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Rechtsberatung

Scheinselbständigkeit: Rückabwicklung eines (vermeintlich) freien Mitarbeiterverhältnisses

Bei der Rück­ab­wick­lung ei­nes (ver­meint­lich) freien Mit­ar­bei­ter­verhält­nis­ses kann der Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich die Rück­zah­lung über­zahl­ter Ho­no­rare ver­lan­gen. Et­was an­de­res gilt aber dann, wenn der nun­mehr als Ar­beit­neh­mer ein­ge­ord­nete Ver­trags­part­ner Ver­trau­ens­schutz auf den ver­ein­bar­ten Sta­tus ge­nießt.

Stellt sich bei­spiels­weise im Rah­men ei­ner Be­triebsprüfung ein freies Mit­ar­bei­ter­verhält­nis im Nach­hin­ein als Schein­selbständig­keit und da­mit als Ar­beits­verhält­nis her­aus, hat dies er­heb­li­che Kon­se­quen­zen vor al­lem für den Ar­beit­ge­ber. Der Ar­beit­ge­ber muss rück­wir­kend So­zi­al­ver­si­che­rungs­beiträge ent­rich­ten, und zwar so­wohl die Ar­beit­ge­ber- als auch die Ar­beit­neh­mer­beiträge. Die Rück­for­de­rung der Ar­beit­neh­mer­beiträge beim Ar­beit­neh­mer ist nur ein­ge­schränkt möglich und be­schränkt sich re­gelmäßig auf die nächs­ten drei Ge­halts­zah­lun­gen.

Hat der Ar­beit­ge­ber un­ter­schied­li­che Vergütungs­ord­nun­gen für Ar­beit­neh­mer und freie Mit­ar­bei­ter, hat der Ar­beit­neh­mer nach Fest­stel­lung der Ar­beit­neh­merei­gen­schaft nur noch An­spruch auf die Ar­beit­neh­mer­vergütung. Re­gelmäßig ist das Ho­no­rar für eine freie Mit­ar­bei­tertätig­keit aber höher als das Ge­halt für einen Ar­beit­neh­mer, da der freie Mit­ar­bei­ter an­ders als ein Ar­beit­neh­mer be­stimmte Ri­si­ken wie Ur­laub oder Krank­heit selbst ab­de­cken muss. Da­her kann der Ar­beit­ge­ber vom Ar­beit­neh­mer grundsätz­lich nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die Rück­zah­lung über­zahl­ter Ho­no­rare ver­lan­gen. Die­ser Be­rei­che­rungs­an­spruch um­fasst al­ler­dings nicht sämt­li­che Ho­no­rar­zah­lun­gen, son­dern nur die Dif­fe­renz zwi­schen bei­den Vergütun­gen. Es ist also ein Saldo zu er­rech­nen, der sich aus dem Brut­to­ar­beits­ver­dienst als Ar­beit­neh­mer zuzüglich der Ar­beit­ge­ber­an­teile am Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag ge­genüber den ge­leis­te­ten Ho­no­ra­ren aus der freien Mit­ar­bei­tertätig­keit er­gibt. Je­doch ist durch die Recht­spre­chung an­er­kannt, dass durch die Ver­ein­ba­rung und Be­hand­lung des Rechts­verhält­nis­ses als freie Mit­ar­beit beim Mit­ar­bei­ter ein Ver­trau­en­stat­be­stand ge­schaf­fen wird. Der Ar­beit­ge­ber han­delt des­halb rechts­missbräuch­lich, wenn er ver­sucht, dem Mit­ar­bei­ter die durch die freie Mit­ar­beit er­hal­te­nen Vor­teile zu ent­zie­hen. Die Rück­for­de­rung ist nur dann nicht rechts­missbräuch­lich, wenn sie sich auf den Zeit­raum be­schränkt, für den der Ar­beit­neh­mer selbst Klage er­hebt und das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses gel­tend macht (BAG, Ur­teil vom 08.11.2006, Az. 5 AZR 706/05) oder die Fest­stel­lung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses in einem Sta­tus­fest­stel­lungs­ver­fah­ren bei der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung Bund ver­langt.

In ei­ner neue­ren Ent­schei­dung des LAG München (Ur­teil vom 11.08.2023, Az. 7 Sa 610/22) ging es auch um die Rück­ab­wick­lung ei­nes freien Mit­ar­bei­ter­verhält­nis­ses, nach­dem bei ei­ner Be­triebsprüfung das Ver­trags­verhält­nis mit ei­ner Pra­xis­ge­mein­schaft als Ar­beits­verhält­nis ein­ge­ord­net wor­den war. Hier hatte der Ein­wand des Rechts­miss­brauchs Er­folg, weil die Ar­beit­neh­me­rin zu kei­nem Zeit­punkt die Ein­ord­nung des Ver­trags­verhält­nis­ses als freies Mit­ar­bei­ter­verhält­nis in Zwei­fel ge­zo­gen hatte. Viel­mehr durfte sich die Ar­beit­neh­me­rin auf die in der Pra­xis­ge­mein­schaft zwan­zig Jahre ge­lebte Sach- und Rechts­lage ver­las­sen. Sie hatte selbst keine Sta­tus­klage ein­ge­legt und le­dig­lich auf An­frage der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung Bund im Rah­men ih­rer Mit­wir­kungs­pflicht Auskünfte zu ih­rem Sta­tus be­ant­wor­tet. Die Re­vi­sion beim BAG ist anhängig un­ter dem Az. 5 AZR 272/23.

Hin­weis: Kommt es zu ei­ner Sta­tusände­rung ei­nes Mit­ar­bei­ters, der als freier Mit­ar­bei­ter be­schäftigt wird, aber tatsäch­lich Ar­beit­neh­mer ist, soll­ten Ar­beit­ge­ber die Rück­for­de­rung über­zahl­ter Ho­no­rare in Erwägung zie­hen. Ob eine sol­che Rück­zah­lungs­klage Er­folg ha­ben kann, ist dann von den Umständen des Ein­zel­falls, ins­be­son­dere dem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers während der Be­schäfti­gung als freier Mit­ar­bei­ter abhängig. Das LAG München führt in­so­weit die bis­he­rige Recht­spre­chung zur Rück­for­de­rung über­zahl­ter Ho­no­rare fort und ana­ly­siert de­tail­liert, wann sich der Mit­ar­bei­ter auf einen Ver­trau­en­stat­be­stand und den Ein­wand des Rechts­miss­brauchs bei der Rück­for­de­rung von Ho­no­ra­ren be­ru­fen kann.

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