In den letzten Jahren ist das DRG-System jedoch vermehrt in die Kritik geraten. Im Fokus steht eine seit Einführung des DRG-Systems zunehmend wahrgenommene „Ökonomisierung“ der Medizin, die Anreize für ein fehlindiziertes, wirtschaftliches Verhalten fördert sowie Anreize zur Kostensenkung, zur Mengenausweitung lukrativer Leistungen und zum Abbau von Pflegepersonal schafft.
Um im Rahmen der Einführung des DRG-Systems wirtschaftlich profitabel zu sein, haben Krankenhäuser in erster Linie die Reduzierung ihrer Kosten - insbesondere Personalkosten - und damit einen Stellenabbau forciert. Dies hat nicht nur gravierende Auswirkungen auf die Qualität der Patientenversorgung, sondern geht ferner mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Krankenhausbeschäftigten einher. Davon sind primär die Beschäftigten der Servicebereiche und im Pflegedienst betroffen.
Neben der Reduzierung der Zahl der Beschäftigten in den Servicebereichen sehen sich Mitarbeiter im hauswirtschaftlichen und technischen Bereich sowie in Wirtschafts- und Versorgungsdiensten mit Einkommenseinbußen konfrontiert. Dies ist in erster Linie dem Outsourcing sog. Sekundär- und Tertiärdienstleistungsbereiche geschuldet, in Verbindung mit einem für Beschäftigte geringeren durchschnittlichen Lohnniveau. Dies trägt hierüber zu einer Verstärkung bereits bestehender sozialer Ungleichheit bei.
Im Bereich des Pflegedienstes stellt - nach wie vor - der zunehmende Fachkräftemangel die größte Herausforderung dar. Um der chronischen Unterbesetzung und Arbeitsüberlastung der Mitarbeiter in der Pflege entgegenzuwirken, erfolgte im Jahr 2020 die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen. Hierbei wurde mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) beschlossen, die Pflegepersonalkosten für die unmittelbare Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen künftig unabhängig von den Fallpauschalen zu vergüten. Das von den Vertragsparteien zu vereinbarende Pflegebudget zur Finanzierung der Pflegepersonalkosten berücksichtigt die krankenhausindividuellen Pflegepersonalkosten und wird auf der Grundlage der geplanten und nachgewiesenen Pflegepersonalausstattung und der krankenhausindividuellen Kosten ermittelt.
Die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen behebt jedoch nicht das grundsätzliche Problem bzw. die systemimmanenten Fehlanreize des Fallpauschalen-Systems, die gemäß dem Gesundheitssystemforscher Prof. Dr. Simon in den Umverteilungsmechanismen des sog. gedeckelten Vergütungssystems begründet liegen.
Das DRG-System gilt als gedeckeltes Vergütungssystem, da eine Konstanthaltung des Case-Mix-Gesamtvolumens und damit des Gesamt-Erlösvolumens im Vordergrund steht. Nicht vereinbarte Mengenausweitungen werden finanziell sanktioniert und somit unterbunden („Mehrerlösausgleich“). Dieses Regulierungssystem dient der Kontrolle und Begrenzung der Gesamtausgaben und gewährleistet hierüber eine Beitragssatzstabilität in der GKV.
Bei einer Konstanthaltung des Gesamtvolumens der Bewertungsrelationen führen alle Veränderungen unterhalb des Gesamtvolumens zu Umverteilungsprozessen. Die Anhebung der Bewertungsrelation einer DRG ist bei einem konstant zu haltenden Gesamtvolumen nur möglich, wenn alle anderen DRG abgesenkt werden. Umgekehrt führt die Absenkung einer DRG automatisch zu einer Anhebung aller anderen DRG. Analog hierzu verhält es sich für einzelne Kostenbestandteile der DRG. Diese Umverteilungsprozesse verantworten einen erheblichen Anteil von Erlösdefiziten in Krankenhäusern, da sich in Abhängigkeit des Leistungsspektrums und der Neubewertung der DRG im Zuge der Überarbeitung des Fallpauschalenkatalogs Verschiebung ergeben können („Katalogeffekt“).
