Werden sonstige Leistungen erbracht, wird nach der Grundregel des § 3a Abs. 1 und 2 UStG für die Leistungsortbestimmung danach unterschieden, ob die Leistung an einen Unternehmer oder Nichtunternehmer erbracht wird. Handelt es sich bei dem Leistungsempfänger um einen inländischen Unternehmer und ist der leistende Unternehmer im Ausland ansässig, kann dies zum Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger führen.
Ob für die Bestimmung der Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers allein auf die Vorlage einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vertraut werden kann oder weitere Parameter zu berücksichtigen sind, hatte jetzt der BFH in einem Fall zu überprüfen.
Worum geht es?
Im Streitfall betrieb die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft nach ausländischem Recht, einen Onlinemarktplatz, auf dem neben Endverbrauchern auch Unternehmer ihre Waren zum Kauf anbieten konnten. Die von der Klägerin erbrachte Dienstleistung bestand darin, den Kunden Zugang und Nutzung zum von ihr betriebenen Online-Marktplatz zu gewähren, wofür sie Gebühren erhob, deren Höhe sich nach den Verkaufserlösen richtete.
Bei der Registrierung von Unternehmern fragte die Klägerin standardmäßig die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ab und überprüfte diese in regelmäßigen Abständen automatisiert. Bis zum 31.12.2014 behandelte die Klägerin ausschließlich die Leistungsempfänger als Unternehmer, die eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. angaben.
Zum 01.01.2015 stellte die Klägerin das Verfahren um. Kunden, die eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angaben, wurden weiterhin als Unternehmer behandelt. Darüber hinaus ging die Klägerin auch dann von der Unternehmereigenschaft aus, wenn eine angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer nicht mehr als gültig bestätigt oder bei der Anmeldung keine oder eine ungültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer angegeben wurde, wenn der Leistungsempfänger eines von drei durch die Klägerin definierten Kriterien erfüllte:
- Die Verkaufserlöse des Leistungsempfängers lagen über einer bestimmten Größe,
- die Gebühren (Vermittlungsentgelte) lagen über einer bestimmten Größe oder
- der Leistungsempfänger hatte selbst angegeben, dass er gewerblicher Kunde sei.
Handelt es sich dann bei dem Leistungsempfänger um eine im Inland ansässige Person, ging die Klägerin bei Vorliegen von einem der drei Kriterien von der Steuerschuld des Leistungsempfängers aus.
Das Finanzamt betrachtete die durch die Klägerin aufgestellten Kriterien zur Bestimmung der Unternehmereigenschaft als nicht ausreichend und vertrat die Auffassung, nur solche Leistungsempfänger seien als Unternehmer zu behandeln, für die eine gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vorlag und setzte die Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin in entsprechender Höhe fest.
Die Klage gegen die daraufhin festgesetzten Steuerbescheide wies das FG ab, da zwar die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer keine Voraussetzung für die Anwendung der Reverse Charge-Besteuerung sei. Es müsse allerdings die Identität des Leistungsempfängers feststehen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin habe die Identität der Leistungsempfänger nicht in ausreichendem Maße überprüft.
Rechtlicher Rahmen der Entscheidung
Gemäß § 3a Abs. 2 UStG ist der Leistungsort für sonstige Leistungen an einen anderen Unternehmer vorbehaltlich anderer Bestimmungen grundsätzlich der Ort, von dem aus der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Demgegenüber liegt der Leistungsort nach § 3a Abs. 1 UStG für sonstige Leistungen an einen Nichtunternehmer grundsätzlich am Sitzort des Leistenden.
Häufig wird in der Praxis für die Frage, ob eine sonstige Leistung an einen Unternehmer oder Nichtunternehmer erbracht wird, danach unterschieden, ob der Leistungsempfänger mit einer (gültigen) Umsatzsteuer-Identifikationsnummer auftritt.
Gemäß der Artikel 18 und 19 MwStVO, die unmittelbar in Deutschland zur Anwendung kommen, kann der leistende Unternehmer die Verwendung oder Nichtverwendung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer jedoch nur dann als Beurteilungsgrundlage dafür verwenden, ob der Leistungsempfänger den Status eines Unternehmers hat, wenn ihm keine gegenteiligen Informationen vorliegen.
Kernaussagen der vorliegenden BFH-Entscheidung
Der BFH gab mit Urteil vom 31.01.2024 (Az. V R 20/21) der Revision statt und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das FG zurück.
In folgenden Punkten stimmte der BFH dem FG zu:
- Für die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft im Reverse Charge-Verfahren kommt es nicht auf die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch den Leistungsempfänger an.
- Vielmehr ist entsprechend der Regelungen des UStG bzw. der MwStSystRL die Unternehmereigenschaft entscheidend.
- Dementsprechend müsse, wie das FG zutreffend erkannt habe, für die Umkehr der Steuerschuldnerschaft die Identifizierbarkeit des Leistungsempfängers gegeben sein.
Demgegenüber widersprach der BFH dem FG dahingehend, dass
- die Unternehmereigenschaft der Leistungsempfänger durch die fehlende Überprüfung von deren Identität nicht ausreichend belegt sei.
- Ausgehend von den durch die Klägerin eingereichten Unterlagen sei die Bestimmung der Eigenschaften der Leistungsempfänger durchaus möglich gewesen und hätte vom FG im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht unternommen werden müssen.
- Auch wenn die Klägerin, da sie von der Umkehr der Steuerschuldnerschaft begünstigt ist, eine entsprechende Beweislast trifft, kann eine ablehnende Entscheidung des FG erst dann auf diese Beweislast gestützt werden, wenn der Sachverhalt unaufklärbar ist.
- Hier habe das FG keine ausreichenden Schritte zur Sachverhaltsaufklärung unternommen. Der BFH hat die Sache daher an das FG zurückverwiesen.
Fazit - Was bedeutet die Entscheidung für Sie in der Praxis?
Beim Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger hat grundsätzlich der leistende Unternehmer die Voraussetzungen des § 13b Abs. 5 UStG, z. B. die Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers, nachzuweisen.
Der leistende Unternehmer darf dabei nicht allein auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vertrauen, zumindest dann, wenn ihm weitere Informationen vorliegen, was regelmäßig der Fall sein dürfte, da bei der Pflege der Stammdaten über die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer hinaus häufig weitere Angaben abgefragt werden.
Unternehmen, die vornehmlich im Dienstleistungsbereich tätig sind, müssen hierbei beachten, dass einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer insoweit nur eine Indizwirkung zukommt. Dies hat der BFH vorliegend - erneut - für die Feststellung des Status des Leistungsempfängers entschieden.
Bereits mit Beschluss vom 28.11.2017 (Az. V B 60/17, DStR 2018, S. 297) hatte er dies im Hinblick auf die Bestimmung des Sitzortes des Leistungsempfängers entschieden. Im damaligen Beschlussfall leistete der Kläger an reine Domizilgesellschaften und konnte den eigentlichen Sitz des Leistungsempfängers nicht nachweisen. In diesem Fall konnte aus der Nichterweislichkeit eines ausländischen Empfängerortes auf das Vorliegen eines inländischen Empfängerortes geschlossen werden.
Unternehmer, die grenzüberschreitend Dienstleistungen erbringen, sollten daher ihre Prozesse dahingehend überprüfen, dass die Statuseinordnung des Empfängers sowie die Bestimmung des Leistungsortes anhand weiterer Parameter vorgenommen wird, die neben der Verwendung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in gleicher Weise zu dokumentieren sind. Welche Informationen geeignet sind, ist nach den Umständen des Einzelfalls festzulegen.