Was es mit diesem neuen Sanierungsinstrument auf sich hat und welche Zwecke damit verfolgt werden, darüber sprechen wir mit Herrn Prof. Dr. Christoph Thole, Professor am Institut für Verfahrensrecht und Insolvenzrecht der Universität zu Köln, sowie mit unseren Restrukturierungsexperten Jan Hendrik Groß, Rechtsanwalt und Partner bei Ebner Stolz in Köln, und Bernhard Steffan, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Partner bei Ebner Stolz in Stuttgart, der zugleich Vorsitzer des Fachausschusses für Sanierung und Insolvenz beim Institut der Wirtschaftsprüfer (FAS IDW) ist.
Eine Frage vorab an die Praktiker: Im Zuge der Corona-Pandemie hat die Bundesregierung die Insolvenzantragspflichten unter bestimmten Voraussetzungen ausgesetzt. Rückblickend betrachtet: War diese Maßnahme ein Fluch oder ein Segen für die Wirtschaft, Herr Steffan?
Bernhard Steffan: Durch die Suspendierung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.9.2020 hatten die Unternehmen Gelegenheit, die Insolvenz, insb. unter Inanspruchnahme der bereitzustellenden staatlichen Finanzierungshilfen, ggf. aber auch im Zuge von Sanierungs- oder Finanzierungsvereinbarungen abzuwenden. Ein weiteres Aussetzen der Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit hätte den Unternehmen keine zusätzlichen Handlungsspielräume verschafft. Die Rückkehr zur Antragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen ab 1.10.2020 war deshalb aus Gründen des Gläubigerschutzes und zum Schutz des Rechtsverkehrs wichtig.
Etwas anderes galt jedoch für Unternehmen, bei denen noch Liquidität vorhanden war und die aufgrund eines attraktiven Geschäftsmodells nach Corona noch Chancen haben, mit einer absehbaren Erholung des Marktes zu überleben, sei es durch eine zunehmende Innenfinanzierungskraft oder Bereitschaft von Investoren oder anderen Finanzierern, von außen Liquidität zuzuführen. Insoweit war die Verlängerung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung in einem zweiten Schritt bis zum 31.12.2020 auch eine sinnvolle Entscheidung.
Gleiches gilt für die Sonderregelung für überschuldete (nicht zahlungsunfähige) Unternehmen, für die die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags in einem neuen § 1 Abs. 3 CovInsAG bis zum 31.1.2021 ausgesetzt ist, soweit sie im November und Dezember 2020 Anträge auf Corona-Hilfen gestellt haben.
U. a. um die Folgen der Corona-Pandemie für einzelne Unternehmen abzumildern, gibt es nun den sog. präventiven Restrukturierungsrahmen. Was ist das Grundprinzip dieses präventiven Restrukturierungsrahmens und in welchen Fällen lohnt sich aus Ihrer Sicht eine Sanierung mit diesem Instrument?
Prof. Dr. Christoph Thole: Das Grundprinzip besteht einerseits darin, dass Gläubiger durch die Abstimmung über einen Restrukturierungsplan an ein bestimmtes Restrukturierungskonzept gebunden werden können, so dass sog. Akkordstörer eingefangen werden können. Andererseits ist es ein Kernelement des präventiven Rahmens, dass nicht das „volle Programm“ eines Insolvenzverfahrens erforderlich ist, sondern nur diejenigen Gläubigergruppen in das Verfahren eingebunden müssen, von denen Sanierungsbeiträge notwendig sind. Bestimmte Gläubigergruppen wie z. B. die Arbeitnehmer mit ihren offenen Forderungen dürfen auch gar nicht einbezogen werden.
Ob sich eine Sanierung lohnt, ist eine Frage des Einzelfalls und hängt von den konkreten Beteiligten, dem Restrukturierungsbedarf und den Krisenursachen ab. In bestimmten Fällen ist der präventive Rahmen sicher sinnvoll, insb. bei finanziellen Restrukturierungen, in anderen Fällen kann es auch weiterhin sachgerecht sein, eine Sanierung über ein Insolvenzverfahren/Eigenverwaltungsverfahren zu versuchen.
