Der Kläger war in den Streitjahren 2007 und 2008 gemeinsam mit seinen beiden Schwestern, den Beigeladenen, Gesellschafter der D-GmbH. Außerdem war der Kläger in den Streitjahren alleiniger Gesellschafter der D1-GmbH. Der Gesellschaftsvertrag regelt u.a., dass die Gesellschafter nach Maßgabe ihrer Geschäftsanteile am Gewinn und Verlust der GmbH beteiligt sind. Eine Öffnungsklausel dergestalt, dass von diesem Gewinnverteilungsmaßstab durch Gesellschafterbeschluss abgewichen werden könne, existiert nicht.
Im Dezember 2007 hatten die Gesellschafter unter Verzicht auf Formen und Fristen eine Gesellschafterversammlung abgehalten und folgenden Beschluss getroffen:
- "Da kurzfristige Investitionen nicht vorgesehen sind, ist die vorgehaltene Liquidität zurzeit nicht erforderlich.
- Für 2007 wird die Ausschüttung einer Bruttodividende von 180.000 € beschlossen.
- Eine weitere Ausschüttung wird für April 2008 beschlossen. Hierfür ist eine Bruttodividende von ca. 200.000 € vorgesehen.
- Mangels ausreichender Substanz nimmt Herr D1 (Anm.: der Kläger) an den Ausschüttungen nicht teil."
Unterschrieben wurde das Protokoll vom Kläger.
Im Juni 2008 veräußerten die Beigeladenen ihre Geschäftsanteile an der D-GmbH an die D1-GmbH. Der Kaufpreis betrug "unter Berücksichtigung der erfolgten Gewinnausschüttungen" jeweils rund 85.333 €. Der Gewinn für das laufende Geschäftsjahr (= Kalenderjahr) stand bezüglich der verkauften Geschäftsanteile der Käuferin zu. Das gleiche galt für die Gewinne vorangegangener Geschäftsjahre, die nicht bereits unter den Gesellschaftern verteilt waren.
Der Gewinnausschüttungsbeschluss aus Dezember 2007 sowie die Ausschüttungen waren Gegenstand einer steuerlichen Außenprüfung bei der GmbH. Der Betriebsprüfer war der Ansicht, dass die inkongruenten Gewinnausschüttungen nicht anzuerkennen seien, so dass die beiden Gewinnausschüttungen entsprechend dem Beteiligungsverhältnis dem Kläger und den Beigeladenen zu jeweils 1/3 zuzurechnen seien. Daraufhin erhöhte das Finanzamt die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat dem Kläger zu Unrecht Kapitaleinkünfte zugerechnet, die entsprechend dem Gewinnverteilungsbeschluss aus Dezember 2009 nicht ihm, sondern den Beigeladenen zugeflossen waren. Die Zurechnung wäre nur dann zutreffend, wenn man der in der Gesellschafterversammlung beschlossenen inkongruenten Gewinnausschüttung die steuerliche Anerkennung unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten versagte. Hierfür bestanden aber keine Anhaltspunkte; auch das Finanzamt hatte solche Gesichtspunkte nicht dargelegt.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, bestehen grundsätzlich keine Bedenken, eine zivilrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommene inkongruente Gewinnausschüttung gleichfalls steuerlich anzuerkennen, selbst im Fall einer anschließenden inkongruenten Wiedereinlage (so grundlegend BFH-Urt. v. 19.8.1999, Az.: I R 77/96). Diese Auffassung entspricht auch der h.M. in der Literatur und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung. Es gibt keinen Grund, offene inkongruente Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht im Einklang stehen, steuerlich hiervon abweichend zu behandeln. Verdeckte Gewinnausschüttungen werden sehr häufig disquotal verteilt, ohne dass bislang jemand auf die Idee gekommen wäre, die verdeckte Gewinnausschüttung jeweils anteilig allen Gesellschaftern zuzurechnen. Verdeckte Gewinnausschüttungen können mit oder ohne Zustimmung der Gesellschafter durchgeführt werden. Demzufolge kann ein Zufluss nicht aus der Zustimmung abgeleitet werden.
Auch die Finanzverwaltung hat sich dem grundsätzlich angeschlossen (BMF-Schreiben vom 17.12.2013, BStBl. I 2014, 63). Allerdings sei Voraussetzung für die Anerkennung einer inkongruenten Gewinnausschüttung, dass im Gesellschaftsvertrag gem. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ein anderer Verteilungsschlüssel als derjenige nach den Beteiligungsverhältnissen oder aber eine Öffnungsklausel vorgesehen ist, wonach der Verteilungsmaßstab alljährlich einstimmig geändert werden könne. Auch eine nachträgliche Satzungsänderung sei unter Zustimmung aller Gesellschafter möglich. Zudem seien hierbei die Grundsätze des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten zu beachten. Infolgedessen ist der erkennende Senat der Auffassung, dass der Beschluss der Gesellschafterversammlung aus Dezember 2007 auch steuerlich anzuerkennen ist, so dass dem Kläger, dem aus den beschlossenen Gewinnausschüttungen keine Gelder zugeflossen sind, auch einkommensteuerrechtlich keine Kapitalerträge zuzurechnen sind.
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