deen

Rechtsberatung

Rechtswidrigkeit eines Tonträger-Samplings

BGH v. 30.4.2020 - I ZR 115/16

Der BGH hat sich er­neut mit der Frage be­fasst, un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen Rechte des Tonträger­her­stel­lers durch Sam­pling ver­letzt wer­den (Me­tall auf Me­tall IV). Kon­kret geht es um zwei Se­kun­den ei­ner Rhyth­mus­se­quenz aus dem Ti­tel "Me­tall auf Me­tall" der Mu­sik­gruppe "Kraft­werk", die elek­tro­ni­sch ko­piert ("gesam­pelt") und dem Ti­tel "Nur mir" (Sabrina Setlur) in fort­lau­fen­der Wie­der­ho­lung un­ter­legt wur­den. Die Sa­che wurde - nach zwi­schen­zeit­lich er­gan­ge­nen Ent­schei­dun­gen des BVerfG und des EuGH hierzu - zum nun­mehr drit­ten Mal an das OLG Ham­burg zurück­ver­wie­sen.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläger sind Mit­glie­der der Mu­sik­gruppe "Kraft­werk". Diese veröff­ent­lichte im Jahr 1977 einen Tonträger, auf dem sich das Mu­sikstück "Me­tall auf Me­tall" be­fin­det. Die Be­klag­ten zu 2) und 3) sind die Kom­po­nis­ten des Ti­tels "Nur mir", den die Be­klagte zu 1) mit der Sänge­rin Sabrina Setlur auf im Jahr 1997 er­schie­ne­nen Tonträgern ein­spielte. Zur Her­stel­lung des Ti­tels hat­ten die Be­klag­ten zwei Se­kun­den ei­ner Rhyth­mus­se­quenz aus dem Ti­tel "Me­tall auf Me­tall" elek­tro­ni­sch ko­piert ("gesam­pelt") und dem Ti­tel "Nur mir" in fort­lau­fen­der Wie­der­ho­lung un­ter­legt.

Die Kläger se­hen da­durch ihre Rechte als Tonträger­her­stel­ler ver­letzt. Sie ha­ben die Be­klag­ten auf Un­ter­las­sung in An­spruch ge­nom­men, Tonträger mit der Auf­nahme "Nur mir" her­zu­stel­len und in Ver­kehr zu brin­gen. Außer­dem ha­ben sie die Fest­stel­lung der Scha­dens­er­satz­pflicht der Be­klag­ten, Aus­kunfts­er­tei­lung und Her­aus­gabe der Tonträger zum Zweck der Ver­nich­tung ver­langt.

LG und OLG ga­ben der Klage statt. Auf die Re­vi­sion der Be­klag­ten hob der BGH das Be­ru­fungs­ur­teil auf und ver­wies die Sa­che zur neuen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das OLG zurück. Das OLG wies die Be­ru­fung der Be­klag­ten wie­derum zurück. Die er­neute Re­vi­sion der Be­klag­ten hatte vor dem BGH kei­nen Er­folg. Das BVerfG hob die Re­vi­si­ons­ur­teile und das zweite Be­ru­fungs­ur­teil auf und ver­wies die Sa­che an den BGH zurück. Die­ser hat dar­auf­hin dem EuGH Fra­gen zur Aus­le­gung der Richt­li­nie 2001/29/EG (Ur­he­ber­rechts­richt­li­nie) und der Richt­li­nie 2006/115/EG vor­ge­legt, die der EuGH be­ant­wor­tet hat. Nun­mehr hat der BGH das er­ste Be­ru­fungs­ur­teil auf­ge­ho­ben und die Sa­che wie­derum an das OLG zurück­ver­wie­sen.

Die Gründe:
Mit der vom OLG ge­ge­be­nen Begründung können die von den Klägern gel­tend ge­mach­ten An­sprüche we­der in Be­zug auf ein Her­stel­len noch in Be­zug auf ein In­ver­kehr­brin­gen von Tonträgern zu­ge­spro­chen wer­den.

