Das Management von Netzengpässen wird neu geregelt
Mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz, das am 13.5.2019 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber die Regelungen zum Management von Netzengpässen mit Wirkung zum 1.10.2021 erheblich geändert. Künftig unterliegt die Abregelung von Erzeugungsanlagen im Falle von Netzengpässen und Spannungsproblemen einem einheitlichen Rechtsrahmen, der in §§ 13, 13a, 14 EnWG n.F., § 11a StromNZV n.F. geregelt ist.
Die gesetzlichen Bestimmungen ermächtigen die BNetzA, die Details des sogenannten „Redispatch 2.0“ durch Festlegungen zu regeln. Die BNetzA hat zwischenzeitlich eine erste Festlegung nebst Anlagen beschlossen (Beschluss vom 6.11.2020, BK6-20-0959) und für zwei weitere Festlegungsverfahren (BK6-20-060 und BK6-20-061) zur Netzbetreiberkoordinierung bei der Durchführung von Redispatch-Maßnahmen und zur Informationsbereitstellung für Redispatch-Maßnahmen Konsultationen eröffnet. Das abgeschlossene Festlegungsverfahren regelt die Prozesse zum bilanziellen Ausgleich, zur Kommunikation und die erforderlichen Änderungen in den Marktregeln für die Durchführung der Bilanzkreisabrechnung Strom (MaBiS).
(Fast) alle Betreiber von Stromerzeugungsanlagen sind davon betroffen
Bislang waren ausschließlich die Übertragungsnetzbetreiber dafür zuständig, Netzengpässe durch Eingriffe in die Fahrweise von Erzeugungsanlagen zu vermeiden. Ausschließlich Anlagen mit einer Leistung ab 10 MW sind bisher in das System des Redispatch eingebunden.
Mit dem Inkrafttreten der Neuregelung zum 1.10.2021 ändert sich das. Künftig sind alle Erzeugungsanlagen einschließlich EEG- und KWK-Anlagen ab einer Leistung von 100 kW sowie alle EEG- und KWK-Anlagen, die jederzeit durch den Netzbetreiber ferngesteuert werden können, in den Redispatch einbezogen. Auch wärmegeführte KWK-Anlagen werden am Redispatch beteiligt, da diese Anlagen auch Kondensationsstrom erzeugen, der uneingeschränkt dem sog. „negativen Redispatch“ unterliegt.
Die Neuregelungen beziehen alle Netzbetreiber und nicht nur die Übertragungsnetzbetreiber in den Prozess ein.
Alle Anlagenbetreiber müssen mitmachen
Alle Betreiber der oben genannten Anlagen können zum Redispatch herangezogen werden.
Das geschieht grundsätzlich so, dass in verbrauchsstarken Regionen zusätzliche Kraftwerksleistung aktiviert wird und gleichzeitig in verbrauchsschwachen Regionen Kraftwerksleistung reduziert wird. Netzbetreiber fordern Anlagenbetreiber auf, ihre Fahrweise entsprechend zu korrigieren oder greifen selbst im Wege der Fernsteuerung in die Fahrweise der jeweiligen Anlagen ein.
Der Einspeisevorrang für EEG-Anlagen und hocheffiziente KWK-Anlagen soll auch bei Redispatch-Maßnahmen aufrechterhalten bleiben. Das geschieht dergestalt, dass die kalkulatorischen Kosten, die für die Abregelung von EEG- und KWK-Anlagen angesetzt werden, mit einem Vielfachen der Kosten konventioneller Kraftwerke berücksichtigt werden. Damit wird der Anreiz zur Abregelung von EEG- und KWK-Anlagen verringert.