Von zentraler Bedeutung für die Umverteilungswirkungen des Fallpauschalen-Systems ist darüber hinaus die Kalkulation der Fallpauschalen auf Grundlage durchschnittlicher Ist-Kosten der InEK-Kalkulationskrankenhäuser. Hierbei spielen insbesondere zwei Kritikpunkte eine entscheidende Rolle: Erstens gilt es auf eine fehlende repräsentative Stichprobengröße von nur 250 bis 300 Krankenhäuser zu verweisen, wodurch dem Umstand einer systematischen Verzerrung der tatsächlichen Kostenverhältnisse Rechnung zu tragen ist. Zweitens bestraft das DRG-System bei einer Orientierung an den Ist-Kosten, qualitativ hochwertige Versorgung mit Verlustrisiken und belohnt mitunter unzureichende Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität mit Überschüssen, die dem jeweiligen Krankenhaus dauerhaft als Gewinn verbleiben. Krankenhäuser, deren individuelle Fallkosten dementsprechend oberhalb des Durchschnitts liegen, werden zu „Verlierern“ und Krankenhäuser, deren Fallkosten unter jenen des Durchschnitts liegen, werden zu „Gewinnern“. Die Realisierung von Gewinnen bzw. von Verlusten ist dementsprechend eng mit der Kalkulation der Fallpauschalen auf Grundlage durchschnittlicher Ist-Kosten verbunden. Insbesondere am Beispiel der Personalkosten lässt sich dieser Effekt verdeutlichen: Da ein Großteil der Krankenhauskosten auf die Personalkosten entfällt (ca. 60 %), spielt die Personalbesetzung eine entscheidende Rolle hinsichtlich der Über- oder Unterschreitung der Ist-Durchschnittskosten. In Abhängigkeit der Anzahl und der Qualifikation der Beschäftigten bestraft das DRG-System auf diese Weise eine überdurchschnittlich gute Personalbesetzung mit Verlusten und belohnt eine Unterbesetzung mit Gewinnen.
Aus den zuvor erläuterten Aspekten lässt sich zusammenfassend festhalten, dass eine Fortführung des DRG-Systems aufgrund der Dysfunktionalität der Fallpauschalen durch Fehlanreize der Kostensenkungslogik ohne eine systematische Berücksichtigung der Behandlungsqualität sowie intransparenter, rational nicht begründeter Umverteilungseffekte nicht vertretbar ist. Ferner lassen sich die vielfach diskutierten unzureichenden Investitionsmittel der Länder, der zunehmende Fachkräftemangel sowie die fehlende Vorhaltung einer bedarfsgerechten Versorgungsstruktur als Ineffizienzen des DRG-Systems anführen.
Aus diesen Gründen wird seit Mitte 2019 seitens der Politik und Interessensvertretern des Gesundheitswesens über Möglichkeiten einer grundlegenden Reform des DRG-Systems diskutiert. Ziel muss die Schaffung eines transparenten, hinreichend flexiblen Vergütungssystem sein, das bestehende Fehlanreize abbaut und neue Anreize schafft, die insbesondere das Personal entlasten. Jedoch stellt sich die Frage nach möglichen alternativen Finanzierungsmöglichkeiten. Der bisherige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht kein schnelles Ende der DRG-Finanzierung der Krankenhäuser: „Eine Voraussetzung für ein anderes Finanzierungssystem, bei dem nicht das Geld der Leistung folgt, ist eine bedarfsgerechte Struktur. Die haben wir nicht.“ Somit bleibt die Schaffung entsprechender bedarfsgerechter Strukturen und die Umsetzung der Reform der Krankenhausfinanzierung eine zentrale Herausforderung für die kommende Legislaturperiode.