Hin­sicht­lich des Her­stel­lens ist eine Ver­let­zung des Ver­vielfälti­gungs­rechts der Kläger als Tonträger­her­stel­ler gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. In­so­weit ist im Blick dar­auf, dass die Richt­li­nie 2001/29/EG, die in Art. 2 Buchst. c das Ver­vielfälti­gungs­recht für Tonträger­her­stel­ler in Be­zug auf ihre Tonträger so­wie in Art. 5 Abs. 2 und 3 Aus­nah­men oder Be­schränkun­gen in Be­zug auf die­ses Recht re­gelt, nach ih­rem Art. 10 auf Nut­zungs­hand­lun­gen ab dem 22.12.2002 an­wend­bar ist, zwi­schen dem Her­stel­len von Tonträgern mit der Auf­nahme "Nur mir" vor dem 22.12.2002 und ab dem vor­ge­nann­ten Da­tum zu un­ter­schei­den. Für Ver­vielfälti­gungs­hand­lun­gen vor dem 22.12.2002 lässt sich eine Ver­let­zung des Ver­vielfälti­gungs­rechts der Kläger als Tonträger­her­stel­ler gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG auf der Grund­lage der im ers­ten Be­ru­fungs­ur­teil ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen nicht ab­schließend be­ur­tei­len. In­folge der Auf­he­bung durch das BVerfG kommt eine Berück­sich­ti­gung der Fest­stel­lun­gen im zwei­ten Be­ru­fungs­ur­teil nicht in Be­tracht.

Der Se­nat hat al­ler­dings in sei­nen Hin­wei­sen für das neue Be­ru­fungs­ver­fah­ren er­ken­nen las­sen, dass das Ver­vielfälti­gungs­recht der Kläger nicht ver­letzt sein dürfte, weil na­he­liegt, dass sich die Be­klag­ten auf eine freie Be­nut­zung i.S.d. hier ent­spre­chend an­wend­ba­ren § 24 UrhG be­ru­fen können. Sie dürf­ten mit dem Mu­sikstück "Nur mir" ein selbständi­ges Werk i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG ge­schaf­fen ha­ben. Da es sich bei der von den Be­klag­ten ent­nom­me­nen Rhyth­mus­se­quenz nicht um eine Me­lo­die i.S.d. § 24 Abs. 2 UrhG han­deln dürfte und eine ent­spre­chende An­wen­dung die­ser Vor­schrift nicht in Be­tracht kommt, dürf­ten die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner freien Be­nut­zung ge­ge­ben sein. Im Hin­blick dar­auf, dass es nach An­sicht des BVerfG dem künst­le­ri­schen Schaf­fens­pro­zess nicht hin­rei­chend Rech­nung tra­gen würde, wenn die Zulässig­keit der Ver­wen­dung von gleich­wer­tig nach­spiel­ba­ren Sam­ples ei­nes Tonträgers ge­ne­rell von der Er­laub­nis des Tonträger­her­stel­lers abhängig ge­macht würde, hält der Se­nat nicht an sei­ner Auf­fas­sung fest, dass eine ent­spre­chende An­wen­dung des § 24 Abs. 1 UrhG aus­schei­det, wenn es möglich ist, die auf dem Tonträger auf­ge­zeich­nete Ton­folge selbst ein­zu­spie­len.