Anlagenbetreiber müssen gegenüber dem Netzbetreiber ihre Anlagen einem Bilanzierungsmodell zuordnen. Die vorgenannte Festlegung der BNetzA sieht zwei Bilanzierungsmodelle vor, das Planwertmodell und das Prognosemodell. Die beiden Modelle unterscheiden sich darin, wie der energetische bzw. bilanzielle Ausgleich bei Inanspruchnahme der Anlage ausgestaltet ist. Grundsätzlich erhält der von einer Redispatch-Maßnahme betroffene Bilanzkreisverantwortliche einen Anspruch auf bilanziellen Ausgleich gegenüber dem Netzbetreiber, der die Redispatch-Maßnahme angefordert bzw. durch Fernsteuerung ausgelöst hat (anweisender Netzbetreiber). Wie das im Einzelnen geschieht, ist ebenfalls in der vorgenannten Festlegung der BNetzA geregelt. Die Energie, die durch die hochfahrende Anlage zusätzlich erzeugt wird, wird dem Bilanzkreis zugeordnet, in den die aufgrund des Redispatch heruntergefahrene Anlage eingespeist hätte. Ausgeglichen wird der Zeitraum, in dem die Redispatch-Maßnahme angeordnet war. Gegebenenfalls ist auch eine „Anfahrrampe“ und eine „Abfahrrampe“ auszugleichen.
Anlagen, die dem Planwertmodell zugeordnet sind, erhalten einen bilanziellen Ausgleich gemäß der geplanten Einspeisung. Anlagen des Prognosemodells erhalten einen Ausgleich gemäß der individuellen Prognose für die jeweiligen Zeiträume.
Etwaige finanzielle Nachteile, die trotz des bilanziellen Ausgleichs entstehen, sind ebenfalls auszugleichen (§ 13a Abs. 2 EnWG n. F.). Dieser Anspruch auf Ausgleich der finanziellen Nachteile kann durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten ausgeschlossen werden.
Die Ermittlung der Höhe des finanziellen Ausgleichs ist bereits unter dem jetzigen Rechtsrahmen umstritten. Mit Beschluss vom 12.8.2020 (Az. VI-3 Kart 895/18) hat das OLG Düsseldorf im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens die Festlegung der BNetzA zur Vergütung von Redispatch-Maßnahmen aufgehoben.
Ob Anlagenbetreiber von Redispatch-Maßnahmen betroffen sein werden oder nicht, hängt maßgeblich davon ab, wo die Anlage gelegen ist. Anlagen in Süddeutschland dürften wegen des dort grundsätzlich vorherrschenden Strommangels eher weniger in Anspruch genommen werden als Anlagen im Norden von Deutschland, wo tendenzieller Stromüberschuss herrscht.
Der Datenaustausch beginnt im Frühjahr 2021
Im Zusammenhang mit der Umsetzung des neuen Systems müssen zunächst umfangreich Daten erhoben und ausgetauscht werden. Die dazu erforderlichen Kommunikationsprozesse sind in Anlage 2 zum Beschluss BK6-20-059 geregelt. Der Datenaustausch zur Abwicklung der Prozesse erfolgt analog der Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE) mit den für den Redispatch beschriebenen Funktionen und Marktrollen. Als Anlage zur geplanten Festlegung BK6-20-061 sind die Daten aufgeführt, die der Anlagenbetreiber dem Anschlussnetzbetreiber zur Verfügung zu stellen hat. Die Anlage unterscheidet Stammdaten, Planungsdaten und Nichtbeanspruchbarkeiten.
Die BNetzA geht derzeit davon aus, dass die Stammdaten erstmals zum 1.7.2021 und die weiteren Daten für die Zeiträume ab dem 1.10.2021 zu übermitteln sein werden.
Anlagenbetreiber müssen sich darauf einstellen, den Anschlussnetzbetreibern die umfangreichen Daten auf Anforderung gegebenenfalls auch kurzfristig zur Verfügung zu stellen.
Unter dem Projektnamen „Connect+“ haben sich unterschiedliche Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber deutschlandweit zusammengetan, um eine einheitliche Datenaustauschplattform für alle erforderlichen Prozesse zur Verfügung zu stellen.
Besonderes Augenmerk sollten die Anlagenbetreiber auf die Regelungen legen, die auch Wärmeerzeugungsanlagen betreiben.
Ein Redispatch kann sich negativ auf die Wärmeerzeugung auswirken. Das kann beispielsweise im Rahmen des steuerlichen Querverbunds zu Nachteilen führen oder negative Auswirkungen auf den Primärenergiefaktor in einem Wärmenetz haben.