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Steuerberatung

Nichtigkeit eines Schätzungsbescheids: Nachträgliche Wahl der Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG

BFH v. 21.8.2019 - X R 16/17

Der An­trag auf Ein­be­zie­hung der Ka­pi­tal­erträge in die Ein­kom­men­steu­er­ver­an­la­gung nach § 32d Abs. 4 EStG (sog. An­trags­ver­an­la­gung) stellt ein un­be­fris­te­tes Ver­an­la­gungs­wahl­recht dar. Der An­trag kann zeit­lich auch nach der Ab­gabe der Ein­kom­men­steu­er­erklärung ge­stellt wer­den, so­fern die Steu­er­fest­set­zung zu die­sem Zeit­punkt ver­fah­rens­recht­lich noch änder­bar ist.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger sind Ehe­leute, die im Streit­jahr 2009 zu­sam­men zur Ein­kom­men­steuer ver­an­lagt wur­den. Die Kläge­rin war seit dem Jahr 2000 als Hun­de­aus­bil­de­rin ge­werb­lich tätig und erklärte hier­aus für die Jahre 2000 bis 2005 bei Umsätzen zwi­schen rd. 10.700 € (2002) und 13.500 € (2003 und 2005) Einkünfte zwi­schen - 1.500 € (2002) und 4.800 € (2005). Um­satz­steu­er­erklärun­gen gab die Kläge­rin zu kei­nem Zeit­punkt ab. Der Kläger war Ar­beit­neh­mer und er­zielte auch Ein­nah­men aus ei­ner (ty­pi­sch) stil­len Be­tei­li­gung. Man­gels Ab­gabe von Ein­kom­men­steu­er­erklärun­gen für die Vor-Streit­jahre 2006 bis 2008 schätzte das Fi­nanz­amt Ge­winne der Kläge­rin von 10.000 € (2006), 12.000 € (2007) und 14.000 € (2008). Für das Streit­jahr schätzte es aus dem sel­ben Grunde einen Ge­winn der Kläge­rin i.H.v. 16.000 €. Die Einkünfte des Klägers aus nicht­selbständi­ger Ar­beit setzte das Fi­nanz­amt ent­spre­chend den elek­tro­ni­sch über­mit­tel­ten Da­ten an. Einkünfte aus Ka­pi­tal­vermögen berück­sich­tigte es nicht. Die Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung wurde be­standskräftig.

Im Jahr 2015 reich­ten die Kläger u.a. für das Streit­jahr eine Steu­er­erklärung so­wie eine Auf­stel­lung über bis­her nicht berück­sich­tigte Einkünfte aus Ka­pi­tal­vermögen ein. Die Ein­nah­men-Über­schuss­rech­nung der Kläge­rin wies einen Ge­winn von rd. 6.700 € aus. Die nach­erklärten Ka­pi­tal­erträge be­tru­gen ins­ge­samt rd. 22.000 €. Auf den An­la­gen KAP stell­ten sie (ausdrück­lich) einen An­trag auf Güns­ti­gerprüfung für sämt­li­che Ka­pi­tal­erträge. Ein Spa­rer-Pausch­be­trag sei (bis­lang) nicht in An­spruch ge­nom­men wor­den. Die Kläger be­an­trag­ten die An­rech­nung von Ka­pi­tal­er­trag­steuer von ins­ge­samt rd. 5.400 € nebst dem dar­auf ent­fal­len­den So­li­da­ritätszu­schlag von 300 €. Bei den Einkünf­ten aus nicht­selbständi­ger Ar­beit mach­ten sie Auf­wen­dun­gen für Fahr­ten zwi­schen Woh­nung und Ar­beitsstätte als Wer­bungs­kos­ten gel­tend.

Die von den Klägern gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO be­an­tragte Ände­rung der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung für das Streit­jahr lehnte das Fi­nanz­amt ab. Ein An­trag auf Güns­ti­gerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG sei auf­grund der Be­stands­kraft der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung nicht mehr möglich, die von den Klägern be­gehrte Ände­rung eine sol­che nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das Ein­spruchs­ver­fah­ren, in wel­chem die Kläger erst­mals die Nich­tig­keit der Schätzung des Fi­nanz­amts gel­tend mach­ten und ausdrück­lich erklärten, kei­nen An­trag auf Güns­ti­gerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG ge­stellt zu ha­ben, son­dern (wei­ter­hin) die An­wen­dung des Ab­gel­tungs­steu­er­sat­zes von 25 % für die Ka­pi­tal­einkünfte nach § 32d Abs. 4 EStG zu ver­lan­gen, blieb er­folg­los.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Die Re­vi­sion der Kläger hatte vor dem BFH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Der Schätzungs­be­scheid ist nicht nich­tig. Die Ände­rung die­ses Steu­er­be­schei­des ist aus ver­fah­rens­recht­li­chen Gründen nicht möglich.