Wie beurteilt der Praktiker den Einsatz des präventiven Restrukturierungsrahmens? Wann lohnt sich dieses Instrument für ein in die Krise geratenes Unternehmen?
Jan Hendrik Groß: Aus Sicht der Praxis ist es sehr zu begrüßen, dass nun mit dem präventiven Restrukturierungrahmen ein weiteres Instrument zur Restrukturierung von Unternehmen zur Verfügung steht. Sinnvoller Anwendungsfall sind zu stark verschuldete Unternehmen mit einem tragfähigen Geschäftsmodell. Anders als in der freien Sanierung bedarf es im präventiven Restrukturierungsrahmen nicht der Einstimmigkeit aller betroffenen Gläubiger. Durch das Mehrheitsprinzip kann eine sinnvolle Restrukturierung auch gegen den Willen einzelner Gläubiger durchgesetzt werden.
Anders als noch im Regierungsentwurf sind allerdings Vertragsbeendigungsmöglichkeiten nicht Gesetz geworden. Sonderkündigungsrechte, etwa für Mietverträge, sieht der präventive Restrukturierungsrahmen nicht vor. Er ist somit kein Instrument der leistungswirtschaftlichen Sanierung. Will man leistungswirtschaftlich eingreifen, bleibt die Möglichkeit des Schutzschirmverfahrens bzw. des Eigenverwaltungsverfahrens.
Wenn sich ein Unternehmen dazu entscheidet, eine Restrukturierung mit diesem Instrument durchzuführen. Was kann dann in einem solchen präventiven Restrukturierungsplan alles geregelt werden?
Prof. Dr. Christoph Thole: Der Restrukturierungsplan kann inhaltlich recht flexibel ausgestaltet werden. Es können z. B. Forderungskürzungen vorgesehen werden, aber auch Covenants und ähnliche Klauseln in Konsortialverträgen können angepasst werden. Möglich sind auch gesellschaftsrechtliche Maßnahmen wie z. B. Kapitalerhöhungen.
Ziel des Präventiven Restrukturierungsrahmens ist, das Unternehmen zu sanieren. Das Gesetz spricht von der nachhaltigen Erreichung des Restrukturierungsziels. Was ist darunter zu verstehen und wie bewerten Sie dieses weich formulierte Ziel?
Prof. Dr. Christoph Thole: Die Nachhaltigkeit wird im Gesetz nicht konkret definiert. Der Gesetzgeber strebt insb. an, dass das Verfahren nicht genutzt werden soll, wenn absehbar ist, dass das Unternehmen unmittelbar nach Ende des Verfahrens und Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit gleich wieder insolvenzreif würde. Es muss aber wohl mehr erreicht werden als die Durchfinanzierung für 24 Monate, sondern die Restrukturierung muss auf längere Sicht erfolgreich sein und den Bestand des Unternehmens sichern. Aber die genauen Anforderungen werden wohl in der Rechtsprechung und Praxis noch entwickelt.
Dann fragen wir doch einmal die Praktiker. Welche Anforderungen wären aus Ihrer Sicht an die nachhaltige Erreichung des Restrukturierungsziels zu stellen? Sollten eventuell die Stellschrauben schon früher angesetzt werden?
Bernhard Steffan: Generell gilt, Vorsorgen ist besser als späteres Heilen. Ziel sollte deshalb sein, nachteilige Entwicklungen so frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern, dass die Refinanzierungsfähigkeit des Unternehmens und somit seine Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährdet wird. Dies gelingt jedoch nur, wenn sich das Unternehmen mit seiner Zukunft beschäftigt und über ein geeignetes, der Komplexität Rechnung tragendes, Planungsinstrumentarium verfügt. Ein Frühwarnsystem, wie in § 1 StaRUG gefordert, ist ohne Planung schlichtweg nicht vorstellbar.
Ergeben sich für Unternehmen Einschränkungen durch den präventiven Restrukturierungsrahmen, Herr Prof. Dr. Thole?
