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Niedersächsisches FG hält Solidaritätszuschlag weiterhin für verfassungswidrig

Niedersächsisches FG 21.8.2013, 7 K 143/08

Das Nie­dersäch­si­sche FG ist von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des So­li­da­ritätszu­schlag­ge­set­zes 1995 (SolZG) auch auf­grund neuer Ar­gu­mente wei­ter­hin über­zeugt. Es hielt des­halb eine wei­tere Vor­lage in der glei­chen Sa­che an das BVerfG für ge­bo­ten.

Der Sach­ver­halt:
Strei­tig ist, ob die Fest­set­zung des So­li­da­ritätszu­schlags für das Jahr 2007 auf ei­ner ver­fas­sungsmäßigen Grund­lage, nämlich dem SolZG, er­folgt ist. Das Fi­nanz­amt setzte mit Be­scheid über Ein­kom­men­steuer, Kir­chen­steuer und So­li­da­ritätszu­schlag von Juli 2008 den So­li­da­ritätszu­schlag für 2007 ge­genüber dem Kläger auf rd. 940 € fest (5,5 Pro­zent von der fest­zu­set­zen­den Ein­kom­men­steuer). Ge­gen die­sen Be­scheid wen­det sich der Kläger mit sei­ner Klage. Nach sei­ner An­sicht darf der So­li­da­ritätszu­schlag, weil er eine Ergänzungs­ab­gabe ist, nur aus­nahms­weise und nicht auf Dauer er­ho­ben wer­den.

Das FG hatte in dem­sel­ben Kla­ge­ver­fah­ren be­reits mit Be­schluss vom 25.11.2009 dem BVerfG die Rechts­frage vor­ge­legt, ob das SolZG ge­gen die Fi­nanz­ver­fas­sung und da­mit ge­gen das all­ge­meine Frei­heits­recht des Steu­er­pflich­ti­gen (Art. 2 Abs. 1 GG) verstößt. Das BVerfG erklärte diese Vor­lage mit Be­schluss vom 8.9.2010 (2 BvL 3/10) für un­zulässig, weil sie die Bin­dungs­wir­kung ei­ner Se­nats­ent­schei­dung des BVerfG aus dem Jahre 1972 zu ei­ner an­de­ren Ergänzungs­ab­gabe nicht hin­rei­chend be­ach­tet habe, so dass bis­lang noch keine in­halt­li­che ver­fas­sungs­recht­li­che Überprüfung des SolZG durch einen kom­plet­ten Se­nat des BVerfG vor­liegt.

Das FG ist von der Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des SolZG auch auf­grund neuer Ar­gu­mente wei­ter­hin über­zeugt und hielt des­halb eine wei­tere Vor­lage an das BVerfG für ge­bo­ten. Die neuen Ar­gu­mente be­zie­hen sich auf Art. 3 Abs. 1 GG, also auf das ver­fas­sungs­recht­li­che Ge­bot, dass vor dem Ge­setz alle Men­schen gleich zu be­han­deln sind. Nach Auf­fas­sung des FG ist der Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ver­letzt.

Die Gründe:
Die Re­ge­lung der Be­mes­sungs­grund­lage des So­li­da­ritätszu­schlags verstößt ge­gen den all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz des Art. 3 Abs. 1 GG. Inländi­sche und ausländi­sche Einkünfte so­wie inländi­sche Einkünfte un­ter­ein­an­der (ge­werb­li­che und nicht­ge­werb­li­che) wer­den un­gleich be­han­delt. So wer­den ge­werb­li­che und ausländi­sche Einkünfte durch be­stimmte Re­du­zie­run­gen der Be­mes­sungs­grund­la­gen von dem So­li­da­ritätszu­schlag teil­weise ent­las­tet (dazu §§ 35, 34c EStG und § 26 KStG). Für diese Un­gleich­be­hand­lun­gen feh­len hin­rei­chend tragfähige Recht­fer­ti­gungsgründe. Eine Begüns­ti­gung der ge­werb­li­chen Einkünfte bei der Er­he­bung des So­li­da­ritätszu­schlags ge­genüber nicht­ge­werb­li­chen Einkünf­ten war vom Ge­setz­ge­ber nicht be­ab­sich­tigt; aus­weis­lich der Ge­set­zes­begründung soll die Be­las­tung al­ler Steu­er­pflich­ti­gen ent­spre­chend ih­rer Leis­tungsfähig­keit er­fol­gen. Auf die Fest­stel­lun­gen des Bun­des­rech­nungs­hofs hat das BMF ein­geräumt, dass ausländi­sche Einkünfte der­zeit nur ein­ge­schränkt in die Be­rech­nung des So­li­da­ritätszu­schlags ein­be­zo­gen wer­den.