Gem. § 32d Abs. 4 EStG kann der Steu­er­pflich­tige mit der Ein­kom­men­steuer für Ka­pi­tal­erträge, die der Ka­pi­tal­er­trag­steuer un­ter­le­gen ha­ben, eine Steu­er­fest­set­zung ent­spre­chend § 32d Abs. 3 Satz 2 EStG be­an­tra­gen. Die Norm nennt, al­ler­dings nicht ab­schließend, Fälle, in de­nen dies sinn­voll er­scheint, weil beim Ka­pi­tal­er­trag­steu­er­ab­zug die dort ge­nann­ten Umstände (etwa der nicht vollständig aus­ge­schöpfte Spa­rer-Pausch­be­trag) nicht berück­sich­tigt wor­den sind. Trotz der Ein­be­zie­hung der Einkünfte aus Ka­pi­tal­vermögen in die Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung bleibt es bei der An­wen­dung des ge­son­der­ten Ta­rifs.

Wie im Fall des § 32d Abs. 6 EStG ord­net das Ge­setz da­bei für die An­trags­ver­an­la­gung aus § 32d Abs. 4 EStG eine Ge­samt­be­trach­tung an, die auch hin­sicht­lich der Frage, ob die nachträglich be­kannt ge­wor­dene Tat­sa­che der Er­zie­lung von Ka­pi­tal­einkünf­ten nach § 173 Abs. 1 AO zu ei­ner höheren (Nr. 1) oder nied­ri­ge­ren Steuer (Nr. 2) führt, berück­sich­tigt wer­den muss. Auf­grund der Be­son­der­hei­ten, die mit der Einführung des ge­son­der­ten Ta­rifs für Ka­pi­tal­einkünfte nach § 32d Abs. 1 EStG ver­bun­den sind, ist da­her in den Ver­gleich nicht nur die fest­ge­setzte Ein­kom­men­steuer, son­dern auch die durch den Ab­zug vom Ka­pi­tal­er­trag nach § 43 Abs. 5 EStG ab­ge­gol­tene Ein­kom­men­steuer ein­zu­be­zie­hen.

Die An­trags­ver­an­la­gung nach § 32d Abs. 4 EStG führt so­mit ent­we­der zu ei­ner Berück­sich­ti­gung ge­nau des bis­lang nach § 43 Abs. 5 EStG ab­ge­gol­te­nen Ein­kom­men­steu­er­be­trags. In die­sem Fall liegt we­der eine Steu­er­min­de­rung noch eine -erhöhung vor. § 173 Abs. 1 AO ist nicht an­wend­bar. In den übri­gen Fällen - wie im Streit­fall auf­grund des nach An­ga­ben der Kläger bis­lang nicht berück­sich­tig­ten Spa­rer- Pausch­be­tra­ges - löst die An­trags­ver­an­la­gung nach § 32d Abs. 4 EStG auf­grund der ge­bo­te­nen Ge­samt­be­trach­tung eine Steu­er­min­de­rung aus. Vor­aus­set­zung der Kor­rek­tur der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist, dass den Steu­er­pflich­ti­gen kein gro­bes Ver­schul­den daran trifft, dass dem Fi­nanz­amt die er­ziel­ten Ka­pi­tal­einkünfte erst nach der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung be­kannt ge­wor­den sind. Ein sol­ches Ver­schul­den liegt - wie im Streit­fall - je­doch be­reits dann vor, wenn der Steu­er­pflich­tige die Ein­spruchs­frist versäumt und es da­mit un­ter­las­sen hat, ent­schei­dungs­er­heb­li­che Tat­sa­chen - im Streit­fall die in der Ein­kom­men­steu­er­erklärung an­ge­ge­be­nen Beträge - in­ner­halb der Ein­spruchs­frist mit­zu­tei­len.

So­weit die Kläger vor­lie­gend durch die Ein­rei­chung der Ein­kom­men­steu­er­erklärung darüber hin­aus auch die Ände­rung der übri­gen ge­schätz­ten Be­steue­rungs­grund­la­gen zu ih­ren Guns­ten be­geh­ren, schied dies eben­falls auf­grund ih­res gro­ben Ver­schul­dens nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO aus. Wei­tere Ände­rungs­vor­schrif­ten wa­ren nicht er­kenn­bar. Dies gilt ins­be­son­dere für § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, da es am Vor­lie­gen ei­nes rück­wir­ken­den Er­eig­nis­ses fehlt. We­der die Vor­lage der Steu­er­be­schei­ni­gung noch der An­trag gem. § 32d Abs. 4 EStG sind rück­wir­kende Er­eig­nisse. Im Streit­fall la­gen die Vor­aus­set­zun­gen für eine Ausübung des Wahl­rechts nach § 32d Abs. 4 EStG be­reits vor Ein­tritt der Be­stands­kraft vor. Das Glei­che gilt in Be­zug auf die Steu­er­be­schei­ni­gun­gen.

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