Für Ver­vielfälti­gungs­hand­lun­gen ab dem 22.12.2002 kommt hin­ge­gen eine Ver­let­zung des Ver­vielfälti­gungs­rechts der Kläger in Be­tracht. Seit die­sem Zeit­punkt ist das in § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG ge­re­gelte Recht des Tonträger­her­stel­lers zur Ver­vielfälti­gung des Tonträgers mit Blick auf Art. 2 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/29/EG richt­li­ni­en­kon­form aus­zu­le­gen. Art. 2 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/29/EG stellt eine Maßnahme zur vollständi­gen Har­mo­ni­sie­rung des ma­te­ri­el­len Ge­halts des in ihr ge­re­gel­ten Rechts dar, die den Mit­glied­staa­ten kei­nen Um­set­zungs­spiel­raum überlässt, son­dern zwin­gende Vor­ga­ben macht, so dass die diese Vor­schrift um­set­zende Be­stim­mung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG nach der Recht­spre­chung des BVerfG grundsätz­lich nicht am Maßstab der Grund­rechte des GG, son­dern al­lein am Uni­ons­recht und da­mit auch an den durch das Uni­ons­recht gewähr­leis­te­ten Grund­rech­ten zu mes­sen ist. Nach der auf Vor­lage des Se­nats er­gan­ge­nen Ent­schei­dung des EuGH ist die Ver­vielfälti­gung ei­nes - auch nur sehr kurzen - Au­dio­frag­ments ei­nes Tonträgers durch einen Nut­zer grundsätz­lich als eine teil­weise Ver­vielfälti­gung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/29/EG an­zu­se­hen.

Eine Ver­vielfälti­gung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/29/EG liegt nach der Recht­spre­chung des EuGH je­doch nicht vor, wenn ein Nut­zer in Ausübung der Kunst­frei­heit einem Tonträger ein Au­dio­frag­ment ent­nimmt, um es in geänder­ter und beim Hören nicht wie­der­er­kenn­ba­rer Form in einem neuen Werk zu nut­zen. Aus ei­ner Abwägung der Frei­heit der Kunst (Art. 13 EU-Grund­rech­techarta) und der Gewähr­leis­tung des geis­ti­gen Ei­gen­tums (Art. 17 Abs. 2 EU-Grund­rech­techarta) folgt, dass es in ei­ner sol­chen Kon­stel­la­tion an ei­ner hin­rei­chen­den Be­einträch­ti­gung der In­ter­es­sen des Tonträger­her­stel­lers fehlt. Nach die­sen Maßstäben stellt die Ent­nahme von zwei Tak­ten ei­ner Rhyth­mus­se­quenz aus dem Tonträger der Kläger und ihre Über­tra­gung auf den Tonträger der Be­klag­ten eine Ver­vielfälti­gung i.S.d. Art. 2 Buchst. c der Richt­li­nie 2001/29/EG und da­mit auch des § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG dar. Bei der Prüfung der Frage, ob ein von einem Tonträger ent­nom­me­nes Au­dio­frag­ment in einem neuen Werk in geänder­ter und beim Hören nicht wie­der­er­kenn­ba­rer Form ge­nutzt wird, ist auf das Hörverständ­nis ei­nes durch­schnitt­li­chen Mu­sikhörers ab­zu­stel­len. Nach den Fest­stel­lun­gen des OLG ha­ben die Be­klag­ten die Rhyth­mus­se­quenz zwar in leicht geänder­ter, aber beim Hören wie­der­er­kenn­ba­rer Form in ih­ren neuen Tonträger über­nom­men.

Die Be­klag­ten können sich in­so­weit nicht auf eine freie Be­nut­zung i.S.d. § 24 Abs. 1 UrhG be­ru­fen. Die Be­klag­ten können sich auch nicht mit Er­folg auf eine Schran­ken­re­ge­lung be­ru­fen. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Zi­tats i.S.d. § 51 Satz 1 und 2 Nr. 3 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richt­li­nie 2001/29/EG lie­gen nicht vor, weil kein An­halts­punkt dafür be­steht, dass die Hörer - wie für ein Zi­tat er­for­der­lich - an­neh­men könn­ten, die dem Mu­sikstück "Nur mir" un­ter­legte Rhyth­mus­se­quenz sei einem frem­den Werk oder Tonträger ent­nom­men wor­den. Das über­nom­mene Au­dio­frag­ment ist auch kein un­we­sent­li­ches Bei­werk i.S.d. § 57 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. i der Richt­li­nie 2001/29/EG. Die Vor­aus­set­zun­gen ei­ner Ka­ri­ka­tur oder Par­odie i.S.v. § 24 Abs. 1 UrhG i.V.m. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richt­li­nie 2001/29/EG lie­gen eben­falls nicht vor. Die Schranke für Pas­ti­ches i.S.d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richt­li­nie 2001/29/EG ist eben­falls nicht ein­schlägig. Eine ab­schließende Be­ur­tei­lung ist dem BGH al­ler­dings ver­wehrt, weil das OLG keine Fest­stel­lun­gen dazu ge­trof­fen hat, ob die Be­klag­ten ab dem 22.12.2002 Hand­lun­gen der Ver­vielfälti­gung oder Ver­brei­tung vor­ge­nom­men ha­ben oder ob sol­che Hand­lun­gen ernst­haft und kon­kret zu er­war­ten wa­ren.

