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Aktuelles

Rechtsprechungsänderung zum Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen im Bereich der Gasgrundversorgung

BGH 28.10.2015, VIII ZR 158/11 u.a.

Der BGH hat seine bis­he­rige Recht­spre­chung zum Be­ste­hen ei­nes ge­setz­li­chen Preisände­rungs­rechts der Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men ge­genüber Ta­rif­kun­den (Gas­grund­ver­sor­gung) geändert. Die ent­spre­chen­den Vor­schrif­ten des na­tio­na­len Rechts sind nach einem auf Vor­lage des BGH er­gan­ge­nen Ur­teil des EuGH nicht mit den Trans­pa­renz­an­for­de­run­gen der Gas-Richt­li­nie 2003/55/EG ver­ein­bar. Die Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men blei­ben je­doch auf­grund ei­ner ge­bo­te­nen ergänzen­den Ver­trags­aus­le­gung des Gas­lie­fe­rungs­ver­tra­ges be­rech­tigt, Stei­ge­run­gen ih­rer ei­ge­nen (Be­zugs-)Kos­ten an die Ta­rif­kun­den wei­ter­zu­ge­ben.

Der Sach­ver­halt:
Die kla­gen­den En­er­gie­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men nah­men Stei­ge­run­gen ih­rer ei­ge­nen Gas­be­zugs­kos­ten zum An­lass, diese durch ent­spre­chende, in den Jah­ren 2004 bis 2006 vor­ge­nom­mene Preis­erhöhun­gen an die be­klag­ten Ta­rif­kun­den wei­ter­zu­ge­ben. Diese wi­der­spra­chen den Preis­erhöhun­gen und zahl­ten die Erhöhungs­beträge nicht oder le­dig­lich zu einem ge­rin­gen Teil. Mit ih­ren Kla­gen be­gehr­ten die Kläge­rin­nen die Zah­lung des rest­li­chen Ent­gelts i.H.v. rd. 800 € bzw. 1.500 € für die von ih­nen er­brach­ten Erd­gas­lie­fe­run­gen.

LG und OLG ga­ben den Kla­gen statt. Die Re­vi­sio­nen der be­klag­ten Gas­kun­den hat­ten vor dem BGH kei­nen Er­folg.

Die Gründe:
Den kla­gen­den Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men steht ein Recht zur Wei­ter­gabe von (Be­zugs-)Kos­ten­stei­ge­run­gen zwar nicht (mehr) aus § 4 Abs. 1 und 2 AVB­GasV, aber auf­grund ei­ner ge­bo­te­nen ergänzen­den Ver­trags­aus­le­gung (§§ 157, 133 BGB) des Gas­lie­fe­rungs­ver­tra­ges der Par­teien zu.

Der BGH hat bis­her aus § 4 Abs. 1 und 2 AVB­GasV bzw. § 5 Abs. 2 Gas­GVV ent­nom­men, dass diese Vor­schrif­ten den Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men im Be­reich der - hier ge­ge­be­nen - Ver­sor­gung von Ta­rif­kun­den ein ein­sei­ti­ges Leis­tungs­be­stim­mungs­recht gewähren, so dass den Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men das Recht zu­steht, Preise nach (ge­richt­lich überprüfba­rem) bil­li­gem Er­mes­sen (§ 315 BGB) zu ändern. Der Se­nat hat die in Art. 3 Abs. 3 S. 4 bis 6 i.V.m. An­hang A Buchst. b und c der Gas-Richt­li­nie 2003/55/EG ent­hal­te­nen Trans­pa­renz­an­for­de­run­gen zum An­lass ge­nom­men, durch Be­schluss (BGH 18.5.2011, VIII ZR 71/10) dem EuGH die Frage zur Vor­ab­ent­schei­dung gem. Art. 267 AEUV vor­zu­le­gen, ob die vor­ge­nann­ten Be­stim­mun­gen der Gas-Richt­li­nie da­hin aus­zu­le­gen sind, dass § 4 Abs. 1 und 2 AVB­GasV als Re­ge­lung über Preisände­run­gen den An­for­de­run­gen der Richt­li­nie an das er­for­der­li­che Maß an Trans­pa­renz genügt. Der EuGH hat diese Frage ver­neint (EUGH 23.10.2014, C-359/11 u.a.).