Prof. Dr. Christoph Thole: Einschränkungen durch den Rahmen ergeben sich in dem Sinne nicht, sondern der Rahmen eröffnet vielmehr im Gegenteil neue Sanierungsmöglichkeiten neben dem Insolvenzverfahren. Hat man dann das Restrukturierungsverfahren eingeleitet, bestehen natürlich im Gesetz im Einzelnen festgelegte Pflichten.
Können Sie uns kurz einen Überblick darüber verschaffen, welche Sanierungsmöglichkeiten nun insgesamt bestehen und in welcher Situation welche sinnvoll ist?
Jan Hendrik Groß: Zunächst gibt es die „freie Sanierung“. Hier verhandelt ein Unternehmen mit seinen Gläubigern und sonstigen Stakeholdern über die notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen. Der große Vorteil dieser Form der Sanierung ist es, dass sie flexibel ist und - idealerweise - still verläuft. Eine gerichtliche Einbeziehung findet nicht statt. Der Nachteil ist, dass die Gläubiger regelmäßig den Maßnahmen nur zustimmen, wenn alle mitmachen (Einstimmigkeitsprinzip). So kann ein dissentierender Gläubiger häufig die Sanierung zu Fall bringen. Für diese Fälle steht nun der präventive Restrukturierungsrahmen zur Verfügung.
Neben der freien Sanierung und dem präventiven Restrukturierungsrahmen stehen die insolvenzrechtlichen Sanierungsmöglichkeiten zur Verfügung. Diese sind förmliche Verfahren (unter Beteiligung des Gerichts), allen voran das Schutzschirmverfahren. In diesen Verfahren steht dem Unternehmen ein „Werkzeugkoffer“ zur leistungswirtschaftlichen Sanierung zur Verfügung. So können insb. belastende, langlaufende Verträge mit kurzer Kündigungsfrist beendet werden.
Es gibt also drei Sanierungswege, wenn man so will. Welcher Weg der richtig ist, hängt ganz entscheidend vom Einzelfall ab. In jeder Sanierung sollte man alle drei Wege beleuchten. Wichtig ist nur, dass sich das Unternehmen frühzeitig auf den Weg macht.
Gehen wir mal weg vom Unternehmen und hin zu den Geschäftsführern. Was bedeutet dieses Sanierungsinstrument bzw. die Reform des Insolvenzrechts für die Geschäftsführer - entstehen dadurch neue Haftungsrisiken bzw. erhöhen sich die bereits bestehenden?
Prof. Dr. Christoph Thole: Schon bisher waren Geschäftsführer nach allgemeinen Regeln verpflichtet, die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens fortlaufend zu überwachen und bei Bedarf rechtzeitig Sanierungsschritte einzuleiten und im schlimmsten Fall auch Insolvenzantrag zu stellen und ab Insolvenzreife keine Zahlungen mehr zu leisten. Die Pflicht, die Gläubigerinteressen zu wahren und die im Gesetz im Einzelnen normierten weiteren Pflichten zu erfüllen, wird nunmehr nochmals ausdrücklich für die Pflichten innerhalb des Rahmens aufgegriffen. Daneben ist praktisch bedeutsam, dass die Geschäftsleiterhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife jetzt in eine insolvenzrechtliche Regelung (§ 15b InsO) überführt und modifiziert wurde. Da werden auch einige Rechtsfragen aufgeworfen.
Und nun noch eine abschließende Bewertung: Ist die Reform des Insolvenzrechts insgesamt gelungen - bzw. wer sind die Gewinner und wer die Verlierer?
Bernhard Steffan: Die Reform ist gelungen, wenngleich sie für kleinere Unternehmen kaum anwendbar sein wird, weil zu komplex und somit zu teuer. Gewinner sind die mittleren und größeren Unternehmen, für sie gibt es nun eine weitere Handlungsoption für eine außergerichtliche Sanierung. Arbeitnehmer und der Pensionssicherungsverein sind nicht betroffen. Verlierer werden typische Akkordstörer sein, die sich bisher gegen eine Mehrheit von sanierungswilligen Gläubigern stellen und somit eine außergerichtliche Sanierung verhindern konnten.