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Rechtsberatung

Rechtsmitteleinlegung durch Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter

BGH v. 6.2.2019 - VII ZB 78/17

Für die zulässige Ein­le­gung ei­nes Rechts­mit­tels durch eine Ge­sell­schaft ohne ge­setz­li­chen Ver­tre­ter reicht es aus, wenn sie noch als pro­zessfähige Ge­sell­schaft einen Rechts­an­walt mit ih­rer Ver­tre­tung be­auf­tragt und Auf­trag zur Ein­le­gung des Recht­mit­tels er­teilt hat. Eine sol­che Voll­macht wird gem. § 86 ZPO durch den Ver­lust der Pro­zessfähig­keit des Voll­macht­ge­bers nicht berührt, und zwar un­abhängig da­von, ob diese Verände­rung vor oder nach dem Ein­tritt der Rechtshängig­keit statt­ge­fun­den hat. Ent­spre­chen­des gilt, wenn eine par­tei- und pro­zessfähige Han­dels­ge­sell­schaft eine Pro­kura er­teilt hat.

Der Sach­ver­halt:

Die kla­gende GmbH & Co. KG nimmt die Be­klagte, eine Kfz-Werk­statt, auf Er­stat­tung von Miet­wa­gen­kos­ten in An­spruch, die ihr in­folge ver­wei­ger­ter Her­aus­gabe ei­nes Lea­sing­fahr­zeugs anläss­lich ei­ner Re­pa­ra­tur ent­stan­den sind. Bei der Kläge­rin han­delte es sich um eine zwei­glied­rige Ge­sell­schaft, be­ste­hend aus ei­ner Kom­ple­mentär-GmbH, der M. Ver­wal­tungs­ge­sell­schaft mbH, und dem ein­zi­gen Kom­man­di­tis­ten K. M., der zu­gleich der ein­zige Ge­schäftsführer der Kom­ple­mentär-GmbH war. Die Kläge­rin er­teilte der Zeu­gin C. M. (im Fol­gen­den: Pro­ku­ris­tin) spätes­tens am 26.1.2009 Ein­zel­pro­kura. Am 17.6.2010 ver­st­arb K. M. Im Ok­to­ber 2010 wurde der Be­klag­ten der Auf­trag zur Re­pa­ra­tur des Lea­sing­fahr­zeugs er­teilt.

 

Die von Rechts­an­walt S. im Na­men der Kläge­rin er­ho­bene Klage wies das LG durch Ur­teil vom 10.10.2014 als un­begründet ab. Mit Schrift­satz vom 17.11.2014 legte Rechts­an­walt L. im Na­men der Kläge­rin Be­ru­fung ge­gen das Ur­teil des LG ein und begründete die Be­ru­fung so­dann frist­ge­recht. Die ihm von der Pro­ku­ris­tin er­teilte Pro­zess­voll­macht da­tiert vom 17.11.2014. Je­weils we­gen Vermögens­lo­sig­keit wur­den die Kom­ple­mentärin der Kläge­rin am 1.7.2015 und die Kläge­rin selbst am 9.12.2015 im Han­dels­re­gis­ter gelöscht. Nach einem Hin­weis des OLG auf Be­den­ken ge­gen die Pro­zessfähig­keit der Kläge­rin führte Rechts­an­walt L. aus, die al­lein­ver­tre­tungs­be­rech­tigte Pro­ku­ris­tin sei be­rech­tigt ge­we­sen, ihm Pro­zess­voll­macht zur Ein­le­gung der Be­ru­fung zu er­tei­len. Mit Be­schluss vom 22.9.2017 ver­warf das OLG die Be­ru­fung der Kläge­rin als un­zulässig.

 

Auf die Rechts­be­schwerde der Kläge­rin hob der BGH den Be­schluss des OLG auf und ver­wies die Sa­che zur er­neu­ten Ent­schei­dung dort­hin zurück.

 

Die Gründe:

Mit der vom OLG ge­ge­be­nen Begründung kann die Be­ru­fung der Kläge­rin nicht we­gen man­geln­der Pro­zessfähig­keit als un­zulässig ver­wor­fen wer­den.