Der Kunde müsse, um die ihm zu­ste­hen­den Rechte, sich im Falle von Preis­erhöhun­gen vom Lie­fer­ver­trag zu lösen oder ge­gen Ände­run­gen der Lie­fer­preise vor­zu­ge­hen, in vol­lem Um­fang und tatsäch­lich nut­zen zu können, recht­zei­tig vor dem In­kraft­tre­ten die­ser Ände­rung über de­ren An­lass, Vor­aus­set­zun­gen und Um­fang in­for­miert wer­den. Des­halb genüge eine na­tio­nale Re­ge­lung wie die hier in Rede ste­hende Vor­schrift des § 4 Abs. 1 und 2 AVB­GasV, die nicht gewähr­leiste, dass einem Haus­halts­kun­den die vor­ste­hend an­geführte In­for­ma­tion recht­zei­tig über­mit­telt werde, den in der Gas-Richt­li­nie 2003/55/EG auf­ge­stell­ten An­for­de­run­gen nicht. Auf­grund die­ses bin­den­den Aus­le­gungs­er­geb­nis­ses des EuGH hat der VIII. Zi­vil­se­nat - im Ein­ver­neh­men mit dem Kar­tell­se­nat des BGH - ent­schie­den, dass an der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs zu § 4 Abs. 1 und 2 AVB­GasV je­den­falls für die Zeit nach Ab­lauf der bis zum 1.7.2004 rei­chen­den Frist zur Um­set­zung der Gas-Richt­li­nie nicht mehr fest­ge­hal­ten wer­den kann.

Die in der AVB­GasV hin­sicht­lich der Trans­pa­renz­an­for­de­run­gen be­ste­hende Lücke führt al­ler­dings, da die Re­ge­lun­gen der AVB­GasV zwin­gend Be­stand­teil des Gas­lie­fe­rungs­ver­tra­ges der Par­teien sind und letz­tere da­her bei Ab­schluss ih­res Ta­rif­kun­den­ver­tra­ges das Be­ste­hen ei­nes ge­setz­li­chen Preisände­rungs­rechts als ge­ge­ben vor­aus­ge­setzt ha­ben, auch zu ei­ner von ih­nen un­be­ab­sich­tig­ten Un­vollständig­keit des Ver­tra­ges in einem we­sent­li­chen Punkt. Diese Ver­tragslücke ist durch ergänzende Ver­trags­aus­le­gung des Gas­lie­fe­rungs­ver­trags der Par­teien zu schließen. In­so­weit ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die Par­teien als red­li­che Ver­trags­part­ner ver­ein­bart hätten, dass das Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men be­rech­tigt ist, Stei­ge­run­gen sei­ner ei­ge­nen (Be­zugs-)Kos­ten, so­weit diese nicht durch Kos­ten­sen­kun­gen in an­de­ren Be­rei­chen aus­ge­gli­chen wer­den, an den Ta­rif­kun­den wei­ter­zu­ge­ben, und das Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men ver­pflich­tet ist, bei ei­ner Ta­rifan­pas­sung Kos­ten­sen­kun­gen ebenso zu berück­sich­ti­gen.

