Effektive Risikofrüherkennung - nicht nur für Aktiengesellschaften
Die gesetzliche Anforderung zur Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems ergibt sich aus § 91 Abs. 2 AktG, wobei schon bisher von einer Ausstrahlungswirkung auf andere Rechtsformen, insb. GmbHs auszugehen war. Diese Anforderung wurde erst kürzlich durch das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, kurz StaRUG, kodifiziert. Nach den Vorgaben des § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand bzw. die Geschäftsführung „geeignete Maßnahmen zu treffen, insb. ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden“. Bei börsennotierten Aktiengesellschaften (AG) ist die Wirksamkeit dieses Risikofrüherkennungssystems für bestandsgefährdende Risiken gemäß § 317 Abs. 4 HGB regelmäßig durch den Abschlussprüfer zu beurteilen. Aber auch bei allen anderen Unternehmen kann eine freiwillige Prüfung der Dokumentation der Einhaltung der allgemeinen Sorgfaltsflicht der Geschäftsführung dienen („business judgement rule“).
Neue Herausforderungen und Anforderungen
Die relevanten Anforderungen an die Risikofrüherkennungs- und Überwachungssysteme von AGs konkretisiert seit dem Jahr 2000 der IDW PS 340, der seither sowohl die Basis für die Prüfung dieser Systeme darstellt als auch - zusammen mit dem IDW PS 981 - als Maßstab für die grundsätzliche Ausgestaltung der Systeme aller anderen Unternehmen herangezogen werden kann. Die im Jahr 2020 aktualisierte Fassung des IDW PS 340 n.F. passt den Standard an die allgemeine Weiterentwicklung in der Corporate Governance an und stellt insb. klar, dass die Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen auf der Basis der unternehmensindividuellen Risikotragfähigkeit zu erfolgen hat, wobei die Risiken zur Einschätzung der Gesamtrisikosituation zu aggregieren sind.
Unternehmensindividuelle Risikotragfähigkeit
Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, wie unterschiedlich die Geschäftsmodelle von Risiken betroffen sind und wie individuell die Unternehmen darauf reagieren. Als Basis für die Beurteilung bestandsgefährdende Entwicklungen stellt der IDW PS 340 n.F. konsequenterweise auf die individuelle Risikotragfähigkeit des jeweiligen Unternehmens ab, wobei diese von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ebenso abhängt wie von seinen Möglichkeiten zur Kapitalaufbringung.
Zur Ermittlung der Risikotragfähigkeit können sowohl quantitative als auch qualitative Methoden herangezogen werden. Gleichermaßen pragmatisch wie aussagekräftig sind Kennzahlen, die auf den Zusammenhang zwischen bestandsgefährdenden Risiken und der Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens abstellen, etwa weil bei ihrem Eintritt eine Kreditvereinbarung („Covenant“) verletzt oder eine Mindestanforderung an das Rating unterschritten wird, mit der Folge einer Kreditkündigung.
Konzernweite Risikoaggregation
Ausgangspunkt für die geforderte Risikoaggregation ist wie bisher die systematische Bewertung der identifizierten Risiken im Hinblick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und ihre möglichen Auswirkungen. Dabei sind die bekannten Risiken der Vergangenheit zwingend um solche Risiken zu ergänzen, die sich aus den zunehmenden Anforderungen an Unternehmen ergeben, etwa an die Digitalisierung des Geschäftsmodells oder seine Nachhaltigkeit.
Allerdings ergeben sich bestandsgefährdende Entwicklungen häufig nicht aus isolierten Einzelrisiken und ihrer Addition, sondern aus ihrer Kombination und unter Berücksichtigung wechselseitiger Abhängigkeiten, welche die Risikowirkungen sowohl verstärken als auch kompensieren können. Diese Aggregation hat methodisch fundiert auf der Basis eines quantitativen oder qualitativen Verfahrens zu erfolgen, wobei alle potentiell bestandsgefährdenden Szenarien zu untersuchen sind. Zur Bestimmung der Auswirkungen auf die zuvor definierten Kennzahlen eignen sich z. B. Expertenschätzungen oder Szenarioanalysen wie das in der Praxis häufig angewendete Monte-Carlo-Simulationsverfahren.
Umsetzung, Prüfung und Berichterstattung
Für den Abschlussprüfer einer börsennotierten AG rücken durch den IDW PS 340 n.F. die eingesetzten Verfahren stärker in den Fokus der Prüfung. Stellt er bei seiner Prüfung wesentliche Mängel des Risikofrüherkennungssystems fest, ist dies zudem nun stets im Prüfungsbericht darzustellen und die Erklärung zum Risikofrüherkennungssystem im Prüfungsbericht einzuschränken. Bei umfassenden Mängeln, die nicht auf bestimmte Teile der Maßnahmen nach § 9 Abs. 2 AktG einzugrenzen sind, ist die Aussage im Prüfungsbericht zu versagen. Die Erstanwendung des IDW PS 340 n.F. durch den Abschlussprüfer ist für Geschäftsjahre verpflichtend, die nach dem 31.12.2020 begonnen haben.
Unternehmen sind also gut beraten, ihre Risikofrüherkennungssysteme auf den Prüfstand zu stellen und sofern noch nicht geschehen, an die Anforderungen des neuen Standards anzupassen.