Die Anzahl von Ermittlungsverfahren gegen Unternehmensverantwortliche wegen des Tatvorwurfes der „Scheinselbstständigkeit“ steigt. Hierbei stehen besonders Unternehmen im Fokus, die vermeintlich Selbstständige auf Honorarbasis entlohnen.
Nach § 266a Abs. 1 StGB stellt das vorsätzliche Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen eine Straftat dar. Die Frage, ob eine bestimmte Person als Arbeitnehmer einzuordnen ist, muss in einer Vielzahl von Konstellationen einer umfangreichen Einzelfallprüfung unterzogen werden. Sofern dies am Ende bejaht wird, hängt eine mögliche Strafbarkeit der Unternehmensverantwortlichen lediglich noch davon ab, ob die Betroffenen vorsätzlich gehandelt haben.
Maßgeblich hierfür ist die Bewertung und Vorstellung über die Arbeitgeberstellung.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) musste sich die Kenntnis und der Wille der Unternehmensverantwortlichen bezüglich der Eigenschaft als Arbeitgeber sowie die daraus resultierenden sozialversicherungsrechtlichen Pflichten nur auf die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände beziehen. Einer zutreffenden rechtlichen Einordnung der möglichen Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Pflichten bedurfte es nicht. Wenn die Unternehmensverantwortlichen Kenntnis von den tatsächlichen Verhältnissen hatten, jedoch glaubten, sie seien nicht Arbeitgeber oder müssten nicht für die Abführung der Beiträge Sorge tragen, konnte dies dennoch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Die bisherige Auslegung des Vorsatzes war deutlich weitreichender als bei anderen Delikten und erschwerte die Verteidigung in den entsprechenden Ermittlungsverfahren deutlich.
Nach der Rechtsprechungsänderung, die der BGH mit Beschluss vom 24.9.2019 (Az. 1 StR 346/18) vollzogen hat, ist es jedoch erforderlich, dass der Unternehmensverantwortliche seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat.
Hierbei muss er selbst nicht nur Kenntnis über die maßgeblichen tatsächlichen Umstände gehabt, sondern auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts nachvollzogen haben. Dabei ist für den Verantwortlichen sein eigener „laienhafter“ Bewertungsmaßstab (sog. „Parallelwertung in der Laiensphäre“) anzusetzen, um zu bestimmen, ob dieser erkannt hat, dass seinerseits die Stellung des Unternehmens als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht unzutreffend eingeordnet wurde.
Die für diese Bewertung vorzunehmende Prüfung muss selbstverständlich für jeden Einzelfall gesondert anhand der jeweiligen Gesamtumstände vorgenommen werden.
Hinweis
Die Folgen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfes der Scheinselbständigkeit sind für Unternehmen und deren Verantwortliche oft weitreichend. Neben einer Strafbarkeit nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) drohen den Betroffenen auch steuerstrafrechtliche Konsequenzen; häufig wird zusätzlich eine nicht unerhebliche Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG gegen das Unternehmen verhängt.
Um diese Risiken einschließlich der erheblichen Nachforderungen zu vermeiden, sollten Zweifelsfälle dringend einer gesonderten Prüfung unterzogen werden.