Das 2017 von der Hamburger Sparkasse initiierte Förderprogramm für Gründer mit handelsnahen Geschäftsmodellen rund um Dienstleistungen, E-Commerce, Werbung und Technologie unterstützt Start-ups bei ihren ersten Gehversuchen und bringt die Newcomer mit etablierten Unternehmen an einen Tisch. Florian Riedl, Wirtschaftsprüfer und Partner bei Ebner Stolz in Hamburg, spricht mit Thorsten Wittmütz, Managing Partner bei NCA.
Herr Wittmütz, wie kam es zur Gründung der Next Commerce Accelerator GmbH und wie arbeiten Unternehmen und NCA zusammen?
Aus dem Gedanken heraus, Unternehmen einen besseren Zugang zu Innovationen sowie Start-ups einen besseren Zugang zu etablierten Marktteilnehmern zu verschaffen, wurde der NCA 2017 ins Leben gerufen.
Corporates beteiligen sich am NCA im Regelfall als Investoren und Gesellschafter in unseren Fonds. Auf diesem Weg ist der NCA nicht nur ein Innovationsdienstleister, sondern die beteiligten Gesellschafter erhalten als Gesellschafter die Möglichkeit, ihr investiertes Kapital verzinst wieder zurück zu erhalten.
Wie ist die konkrete Aufgabenstellung des NCA?
Im Auftrag der beteiligten Corporates screenen und sourcen wir jedes Jahr ca. 1.000 frühphasige Start-ups mit innovativen Produkten oder Dienstleistungen zum Thema Handel. Das können B2C-, B2B- oder auch plattform-bedingte, skalierbare, digitale Geschäftsmodelle aus ganz Europa und darüber hinaus sein.
Wie erfolgt die Auswahl der geförderten Start-ups?
Neben dem Reifegrad der Start-ups und einem ersten Proof am Markt ist für uns vor allem das Gründerteam entscheidend. Dieses sollte nicht nur komplementär, sondern auch in der Lage sein, agil und iterativ Geschäftsmodelle zu entwickeln und am Markt einzuführen. Weiterhin spielen bei unserer Auswahl die Marktgröße, die Skalierbarkeit der angestrebten Lösung, der generelle Innovationsgrad und der Fit zu unseren Partnerunternehmen jeweils eine entscheidende Rolle.
Wie erfolgt die Förderung von Start-ups durch NCA?
Alle sechs Monate wählen wir aus ca. 200 pro-aktiven Bewerbungen jeweils fünf Start-ups aus und beteiligen uns im Rahmen unseres Acceleration-Programms. Wir unterstützen die Gründerteams bei uns vor Ort in Hamburg mit einem maßgeschneiderten Curriculum, intensivem Coaching, Zugang zu unseren Investoren als erste Partner oder Kunden und mit bis zu 50.000 Euro in Cash. Im Gegenzug erhalten wir eine Beteiligung von bis zu 8 % am Start-up.
Wie sieht das Mentorenprogramm von NCA aus?
Im allerersten Schritt coachen wir als NCA unsere Start-ups. Mein Partner Christoph Schepan und ich haben beide in der Vergangenheit eigene Unternehmen gegründet, weiterentwickelt und erfolgreich veräußert. Als gelernter Entwickler hat Christoph einen enormen Erfahrungsschatz, was die Themen digitale Produktentwicklung und zugrundeliegende Technologie angeht. Für die Otto-Gruppe hat er Unternehmen aufgebaut, den Beherbergungs-Sektor mit Airbnb, Wimdu und 9flats ordentlich durchgewirbelt und mit Wunder Mobility den Mitfahrdienst in Deutschland etabliert.
