Frau Dr. Wünnemann, starten wir mit der gegenwärtigen Steuer- und Finanzpolitik, bevor wir den Blick in die Zukunft wagen. Hat die Bundesregierung die Wirtschaft in der Corona-Krise mit sinnvollen Maßnahmen gestützt?
Mit zahlreichen steuerlichen Sofortmaßnahmen hat die Bundesregierung die Unternehmen unterstützt und weitreichende Verwaltungs- und Vollzugserleichterungen für die Jahre 2020/2021 geschaffen. Die beiden Corona-Steuerhilfegesetze ermöglichten darüber hinaus sinnvolle Maßnahmen, wie die befristete degressive AfA und eine Erhöhung der Höchstgrenze des Verlustrücktrags. Allerdings war die milliardenschwere befristete Mehrwertsteuersenkung reiner Aktionismus, mit dem mehr Bürokratie als Nutzen entstand.
Trotz breiter Forderungen aus der Wirtschaft wurde vor allem keine durchgreifende Ausweitung der Verlustverrechnung vorgenommen, um die notwendige Liquidität der Unternehmen zu stärken. Ein Großteil der Wirtschaft kann die krisenbedingten Verluste, die sich selbst im Mittelstand häufig in zweistelliger Millionenhöhe bewegen, damit nach wie vor nicht vollständig mit den Gewinnen der Vorjahre verrechnen.
Zahlreiche Unternehmen sind mit der Corona-Krise in wirtschaftliche Turbulenzen geraten oder sehen sich zumindest mit einer deutlich geringeren Eigenkapitaldecke konfrontiert. Nicht die besten Voraussetzungen, um erforderliche Innovationen anzugehen. Um Unternehmen zu entlasten und Spielraum für Investitionen zu schaffen, wird schnell der Ruf nach Steuersatzsenkungen laut. Können wir uns das überhaupt noch leisten?
Wir können uns die Krise leisten, denn Deutschland ist mit einer der besten fiskalischen Ausgangspositionen in die Krise geraten. Die Bundesregierung hat gerade das „Stabilitätsprogramm 2021“ beschlossen. Die Zahlen aus dem Programm zeigen, dass Deutschland weiterhin finanziell gut aufgestellt ist. Danach steigt die Schuldenquote geringer als erwartet und kann zügig und gezielt zurückgeführt werden. Dafür brauchen wir Wirtschaftswachstum und eine Stärkung der Unternehmen. Deutschland ist bei der Steuerbelastung der Unternehmen im internationalen Vergleich mittlerweile Spitzenreiter und das kann sich Deutschland auf Dauer nicht mehr leisten.
Wäre es angesichts knapper staatlicher Kassen nicht sinnvoller, Innovationen gezielt staatlich zu fördern oder zumindest bessere Abschreibungsmöglichkeiten zu schaffen?
Gezielte Investitionsanreize sind sicherlich genauso wichtig wie eine wettbewerbsfähige Steuerbelastung. Deshalb haben wir die Einführung der Forschungszulage im Jahr 2020 sehr begrüßt. Allerdings kann das nur als Einstieg in eine steuerliche Forschungsförderung angesehen werden, denn im Vergleich zu anderen Ländern, wie z. B. Frankreich, sind wir hierbei immer noch nicht konkurrenzfähig. Eine Erhöhung des Fördersatzes und eine Förderung von Sachkosten würde weitere Investitionsanreize schaffen, insbesondere im Mittelstand. Ebenso setzen wir uns für eine Verlängerung der degressiven AfA für Investitionen auch nach 2021 ein.
Sollten konkrete Gegenfinanzierungsmaßnahmen ergriffen werden, um die enormen Belastungen durch die Corona-Krise auszugleichen und Spielraum für steuerpolitische Maßnahmen zu schaffen? Im Gespräch ist ja hier u. a. eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer, eine Umwidmung des Solidaritätszuschlags oder gar die Einführung einer Vermögensabgabe.
Wir brauchen keine Steuererhöhungen oder eine Vermögensteuer, um die Corona-Krise zu finanzieren. Um die Folgen der Krise für die Wirtschaft und den Staatshaushalt zu überwinden, sind Wachstumsimpulse gefragt und Steuererhöhungen sind kontraproduktiv. Eine Vermögensteuer wäre gerade jetzt ein Eigentor für eine schnelle wirtschaftliche Erholung. Eine Vermögensteuer trifft insbesondere den Mittelstand ins Mark und kappt Betriebskapital für notwendige Innovationen. Den Wirtschaftsmotor kurbeln wir nicht mit populistischen Forderungen nach höheren Steuern und Abgaben an, sondern über Investitionen und die Sicherung des betrieblichen Vermögens.
