Der Sachverhalt:
Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung. Der Kläger ist Vater einer im Jahr 2012 geborenen Tochter. Seit Mitte 2012 leben er und seine frühere Ehefrau, die Mutter seiner Tochter, dauernd getrennt. Im Streitjahr 2014 erzielte er einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. rd. 57.000 €. In seiner Einkommensteuererklärung gab er u.a. Aufwendungen i.H.v. rd. 21.000 € als außergewöhnliche Belastung an. Dabei handelte es sich um Krankheitskosten, Aufwendungen für Fahrten zu Ärzten sowie Prozesskosten.
Der Kläger führte demgegenüber aus, es handele sich um Prozesskosten, die im Rahmen von Verfahren zum Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) entstanden seien. Er führe diese Verfahren seit Mitte 2012, nachdem seine frühere Ehefrau die gemeinsame Tochter nach einer Urlaubsreise nicht nach Deutschland zurückgebracht, sondern in Südamerika behalten habe. Da er sehr an seiner Tochter hänge und den Kindesentzug nicht habe akzeptieren können, habe er den Rechtsweg beschreiten müssen.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat die vom Kläger geltend gemachten Prozesskosten zu Unrecht nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, denn die Aufwendungen sind nach § 33 Abs. 2 S. 4 EStG nicht vom Abzug ausgeschlossen.
Laut BFH-Rechtsprechung fehlt es zwar im Allgemeinen bei einem Zivilprozess an der Zwangsläufigkeit des die Zahlungspflicht der Prozesskosten auslösenden Ereignisses. Der BFH hat jedoch Ausnahmen von der mangelnden Zwangsläufigkeit erkannt, etwa wenn der Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existenziell wichtigen Bereich berührt und der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können Eine Ausnahme hielt der BFH etwa für gerechtfertigt, wenn die Streitigkeit einen Kernbereich menschlichen Lebens berührt, wie es beim Umgangsrecht der Eltern mit ihren Kindern der Fall ist. Die Verweigerung des Umgangs mit den eigenen Kindern könne zu einer tatsächlichen Zwangslage führen, die die Anrufung eines Gerichts unabweisbar mache.
Um einen solchen Fall, in dem der Kernbereich menschlichen Lebens berührt ist, handelt es sich vorliegend bei dem Rechtsstreit, den der Kläger nach der Entführung seiner Tochter durch die Kindesmutter in Südamerika wegen seines Umgangsrechts und der Rückführung der Tochter nach Deutschland führte.
Das FG gelangt für den Fall der dem Kläger entstandenen Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Umgangsrecht für seine von der Kindesmutter nach Südamerika entführte im Streitjahr rund zwei Jahre alte Tochter und deren Rückkehr nach Deutschland auf Grund einer gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Begriffs der Existenzgrundlage zu der Erkenntnis, dass ohne ein Umgangsrecht mit der Tochter und deren Rückführung nach Deutschland die (immaterielle) Existenzgrundlage des Klägers gefährdet wäre. Er folgt damit im Ergebnis den Stimmen in der Literatur, die die Betroffenheit des Kernbereichs menschlichen Lebens als Bedrohung der Existenzgrundlage begreifen.
Vorliegend führte der Kläger den Rechtsstreit nach dem HKÜ, um ein dringendes soziales Bedürfnis nach Liebe zu seinem Kind und Fürsorge für das Kind befriedigen zu können und zwar in einem "üblichen Rahmen", so wie es bei der überwiegenden Mehrzahl von Eltern üblich ist. Mit dem Rechtsstreit wollte der Kläger als Vater das Umgangsrecht für seine nach Südamerika entführte Tochter sowie deren Rückkehr nach Deutschland erreichen. Dieses dringende soziale Bedürfnis des Klägers als Vater eines minderjährigen Kindes war ohne den geführten Rechtsstreit und die dadurch bedingten Aufwendungen gefährdet.
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