Der EuGH hat entschieden, dass die Kommission den selektiven Charakter der Sanierungsklausel anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt hat.
Die sog. Sanierungsklausel wurde im Juni 2009 rückwirkend zum 1.1.2008 in § 8c Abs. 1a KStG in das Körperschaftsteuergesetz eingefügt. Danach besteht die Möglichkeit des Verlustvortrags auf künftige Steuerjahre trotz Erwerbs einer Beteiligung von 25% oder mehr.
Die EU-Kommission beurteilte die Regelung jedoch mit Beschluss vom 26.1.2011 als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe. Die EU-Kommission vertrat die Auffassung, dass diese Klausel eine Ausnahme von der (in § 8c Abs. 1 KStG aufgestellten) Regel des (anteiligen oder vollständigen) Verfalls von ungenutzten Verlusten bei Körperschaften schafft, bei denen es zu einem "schädlichen" Beteiligungserwerb gekommen sei. Ein solcher liegt bei einem Erwerb von 25 % der Anteile oder mehr vor. Daher könne die Sanierungsklausel Unternehmen einen nicht gerechtfertigten selektiven Vorteil verschaffen, so die EU-Kommission. Sie wies Deutschland daraufhin an, alle aufgrund der Sanierungsklausel gewährten unvereinbaren Beihilfen von den Begünstigten zurückzufordern und der Kommission eine Liste dieser Begünstigten zu übermitteln.
Gegen den Beschluss der EU-Kommission klagten zwei Unternehmen ohne Erfolg vor dem EuG, der die Klagen mit Urteilen 4.2.2016 (Az. T-287/11, T-620/11) als unbegründet zurückwies. Daraufhin zogen die beiden Unternehmen und Deutschland vor den EuGH.
Der EuGH kommt mit Urteil vom 28.6.2018 (Rs. C-203/16 P, C-208/16 P, C-209/16 P, C-219/16 P) zu dem Ergebnis, dass der streitige Beschluss der EU-Kommission nichtig ist. Er begründet dies damit, dass die Kommission den selektiven Charakter der Sanierungsklausel anhand eines fehlerhaft bestimmten Referenzsystems beurteilt hat. Es sei fälschlich allein die Regel des Verfalls von Verlusten als maßgebliches Referenzsystems eingestuft und die allgemeine Regel des Verlustvortrags von diesem Referenzsystem ausgenommen worden. Trotz seiner Feststellung, dass es eine für alle körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen geltende allgemeine Steuerregel, nämlich die Regel des Verlustvortrags, gebe, habe das EuG gleichwohl entschieden, dass die Kommission keinen Fehler begangen habe. Die Annahme der Kommission, dass das für die Beurteilung des selektiven Charakters der streitigen Maßnahme maßgebende Referenzsystem allein aus der Regel des Verfalls von Verlusten bestehe, obwohl die letztgenannte Regel selbst unstreitig eine Ausnahme von der Regel des Verlustvortrags darstellte und obwohl die Prüfung des gesamten Inhalts dieser Bestimmungen die Feststellung hätte ermöglichen müssen, dass die Sanierungsklausel dazu führte, eine unter die allgemeine Regel des Verlustvortrags fallende Situation zu definieren, beurteilt der EuGH als unzutreffend. Die Selektivität einer steuerlichen Maßnahme könne nicht zutreffend anhand eines Referenzsystems beurteilt werden, das aus einigen Bestimmungen bestehe, die aus einem breiteren rechtlichen Rahmen künstlich herausgelöst worden seien, so der EuGH. Durch den Ausschluss der allgemeinen Regel des Verlustvortrags von dem im vorliegenden Fall maßgebenden Referenzsystem habe das EuG somit dieses System offensichtlich zu eng definiert.