Nach den Rechts­grundsätzen des BVerfG zur Rechts­staat­lich­keit des Be­steue­rungs­ein­griffs des Staa­tes ge­genüber dem Bürger als Teil der ver­fas­sungsmäßigen Ord­nung i.S.d. Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und un­ter Be­ach­tung der Mo­tive des Ver­fas­sungs­ge­bers kann über­dies nicht begründet wer­den, dass der So­li­da­ritätszu­schlag nach dem SolZG 1995 noch eine zulässige Ergänzungs­ab­gabe i.S.d. Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist, mit der der Kläger auch im Streit­jahr 2007 noch be­las­tet wer­den darf. Die Ge­setz­ge­bungs- bzw. die Ge­setz­fortführungs­kom­pe­tenz für den So­li­da­ritätszu­schlag sind im Streit­jahr 2007 ent­fal­len. Das SolZG 1995 ver­letzt im Streit­jahr 2007 die Fi­nanz­ver­fas­sung und da­mit die ver­fas­sungsmäßige Ord­nung i.S.d. Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und verstößt mit­hin ge­gen das all­ge­meine Frei­heits­recht des Steu­er­pflich­ti­gen und ge­gen das Rechts­staats­prin­zip. Der Ge­setz­ge­ber hat sich nicht an die vom Ver­fas­sungs­ge­ber ge­setz­ten Re­geln der Fi­nanz­ver­fas­sung ge­hal­ten.

Der So­li­da­ritätszu­schlag darf als Ergänzungs­ab­gabe al­lein zur De­ckung vorüber­ge­hen­der Be­darfs­spit­zen im Bun­des­haus­halt er­ho­ben wer­den, weil sich die Ergänzungs­ab­gabe im Ver­gleich zu den sons­ti­gen Steu­ern, die in der Fi­nanz­ver­fas­sung auf­gezählt sind, wie die sel­tene Aus­nahme zur Re­gel verhält. Zwar muss eine Ergänzungs­ab­gabe nicht von vorn­her­ein be­fris­tet er­ho­ben wer­den, je­doch ver­bie­tet der Aus­nah­me­cha­rak­ter der Ergänzungs­ab­gabe eine dau­er­hafte, eine im­merwährende Er­he­bung die­ser Steuer. Dies er­gibt sich aus den Ge­set­zes­ma­te­ria­lien zur Einführung des Fi­nan­zie­rungs­in­stru­ments der Ergänzungs­ab­gabe in das Grund­ge­setz im Jahre 1955. Die Fortführung des So­li­da­ritätszu­schlags wi­der­spricht auch des­halb den er­kenn­ba­ren Vor­stel­lun­gen des Ver­fas­sungs­ge­bers, weil es in den letz­ten Jah­ren im­mer wie­der um­fas­sende und auf Dauer an­ge­legte all­ge­meine und punk­tu­elle Steu­er­ermäßigun­gen gab, ob­wohl der So­li­da­ritätszu­schlag weit­ge­hend un­verändert er­ho­ben wor­den ist. Der Bun­des­rat hat es im Jahr 1954 ausdrück­lich als nicht ver­tret­bar er­ach­tet, das Zu­schlags­recht (Ergänzungs­ab­gabe) im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Steu­er­ta­rif­sen­kung auszuüben und da­durch die steu­er­li­che Ent­las­tung zum Teil wie­der auf­zu­he­ben.

Der An­nahme ei­ner Bin­dungs­wir­kung für das vor­le­gende FG gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG steht die Un­ter­schied­lich­keit der Vor­la­ge­ge­genstände zwi­schen dem des vor­lie­gen­den Vor­la­ge­be­schlus­ses und dem der Ent­schei­dung des BVerfG vom 9.2.1972 (1 BvL 16/69) so­wie die Di­ver­genz zwi­schen den je­wei­li­gen ver­fas­sungs­recht­li­chen Maßstäben ent­ge­gen. So­weit mit dem vor­lie­gen­den Be­schluss eine Ver­let­zung des Gleich­heits­sat­zes nach Art. 3 Abs. 1 GG durch die Be­stim­mung der Be­mes­sungs­grund­lage nach § 3 SolZG gel­tend ge­macht wird, ist über­dies der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des BVerfG eine Bin­dungs­wir­kung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht zu ent­neh­men, da eine ver­fas­sungs­ge­richt­li­che Ent­schei­dung über die Ver­ein­bar­keit des § 3 SolZG (ein­schließlich ver­gleich­ba­rer Vorgänger­vor­schrif­ten früherer Ergänzungs­ab­ga­ben) mit Art. 3 Abs. 1 GG bis­lang nicht ge­trof­fen wor­den ist.

Link­hin­weis:

Für den in der Recht­spre­chungs­da­ten­bank der nie­dersäch­si­schen Jus­tiz veröff­ent­lich­ten Voll­text der Ent­schei­dung kli­cken Sie bitte hier.

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