Hin­sicht­lich des In­ver­kehr­brin­gens ist eine Ver­let­zung des Ver­brei­tungs­rechts der Kläger als Tonträger­her­stel­ler gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG so­wie ein Ver­bot nach § 96 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG zu prüfen. Eine Ver­let­zung des Ver­brei­tungs­rechts der Kläger gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UrhG, der der Um­set­zung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richt­li­nie 2006/115/EG dient, ist nicht ge­ge­ben. Der EuGH hat auf Vor­lage des Se­nats ent­schie­den, dass ein Tonträger, der von einem an­de­ren Tonträger über­tra­gene Mu­sik­frag­mente enthält, keine Ko­pie die­ses an­de­ren Tonträgers im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richt­li­nie 2006/115/EG dar­stellt. So­fern mit Blick auf ab dem 22.12.2002 be­gan­gene Hand­lun­gen das Ver­vielfälti­gungs­recht der Kläger als Tonträger­her­stel­ler gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG ver­letzt wurde, kann hier­auf ein Ver­bot des In­ver­kehr­brin­gens gem. § 96 Abs. 1 UrhG nicht gestützt wer­den. Diese Vor­schrift ist im Streit­fall un­an­wend­bar, weil sie zu ei­ner Aus­wei­tung uni­ons­recht­lich voll­har­mo­ni­sier­ter Ver­wer­tungs­rechte führt und in­so­weit richt­li­ni­en­wid­rig ist.

Eine ab­schließende Ent­schei­dung ist dem BGH auch des­halb ver­wehrt, weil die Kläger ihre An­sprüche hilfs­weise auf ihr Leis­tungs­schutz­recht als ausübende Künst­ler (§ 77 Abs. 2 Satz 1 UrhG, Art. 2 Buchst. b der Richt­li­nie 2001/29/EG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 2006/115/EG), wei­ter hilfs­weise auf die Ver­let­zung des Ur­he­ber­rechts des Klägers zu 1) am Mu­sik­werk (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 und 2, §§ 16, 17 Abs. 1 UrhG; Art. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 der Richt­li­nie 2001/29/EG) und äußerst hilfs­weise auf wett­be­werbs­recht­li­chen Leis­tungs­schutz (§ 4 Nr. 9 UWG aF, § 4 Nr. 3 UWG) gestützt ha­ben. In­so­weit fehlt es bis­her eben­falls an Fest­stel­lun­gen des OLG, die nun von die­sem zu tref­fen sind. Der Se­nat gibt auch in­so­weit ei­nige Hin­weise: Für auf das Leis­tungs­schutz­recht als ausübende Künst­ler gestützte An­sprüche dürfte wohl nichts An­de­res gel­ten als für auf das Leis­tungs­schutz­recht als Tonträger­her­stel­ler gestützte An­sprüche. Bzgl. der An­sprüche aus dem Ur­he­ber­recht ist schon frag­lich, ob die ent­nom­mene Rhyth­mus­se­quenz die An­for­de­run­gen an ein ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­tes Werk erfüllt. Je­den­falls dürfte an­zu­neh­men sein, dass sich die Be­klag­ten für sämt­li­che Nut­zungs­hand­lun­gen vor dem 22.12.2002 auch in­so­weit auf das Recht zur freien Be­nut­zung aus § 24 Abs. 1 UrhG be­ru­fen können. An­sprüche aus wett­be­werbs­recht­li­chem Leis­tungs­schutz dürf­ten eher fern­lie­gen.

nach oben