Bis zum Ergehen des Urteils des BFH vom 24.9.2014 (Az. V R 19/11, DStR 2014, S. 2505), das von der Finanzverwaltung nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 28.9.2016 (BStBl. 2016 I S. 1043) angewandt wird, wurden Lieferungen von Zytostatika als umsatzsteuerpflichtig behandelt. Dementsprechend führten Krankenkassen auf der Grundlage dieser - nunmehr überholten Rechtslage - Umsatzsteuer ab. Aus diesem Grund versuchen Krankenkassen nun, für die Vergangenheit zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer zurückzufordern. Das OLG Schleswig bejahte in seinem Urteil vom 6.12.2017 (Az. 4 U 69/17, Das Krankenhaus 2018, S. 222, siehe auch novus Gesundheitswesen, I. Quartal 2018) bei einer Bruttopreisvereinbarung mit einer privaten Krankenkasse einen entsprechenden Rückforderungsanspruch.
Nunmehr hatte das OLG Braunschweig mit Urteil vom 22.5.2018 (Az. 8 U 130/17, Das Krankenhaus 2018, S. 13) darüber zu entscheiden, ob bei einem Nettovertrag mit einer privaten Krankenkasse ebenfalls ein solcher Rückforderungsanspruch besteht. In diesem Fall hatte das beklagte Krankenhaus die Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent bei Rechnungslegung gesondert ausgewiesen. Das OLG Braunschweig legte die Nettopreisabrede so aus, dass neben dem Nettopreis die tatsächlich anfallende Umsatzsteuer geschuldet sei. Da eine Umsatzsteuerpflicht tatsächlich aber nicht bestand, fehlt es laut OLG an einem Rechtsgrund für die Zahlung der Umsatzsteuer, so dass die Krankenkasse die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern könne (§ 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB). Aus dem Umstand, dass nach § 14c UStG auch zu Unrecht ausgewiesene Umsatzsteuer abgeführt werden muss, ergebe sich nichts anderes, weil sonst eine Nettopreisvereinbarung keinen Sinn ergebe. Auch dass die Finanzverwaltung nach dem o.a. BMF-Schreiben es nicht beanstandet, wenn bis Ende 2016 Umsatzsteuer auf Zytostatika abgeführt und entsprechend der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, lasse die zivilrechtliche Verpflichtung zur Rechnungsberichtigung unberührt.
Ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bestehe nach § 818 Abs. 3 BGB nicht mehr, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Hierauf berief sich das beklagte Krankenhaus, da sich die Umsatzsteuer mit der Abführung an den Fiskus nicht mehr in ihrem Vermögen befinde.
Hiergegen wendet das OLG Braunschweig ein, dass eine Entreicherung nur dann gegeben sei, wenn der Anspruch gegen das Finanzamt auf Rückerstattung der Umsatzsteuer uneinbringlich oder seine Durchsetzung äußerst schwierig ist. Beides sei hier nicht der Fall. Die Festsetzung war nicht bestandskräftig und nach der nun eindeutig festgestellten Rechtslage ist die Finanzverwaltung verpflichtet, die Umsatzsteuer zu korrigieren. Das Gericht sah auch keine äußerste Schwierigkeit in der Durchsetzung der Forderung. Hauptargument hierfür war für das OLG, dass nicht sämtliche Zytostatika-Rezepte auf die richtige umsatzsteuerliche Behandlung hin zu untersuchen sind, sondern nur diejenigen Rezepte, die die betreffende private Krankenkasse zur Überprüfung geltend macht und einreicht. Zudem ergebe sich aus dem Heilbehandlungsvertrag i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB die Nebenpflicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen. Aus der Nettopreisabrede erfolge die Verpflichtung, den Vertragspartner nur mit der Umsatzsteuer zu belasten, die auch tatsächlich anfällt.
Hinweis
Die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Bestätigt der BGH die Rechtsprechung der OLG Schleswig-Holstein und Braunschweig, könnte man sich sowohl bei Brutto- als auch bei Nettopreisabreden kaum gegen Rückforderungsansprüche von privaten Krankenkassen wehren, soweit nicht die dreijährige Verjährungsfrist für Bereicherungsansprüche abgelaufen ist und die Umsatzsteuer für das betreffende Geschäftsjahr noch nicht bestandskräftig veranlagt ist. Bei einer Bruttopreisabrede haben die Krankenkassen nach diesen Urteilen einen Anpassungsanspruch auf Festsetzung des Nettopreises, weil den privaten Krankenkassen ein Festhalten am Bruttovertrag nicht zumutbar sei; bei einer Nettovereinbarung wird ohnehin die Umsatzsteuer nur geschuldet, wenn tatsächlich eine Umsatzsteuerpflicht besteht. Die Inanspruchnahme der Übergangsregelung der Finanzverwaltung bis 2016 kann genauso wenig gegen einen Rückforderungsanspruch der privaten Krankenkassen geltend gemacht werden wie der erhebliche Verwaltungsaufwand wegen der Prüfung der von den privaten Krankenkassen eingereichten Rezepte.
Es bleibt abzuwarten, wie der BGH letztlich über die Rückzahlungsansprüche der privaten Krankenkassen entscheiden und ob diese Rechtsprechung mit der Rechtsprechung des BSG über die Rückzahlungsansprüche der gesetzlichen Krankenkassen übereinstimmen wird.