 

Der Pro­ku­ris­tin war von der Kläge­rin Ein­zel­pro­kura zu einem Zeit­punkt er­teilt wor­den, als der Ge­schäftsführer der Kom­ple­mentär-GmbH noch nicht ver­stor­ben war. Fer­ner ist da­von aus­zu­ge­hen, dass auch die Kom­ple­mentär-GmbH je­den­falls bis zum Ende des Jah­res 2014 exis­tierte. Auf die­ser Grund­lage hat das OLG zwar im Aus­gangs­punkt zu­tref­fend an­ge­nom­men, dass die Kläge­rin im Zeit­punkt der Ein­le­gung der Be­ru­fung nicht ge­setz­lich ver­tre­ten und zu die­sem Zeit­punkt nicht pro­zessfähig war. Eine Ge­sell­schaft in der Rechts­form ei­ner GmbH & Co. KG wird gem. § 164 Abs. 1 Satz 1 HGB durch die Kom­ple­mentär-GmbH ver­tre­ten. Diese wie­derum wird nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG durch den oder die Ge­schäftsführer ge­richt­lich und außer­ge­richt­lich ver­tre­ten. Ver­liert die GmbH ih­ren (Al­lein-)Ge­schäftsführer und ge­setz­li­chen Ver­tre­ter - wie hier die Kom­ple­mentär-GmbH durch den Tod von K. M. am 17.6.2010 - wird sie führungs­los i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Das hat zur Folge, dass die GmbH ihre Pro­zessfähig­keit ver­liert. Für eine GmbH & Co. KG, de­ren Kom­ple­mentär-GmbH führungs­los wird, gilt Ent­spre­chen­des.

 

Dies führt je­doch nicht zur Un­zulässig­keit der Be­ru­fung, weil die Pro­ku­ris­tin eine Pro­zess­voll­macht zur Ein­le­gung der Be­ru­fung wirk­sam auch noch zu einem Zeit­punkt er­tei­len konnte, als die Kläge­rin führungs­los war. Für die zulässige Ein­le­gung ei­nes Rechts­mit­tels durch eine Ge­sell­schaft ohne ge­setz­li­chen Ver­tre­ter reicht es aus, wenn sie noch als pro­zessfähige Ge­sell­schaft einen Rechts­an­walt mit ih­rer Ver­tre­tung be­auf­tragt und Auf­trag zur Ein­le­gung des Recht­mit­tels er­teilt hat. Eine sol­che Voll­macht wird gem. § 86 ZPO durch den Ver­lust der Pro­zessfähig­keit des Voll­macht­ge­bers nicht berührt, und zwar un­abhängig da­von, ob diese Verände­rung vor oder nach dem Ein­tritt der Rechtshängig­keit statt­ge­fun­den hat. Des­halb ist § 86 ZPO auch dann an­zu­wen­den, wenn der Weg­fall nach Er­tei­lung der Voll­macht, aber noch vor Ein­lei­tung des Rechts­streits ein­ge­tre­ten ist. Der Pro­zess­be­vollmäch­tigte kann auch in die­sem Fall wirk­sam Klage er­he­ben, ein Rechts­mit­tel ein­le­gen und einen pos­tu­la­ti­onsfähi­gen Rechts­an­walt für die Re­vi­si­ons­in­stanz be­auf­tra­gen. Vor­aus­set­zung für die An­wen­dung des § 86 ZPO ist, dass der Weg­fall der Pro­zessfähig­keit des Voll­macht­ge­bers nach der Er­tei­lung der Voll­macht ein­ge­tre­ten ist.

 

Ent­spre­chen­des gilt, wenn eine par­tei- und pro­zessfähige Han­dels­ge­sell­schaft eine Pro­kura er­teilt hat. Die Pro­kura um­fasst gem. § 49 Abs. 1 HGB die Voll­macht zur Pro­zessführung für alle Recht­strei­tig­kei­ten, die sich auf den Be­trieb des Han­dels­ge­schäfts be­zie­hen. Diese Voll­macht zur Pro­zessführung ist je­den­falls bei Rechts­strei­tig­kei­ten, bei de­nen der Pro­ku­rist we­gen feh­len­der Pos­tu­la­ti­onsfähig­keit nicht in der Lage ist, den Pro­zess im Na­men des In­ha­bers des Han­dels­ge­schäfts selbst zu führen, über­trag­bar. Die Pro­kura ermäch­tigt da­her ih­rer­seits, einem pos­tu­la­ti­onsfähi­gen Rechts­an­walt eine Pro­zess­voll­macht zur Ein­le­gung ei­nes Rechts­mit­tels zu er­tei­len. Vor­lie­gend ist der Pro­ku­ris­tin spätes­tens am 26.1.2009 Ein­zel­pro­kura er­teilt wor­den. Zu die­sem Zeit­punkt war die Kläge­rin pro­zessfähig, da der Ge­schäftsführer der Kom­ple­mentär-GmbH sei­ner­zeit noch nicht ver­stor­ben war. Die Pro­kura ist durch des­sen Tod nicht er­lo­schen. Auf­grund der wirk­sam er­teil­ten Ein­zel­pro­kura war die Pro­ku­ris­tin un­be­scha­det der späte­ren Führungs­lo­sig­keit der Kläge­rin be­fugt, den in der Be­ru­fungs­in­stanz täti­gen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten mit der Ein­le­gung der Be­ru­fung zu be­auf­tra­gen.

 

Link­hin­weis:

 

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf den Web­sei­ten des BGH veröff­ent­licht.
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