Ich unterstütze die Start-ups vor allem in der strategischen Ausrichtung, im Marketing und Sales sowie bei finanziellen Fragestellungen. Seit mehr als zehn Jahren unterstütze ich Corporates, Start-ups und Finanzinstitute bei Innovations- und Corporate Finance Themen. In diesem Rahmen bringe ich Erfahrung aus mehr als 50 Venture Capital Runden, fast 100 Due Diligence-Prüfungen und einer hohen Anzahl von Akquisitionen ein.
Darüber hinaus arbeiten wir mit fast 200 externen Mentoren zusammen. Dies sind entweder Experten auf ihren jeweiligen Gebieten oder Executives, die ihre Erfahrung und ihr Netzwerk einbringen. Alle Mentoren stehen unseren Start-ups dabei selektiv vor allem mit Rat und weniger mit Tat zur Seite.
In welchen Bereichen benötigen Start-ups am meisten Unterstützung?
Das hängt immer ganz vom Background der jeweiligen Gründer ab. Für uns ist es wichtig, dass am Ende unseres sechsmonatigen Acceleration-Programms ein valides Geschäftsmodell steht und das Team in der Lage ist, eine strukturierte Folgefinanzierung aufzunehmen. Diese wird bei digitalen Themen im Regelfall benötigt, um das angestrebte Wachstum zu gestalten.
Um dazu in der Lage zu sein, müssen die Gründer die Dinge ganzheitlich angehen. Neben einem skalierbaren Geschäftsmodell und einem Produkt, das sich vom Wettbewerb abhebt, zählt dazu ein adressierbarer Markt, der groß genug ist, eine mitwachsende Technologieplattform, ein komplementäres Team, eine nachvollziehbare Marketingstrategie, ein klarer Vertriebsansatz, eine Entwicklungs-Roadmap sowie ein Finanzplan, in dem die Annahmen zu der Entwicklung in den genannten Bereichen zusammengetragen sind.
In all diesen Themen plus weitere, wie z. B. auch die rechtliche Komponente von Risikokapitalfinanzierungen, coachen wir unsere Start-ups während der sechs Monate.
Wie hoch ist das Interesse von etablierten Unternehmen, sich über NCA mit Start-ups zu vernetzen?
Das Interesse ist sehr hoch. Nachdem wir 2017 mit unserem ersten Fonds und zehn Investoren gestartet sind, konnten wir in unserem zweiten Fonds bereits fast zwanzig Investoren aufnehmen. All unseren Industrie-Investoren bieten wir vollen Zugang zu unseren Beteiligungsunternehmen, aber auch zu den weiteren fast 1.000 Unternehmen, die wir Jahr für Jahr screenen. Das wird von allen Investoren regelmäßig genutzt.
Wie wird die Vernetzung zwischen den Newcomern und den etablierten Unternehmen konkret gelebt und was ist die Rolle von NCA in diesem Beziehungsgeflecht?
Wir als NCA verstehen uns als Plattform, die genau diese Vernetzung unterstützt. Dazu haben wir verschiedene Formate entwickelt. Ganz am Anfang der Zusammenarbeit mit einem neuen Start-up steht ein eintägiger produktfokussierter Workshop, an dem auch Vertreter ausgewählter Unternehmen teilnehmen. Nach ca. sechs Wochen der Zusammenarbeit mit unseren Gründerteams lernen alle unsere Corporate-Partner im Rahmen eines Speed-Datings all unsere aktuellen Start-ups kennen. Daraus ergeben sich dann häufig Folgetermine. Am Ende eines jeden Jahrgangs findet unser Demo-Day statt, auf dem unsere Start-ups präsentieren, was sie in den vergangenen sechs Monaten erreicht haben. Auch dort sind all unsere Unternehmenspartner anwesend und tauschen sich mit den Gründern aus. All das Vorgenannte findet in der Regel zwei Mal pro Jahr statt, sodass wir uns mindestens alle zwei Monate sehen.
Welcher Mehrwert ergibt sich für etablierte Unternehmen durch diese Vernetzung?