Der aktuellen Unternehmensbesteuerung in Deutschland wird von der Wirtschaft insgesamt kein gutes Zeugnis ausgestellt. Der Ruf nach einer strukturellen Reform wird auch Seitens des BDI immer lauter. Jetzt wurde das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts verabschiedet. Ist das der große Wurf oder wie sollte aus Ihrer Sicht die künftige Besteuerung aussehen?
Eine Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts wurde von der Wirtschaft seit langem gefordert und das KöMoG ist kein großer Wurf, aber es wird endlich ein Einstieg hierzu vorgenommen. Mit dem Optionsmodell wird die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Personengesellschaften im internationalen Vergleich gestärkt. Verpasst wird mit dem KöMoG jedoch die große Chance, die Thesaurierungsbegünstigung für Familienunternehmen (§ 34a EStG) praxistauglich auszugestalten.
Von hoher praktischer Relevanz und eine deutliche Verbesserung ist die Möglichkeit, künftig Verluste aus Währungskursschwankungen im Zusammenhang mit Gesellschafterdarlehen als Betriebsausgabe geltend zu machen. Zu begrüßen ist auch, dass künftig betrieblich sinnvolle Umstrukturierungsmaßnahmen in Drittstaaten (z.B. Verschmelzungen, Spaltungen, Formwechsel) steuerneutral durchgeführt werden können.
Ein großer Wurf wäre eine umfassende Reform der Unternehmenssteuern, bei der die Gewerbesteuer in die Ertragsteuern integriert wird und die steuerliche Verlustverrechnung systematisch reformiert wird, so dass eine sachgerechte Besteuerung der Unternehmen nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgt.
Wird Steuerpolitik eigentlich überhaupt noch in Berlin gemacht oder muss sich der deutsche Gesetzgeber weitgehend darauf beschränken, Vorgaben aus Brüssel umzusetzen, wie beispielsweise bereits im Bereich der Mehrwertsteuer? Müssen wir Steuerpolitik künftig eventuell europäischer denken und kann dann Steuerpolitik überhaupt noch als nationales Lenkungsinstrument eingesetzt werden?
In der Tat ist die deutsche Steuerpolitik immer stärker von europäischen Vorgaben und internationalen Entwicklungen geprägt. Bisher wurden primär im Bereich der Mehrwertsteuer oder im Bereich der Energiesteuern europäische Vorgaben umgesetzt, aber seit dem BEPS-Projekt erstreckt sich dies auch auf die Ertragsteuern. Nun werden wir voraussichtlich über das aktuelle OECD-Projekt Vorgaben für eine globale Mindeststeuer erhalten, die der deutsche Gesetzgeber umsetzen muss, aber im Vorfeld keinen Einfluss hierauf hatte. Die nationale Lenkungsfunktion des Steuerrechts wird damit eingeschränkt, obwohl der aktuelle Wahlkampf zeigt, dass im Rahmen der Diskussion über Umverteilung und Gerechtigkeit immer noch die Steuerpolitik im Fokus steht.
Zu guter Letzt: Welche steuerpolitischen Forderungen stellen Sie an die neue Bundesregierung?
In erster Linie muss die Thesaurierungsbegünstigung für Familienunternehmen (§ 34a EStG) endlich praxistauglich ausgestaltet werden. Gerade in Krisenzeiten ist es notwendig, dass Gewinne, die für Investitionen im Konzern verbleiben, begünstigt besteuert werden.
Außerdem brauchen wir eine weitere Verbesserung der Verlustverrechnung, in dem der Verlustrücktrag zeitlich und der Höhe nach ausgeweitet wird und die Mindeststeuer (zumindest befristet) ausgesetzt wird.
Um stärkere Investitionsanreize zu schaffen, sollte die Forschungszulage erhöht und die degressive AfA nach 2021 für eine gewisse Zeit fortgeschrieben werden. Und schließlich hat die Krise wiederholt die Schwächen der Gewerbesteuer gezeigt, so dass die neue Bundesregierung endlich den Mut für eine Reform der Kommunalfinanzen und eine Integration der Gewerbesteuer in die Ertragsteuern aufbringen muss.