zur Wegzugsbesteuerung sollen grundsätzlich erstmals für den Veranlagungszeitraum 2020 und damit rückwirkend zum 1.1.2020 gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 AStG-E). Von der rückwirkenden Änderung sind lediglich am 31.12.2019 noch laufende Stundungen i. S. d. § 6 Abs. 4 u. Abs. 5 AStG und Fristen i. S. d. § 6 Abs. 3 AStG ausgenommen (§ 20 Abs. 2 S. 1 AStG-E). Dem Wortlaut nach gelten die Neuregelungen zur Stundung auch bereits dann, wenn der Wegzugstatbestand vor dem 1.1.2020 verwirklicht wurde, aber die Stundung bisher noch nicht gewährt wurde. Der Wortlaut des ATAD-UmsG-Entwurfs hätte es dem Finanzamt grundsätzlich ermöglicht, durch Hinauszögern des Stundungsbescheids ins neue Jahr bspw. die privilegierte Stundungsreglung für EU/EWR-Wegzugssachverhalte (§ 6 Abs. 5 AStG) zu sperren.
Resümee
Abgesehen von punktuellen Erleichterungen im Bereich der Rückkehr- und der Stundungsregelung und bei der Meldefrist sieht der Referentenentwurf zum ATADUmsG sowohl auf der Tatbestandsebene als auch auf der Rechtsfolgenebene deutliche Verschärfungen im Vergleich zu den bisherigen Regelungen vor. Der Referentenentwurf des BMF steht somit im deutlichen Widerspruch zu der am 19.10.2019 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vorgestellten Mittelstandsstrategie, nach der die „immer relevanter [werdende]“ Wegzugsbesteuerung „an die Realitäten in mittelständischen Familienunternehmen“ angepasst werden soll.
Angesichts der jüngsten EuGH-Rechtsprechung zur Wegzugsbesteuerung i. S. d. AStG (EuGH, Urteil vom 26.2.2019, Rs. C-581/71, Martin Wächtler) dürfte die geplante Abschaffung der bisherigen unbefristeten und keine Leistung von Sicherheiten voraussetzenden Steuerstundung für Fälle des Wegzugs in EU-/EWR-Staaten europarechtlich jedoch kritisch sein. Es werden sich in Zukunft deutlich mehr Steuerpflichtige mit der Frage konfrontiert sehen, aus welchen Mitteln sie die „Wegzugssteuer“ begleichen sollen, wenn ihnen aus dem bloßen Wegzugssachverhalt keine Liquidität zufließt.
Für den Steuerpflichtigen bedeuten die Neuregelungen des Referentenentwurfs zur Wegzugsbesteuerung erhöhte Vorsicht bei der Gestaltung des Wegzugs und - falls sich die Wegzugsbesteuerung nicht vermeiden lässt - eine sorgfältige Ausschüttungs- und Liquiditätsplanung. Bei der grenzüberschreitenden Unternehmensnachfolge ist nach dem Wegzug zu beachten, dass der Gesetzesentwurf die lebzeitige Übertragung systematisch schlechter stellt als die Übertragung von Todes wegen.
Autor: Benedikt Rippert, Steuerberater und Manager bei Ebner Stolz in Frankfurt a. M. ( benedikt.rippert@ebnerstolz.de, +49 69 450907-106)