Es gilt mittlerweile als erwiesen, dass Innovationen nicht in etablierten Unternehmensorganisationen stattfinden können. Als externer Dienstleister tragen wir somit einen kleinen Teil zur Weiterentwicklung unserer Investoren bei. Die Unternehmen erhalten Zugang zu neuartigen Produkten und Dienstleistungen und können diese als erste am Markt einsetzen. Darüber hinaus kommt es häufig zu einer erweiterten Zusammenarbeit bis hin zur Akquisition eines unserer Start-ups durch einen unserer Industrie-Investoren.
Was können junge Unternehmer von den alten Hasen lernen - und umgekehrt können sich die erfahrenen Unternehmen wahrscheinlich auch eine Scheibe von den Newcomern abschneiden, wenn ja, wo?
Was den Gründern häufig fehlt, ist die Expertise darüber, wie Märkte derzeit funktionieren. Um einen Markt jedoch verändern zu können, ist dieses Verständnis über aktuelle Gegebenheiten enorm wichtig. Diese Information ist häufig bei unseren Corporate Partnern vorhanden.
Umgekehrt lernen die Alteingesessenen von den Emporkömmlingen vor allem Geschwindigkeit, Persistenz und innovatives Denken.
So erhalten alle einen neuen Blick auf den Markt und lernen voneinander.
Was geschieht am Ende des sechsmonatigen Acceleration-Programms?
Als Gesellschafter werden wir langfristiger Partner unserer Beteiligungsunternehmen. Bei mehr als 50 % unserer Start-ups findet innerhalb der ersten sechs Monate nach Abschluss unseres Programms eine neue strukturierte Finanzierungsrunde statt, um das Gelernte umzusetzen. Die durchschnittliche Folgefinanzierungshöhe beträgt dabei 600.000 Euro pro Start-up innerhalb des ersten Jahres nach Beendigung unseres Programms.
Welches war das bisher herausragendste Start-up, das NCA gefördert hat und wie sieht dessen Marktposition heute aus?
Jenes Start-up, das bisher am meisten Aufmerksamkeit erzielt hat, ist das Start-up Localyze, das wir im Sommer 2018 unterstützt haben. Localyze bietet eine Plattform für die Unterstützung der Relocation internationaler Facharbeitskräfte. Also ein Service, der bis dato vor allem Executives vorbehalten war. Nach Beendigung des NCAs haben die drei Gründerinnen eine Finanzierung vom Y-Combinator aus dem Silicon Valley erhalten und mittlerweile internationale Spitzen-VCs mit an Bord. Der Service ist außerhalb Deutschlands auch in Kanada und Spanien verfügbar und wird intensiv nachgefragt.
Welches Feedback - positiv wie negativ - haben Sie von der Industrie erhalten? Wo sehen Sie Wachstumspotential?
Positiv ist, dass wir mit dem Großteil unserer Corporate Partner nun bereits seit 2017 erfolgreich zusammenarbeiten und dies auch bis mindestens 2024 fortführen werden. Das ist für uns der Beweis, dass unser Innovation-as-a-Service-Ansatz gepaart mit der Aussicht auf Rendite funktioniert und angenommen wird. Wir sind damit wesentlich kosteneffektiver als jeder andere Innovationsdienstleister und Digitalisierungsberater.
Negativ gesehen wird teilweise, dass manche Start-ups zum Beteiligungszeitpunkt noch zu früh dran sind, um mit ihren Produkten einzelnen Unternehmen bereits zu unterstützen. In dem Fall müssen sich dann die Unternehmen eben auch einmal ein bisschen gedulden.
Wachstumspotenzial sehen wir unter anderem aufgrund der aktuellen COVID-19-Situation. Selten haben sich Arbeitswelten und eingesessene Strukturen in solch einer schnellen Geschwindigkeit gewandelt. Daher sind wir zuversichtlich, dass auch die Produkte und Services unserer Start-ups zukünftig noch schneller getestet, ausprobiert und implementiert werden.