Darüber reden wir mit Prof. Dr. Christoph Spengel, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre II der Universität Mannheim, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Finanzen und ausgewiesener Experte u. a. im Bereich der nationalen als auch internationalen Unternehmensbesteuerung.
Herr Prof. Spengel, die Bundesregierung hat es vorgeschlagen und der Gesetzgeber trägt es mit, dass enorme Summen in die Hand genommen werden, um die Konjunktur und damit die Wirtschaftsteilnehmer in der Corona-Krise zu unterstützen. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Ansatz?
Alles in allem hat die Bundesregierung in der Corona-Krise sehr vieles richtig gemacht. Die kurzfristigen Liquiditätshilfen, die Anpassungen der Steuervorauszahlungen, das Kurzarbeitergeld. Das in Kraft getretene Konjunkturpaket und die auf europäischer Ebene unlängst getroffenen Maßnahmen halte ich ebenfalls für richtig. Wir müssen in dieser Krise die Wirtschaft so gut es geht stabilisieren, allem voran Anreize für Investitionen setzen und Arbeitsplätze sichern. Leider bleibt die Digitalisierung auf der Strecke. Das betrifft die öffentliche Verwaltung und vor allem unser Schulsystem, das im sog. Homeschooling – für mich bereits heute das Unwort des Jahres – flächendeckend eine Katastrophe ist.
Gehen wir auf einige der Maßnahmen ein. Sie hatten bereits im Mai die Senkung der Umsatzsteuer für Restaurants scharf kritisiert. Wie beurteilen Sie nun die temporäre Absenkung der Umsatzsteuersätze von 19 % auf 16 % bzw. von 7 % auf 5 %? Setzt diese Senkung auf alle in der zweiten Jahreshälfte 2020 erbrachten Umsätze an der falschen Stelle an?
Mit der Senkung der Umsatzsteuersätze soll der Konsum stimuliert werden. Es ist zu früh, die Wirksamkeit dieser Maßnahme zu evaluieren. Wird tatsächlich mehr konsumiert, werden sämtliche Steuersatzsenkungen an die Konsumenten weitergeleitet usw.? Außerdem ist die temporär angelegte Maßnahme mit hohen bürokratischen Umstellungs- und Abgrenzungskosten verbunden. In Anbetracht des fehlenden Digitalisierungsschubes hätte ich mir anstatt einer Umsatzsteuersenkung Tablets für alle Schüler und Lehrer in Deutschland gewünscht.
Sie waren aktiv bei den Anhörungen zu den Corona-Steuerhilfegesetzen beteiligt und hatten auch schon früh darauf hingewiesen, dass eine Ausdehnung des Verlustrücktrags der richtige Weg ist, um den Unternehmen die notwendige Liquidität zu verschaffen. Verluste aus 2020 und 2021 können nun generell jeweils bis zu 5 Mio. Euro ins Vorjahr zurückgetragen werden. Ist damit Ihre Forderung erfüllt?
Nein, das ist zu wenig. Es geht um kurzfristige, zielgerichtete Liquiditätshilfen, die dem Staat im anhaltenden Nullzinsumfeld auch keine nennenswerten Kosten verursachen. Dazu hätte man den Rücktrag von Verlusten, die im Jahr 2020 entstehen werden, betragsmäßig und in zeitlicher Hinsicht weitaus großzügiger fassen müssen. Eine solche Liquiditätshilfe verursacht deswegen kaum nennenswerte Kosten, weil auf diese Weise Verlustvorträge in das Jahr 2021 und damit verbundene niedrigere Steuerzahlungen entfallen. Faktisch würde der Staat einen Kredit für ein Jahr gewähren, der ihn nichts kostet.
Der Gesetzgeber sieht zudem für Unternehmen Liquiditätshilfen vor, die in Form von Zuschüssen gewährt werden. Nachdem diese teilweise missbräuchlich in Anspruch genommen wurden, ist nun eine Beantragung von Zuschüssen für kleine und mittelständische Unternehmen nur über Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte möglich. Diese Hürde erweist sich in der Praxis allerdings als ziemlich aufwändig und ggf. auch schwerfällig. Kommt hier das richtige Mittel zum Einsatz?
Nein, das halte ich für überzogen. Der Betrug bei Corona-Soforthilfen kam zustande, weil auf den Anträgen falsche Bankverbindungen, nämlich die der Betrüger, angegeben wurden und die Finanzverwaltung dies nicht überprüft hat. In den Anträgen auf Soforthilfe mussten auch die Steuernummern angegeben werden, und einer Überprüfung durch das zuständige Finanzamt wurde durch den Antragsteller eingewilligt. Es wäre also ohne weiteres möglich gewesen, über die jeweilige Steuernummer die Korrektheit der Bankverbindung automatisiert und somit schnell zu prüfen. Es handelt sich daher um ein Versäumnis der Finanzbehörden.
Neben staatlichen Liquiditätshilfen sind viele Unternehmen zur Sicherung ihrer Liquidität auf Fremdkapital angewiesen. Auch dazu wurden einige staatliche Programme neu aufgelegt oder erweitert, um Kreditaufnahmen zu erleichtern. Steuerlich werden die Unternehmen dann aber durch Zinsabzugsbeschränkungen bestraft, etwa durch die Zinsschranke und die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Finanzierungsentgelten. Passt das zusammen? Sollte der Gesetzgeber hier nochmals nachbessern?
Bei den gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen von Finanzierungsentgelten hat der Gesetzgeber ja reagiert und den Freibetrag von 100.000 Euro auf 200.000 Euro erhöht. Mehr ist vermutlich ohne eine grundlegende Reform der Gewerbesteuer auch nicht drin, aber das steht jetzt nicht zur Debatte. Den Kommunen brechen ihre Steuereinnahmen gerade massiv weg. Die Zinsschranke kann der deutsche Gesetzgeber nicht ändern, durch die EU-Antimissbrauchsrichtlinie ATAD ist sie EU-weit harmonisiert. Wie sich in einer fundamentalen Krise jetzt herausstellt, war die Zustimmung zur ATAD ein großer Fehler.
Zum Schluss noch Ihre Einschätzung, wird der Wirtschaftsstandort Deutschland aus steuerlicher Sicht gestärkt oder geschwächt aus der Krisensituation herauskommen? Geben Sie dem Gesetzgeber noch weitere To-Dos mit auf den Weg?
Debatten über grundlegende Steuerreformen oder gar Steuersenkungen in Deutschland sind zum jetzigen Zeitpunkt fehl am Platz. Jeder weiß, dass wir seit Jahrzehnten eine rechtsformabhängige Unternehmensbesteuerung haben, aber coronabedingt müssen wir heute nicht über Optionsmodelle diskutieren. Vielmehr sollten Überlegungen angestellt und auch umgesetzt werden, wie wir im kommenden Jahr möglichst steuerschonend aus der Krise herauskommen. Hier sind zwei Maßnahmen besonders wichtig: Die Aussetzung der Mindestbesteuerung für im Jahr 2020 entstandene Verluste, um weiterhin Liquidität zu schonen, sowie großzügige Sonderabschreibungen zur Ankurbelung von Investitionen.