Der Sachverhalt:
Das zuständige Verwaltungsgericht erklärte die Entscheidungen der AGCM für nichtig und stellte fest, für die Geldbußen sei eine andere Behörde, die Kommunikationsregulierungsbehörde AGCom, zuständig. Der mit dem Rechtsmittelverfahren befasste Staatsrat legte seinem Plenarsenat Fragen zur Vorabentscheidung vor. Dieser entschied 2016 zunächst, nach italienischem Recht liege die Zuständigkeit für die Sanktionierung einer einfachen Verletzung der Informationspflicht auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation bei der AGCom, wohingegen für die Sanktionierung einer aggressiven Geschäftspraxis - auch auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation - die AGCM zuständig sei.
Der Staatsrat stellte allerdings in Frage, ob diese Auslegung mit Unionsrecht vereinbar ist. Deshalb stellte er dem EuGH Vorabentscheidungsfragen, und zwar zur Auslegung zum einen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken RL 2005/29/EG vom 11.5.2005 (deren Ziel die Gewährleistung eines hohen Schutzes der Verbraucher ist) und zum anderen des Unionsrechts auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation (insbesondere der Rahmenrichtlinie 2002/21/EG vom 7.3.2002 und der Universaldienstrichtlinie 2002/22/EG vom 7.3.2002 durch die, die nationalen Regierungsbehörden [in Italien: AGCom] mit der Aufgabe betraut werden, ein hohes Verbraucherschutzniveau auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten).
Er stellte insbesondere die Fragen, ob das Verhalten der Telefonanbieter als aggressive Geschäftspraxis i.S.d. Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken angesehen werden kann und ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung unter die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken fällt, so dass die nationalen Kommunikationsregulierungsbehörden nicht für die Sanktionierung eines solchen Verhaltens zuständig sind. Der EuGH bejahte die Fragen.
Die Gründe:
Die Inanspruchnahme eines Dienstes muss eine freie Entscheidung des Verbrauchers darstellen. Wurde der Verbraucher jedoch weder über die Kosten der Dienste noch über ihre Vorinstallation und Aktivierung auf der von ihm gekauften SIM-Karte aufgeklärt, dann beruht die Erbringung der Dienste nicht auf seiner freien Entscheidung. Es ist dafür unerheblich, ob der Verbraucher die Möglichkeit hat, die Dienste abzuschalten, da er nicht darüber aufgeklärt wurde, dass es sie überhaupt gibt.
Es ist nicht offensichtlich, dass sich der durchschnittliche Käufer einer SIM-Karte bewusst wäre, dass die Karte vorinstallierte und aktivierte kostenpflichtige Dienste enthält oder, dass Anwendungen sich von ihm unbemerkt mit dem Internet verbinden können. Außerdem ist nicht davonauszugehen, dass der durchschnittliche Käufer über ausreichendes technisches Können verfügen würde, um diese Dienste oder automatischen Verbindungen abzuschalten.
Das Verhalten der beiden Telefonanbieter stellt daher die Lieferung einer unbestellten Ware oder Dienstleistung und somit auch nach der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eine unter allen Umständen unlautere aggressive Praktik dar.
Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken kollidiert im Hinblick auf die Rechte der Verbraucher nicht mit der Universaldienstrichtlinie, da die Universaldienstrichtlinie die Informationspflicht der Telekommunikationsanbieter regelt, wohingegen die andere Richtlinie unlautere Geschäftspraktiken regelt. Aufgrund dessen steht das Unionsrecht nicht einer nationalen Regelung entgegen, wonach das fragliche Verhalten der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken unterfällt mit der Folge, dass die nationalen Kommunikationsregulierungsbehörde (hier: AGCom) für die Sanktionierung für ein solches Verhalten nicht zuständig ist.
Linkhinweis:
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