An­de­ren­falls bestünde an­ge­sichts kon­ti­nu­ier­lich stei­gen­der En­er­gie­preise bei lang­fris­ti­gen Ver­sor­gungs­verträgen re­gelmäßig ein gra­vie­ren­des Un­gleich­ge­wicht von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung. Dies wäre un­bil­lig und würde dem Kun­den einen un­ver­hoff­ten und un­ge­recht­fer­tig­ten Ge­winn ver­schaf­fen. Dies ent­spräche auch nicht dem ob­jek­tiv zu er­mit­teln­den hy­po­the­ti­schen Par­tei­wil­len, zu­mal in Fällen der Grund­ver­sor­gung die En­er­gie­ver­sor­gungs­un­ter­neh­men ge­setz­lich ver­pflich­tet sind, zu den All­ge­mei­nen Be­din­gun­gen und Prei­sen je­den Haus­halts­kun­den mit Gas zu ver­sor­gen, sie mit­hin einem Kon­tra­hie­rungs­zwang un­ter­lie­gen und sie zur (or­dent­li­chen) Kündi­gung des Ta­rif­kun­den­ver­tra­ges (Grund­ver­sor­gungs­ver­tra­ges) nur in sehr ein­ge­schränk­tem Maße be­rech­tigt sind. Vor­lie­gend ha­ben die Kläge­rin­nen le­dig­lich Be­zugs­kos­ten­stei­ge­run­gen wei­ter­ge­ge­ben, so dass den Zah­lungs­kla­gen im Er­geb­nis statt­zu­ge­ben war.

Die Be­ur­tei­lung, ob die Preis­erhöhun­gen des Gas­ver­sor­gungs­un­ter­neh­mens des­sen (Be­zugs-)Kos­ten­stei­ge­run­gen (hin­rei­chend) ab­bil­den, ist im Übri­gen vom Ta­trich­ter auf der Grund­lage der Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Berück­sich­ti­gung der Schätzungsmöglich­keit nach § 287 Abs. 2 i.V.m. § 287 Abs. 1 S. 1 ZPO vor­zu­neh­men. Da­bei ist zu berück­sich­ti­gen, dass die Wei­ter­gabe der Kos­ten­sen­kun­gen und Kos­ten­erhöhun­gen nicht ta­ges­ge­nau er­fol­gen muss, son­dern auf die Kos­ten­ent­wick­lung in einem ge­wis­sen Zeit­raum ab­zu­stel­len ist. Die Be­mes­sung die­ses Zeit­raums ob­liegt der Be­ur­tei­lung des Ta­trich­ters nach den Umständen des Ein­zel­falls. In den meis­ten Fällen wird das Gas­wirt­schafts­jahr ein ge­eig­ne­ter Prüfungsmaßstab sein.

Hin­ter­grund:
Der Se­nat hat auch ent­schie­den, dass für Preis­erhöhun­gen, die über die bloße Wei­ter­gabe von (Be­zugs-)Kos­ten­stei­ge­run­gen hin­aus­ge­hen und der Er­zie­lung ei­nes (zusätz­li­chen) Ge­winns die­nen, die Grundsätze der zu den (Norm-)Son­der­kun­den­verträgen ent­wi­ckel­ten Recht­spre­chung des Se­nats zu gel­ten ha­ben, wo­nach der Kunde sich bei einem langjähri­gen En­er­gie­lie­fe­rungs­verhält­nis, wenn er die Preis­erhöhung nicht in­ner­halb ei­nes Zeit­raums von drei Jah­ren nach Zu­gang der je­wei­li­gen Jah­res­ab­rech­nung, in der die Preis­erhöhung erst­mals berück­sich­tigt wor­den ist, be­an­stan­det hat, nicht mehr mit Er­folg ge­gen die Preis­erhöhung wen­den kann. Denn es be­steht kein sach­li­cher Grund, den Grund­ver­sor­ger in­so­weit an­ders zu be­han­deln als den En­er­gie­ver­sor­ger im (Norm-)Son­der­kun­den­be­reich, der nicht den mit der Grund­ver­sor­gung ver­bun­de­nen wirt­schaft­li­chen Er­schwer­nis­sen aus­ge­setzt ist.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung wird demnächst auf den Web­sei­ten des BGH veröff­ent­licht.
  • Für die Pres­se­mit­tei­lung des BGH kli­cken Sie bitte hier.
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