Als Ausfluss des politischen Willens, die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität zu intensivieren, ist nunmehr die Einführung eines Verbandssanktionsgesetzes (VerSanG) vorgesehen. Diese im Rahmen des „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ geplante Neuerung wird nicht allein die Normierung eines Verfolgungszwanges für Ermittlungen gegen Unternehmen zur Folge, sondern insbesondere auch zu einer gravierenden Erhöhung des Sanktionsrahmens (bis zu 10 % des Jahresumsatzes) führen.
Bei Verbandsstraftaten soll zukünftig § 3 VerSanG die bisherige Funktion des § 30 OWiG übernehmen. Diese Norm sieht die Verhängung von Verbandssanktionen vor, wenn
- eine Leitungsperson des Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat (Abs. 1 Nr. 1) oder
- jemand sonst in Wahrnehmung der Angelegenheit des Verbandes eine Verbandsstraftat begangen hat und Leitungspersonen diese Straftat durch angemessene Vorkehrungen wie insbesondere die Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht hätten verhindern oder wesentlich erschweren können (Abs. 1 Nr. 2).
Während in § 2 Nr. 2 des Referentenentwurfs zum VerSanG die Leitungsperson i.S.d. § 3 VerSanG definiert wird, erfolgt im Rahmen der entsprechenden Begründung (vgl. Bl. 73) der Hinweis, dass es in Übereinstimmung mit § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG auf die faktische Übernahme der Leitungsfunktion ankommen soll; unter Verweis auf die vielzitierte Entscheidung des BGH vom 17.07.2009 (Az.: 5 StR 394/08) wird hiervon ausdrücklich der Compliance-Beauftragte erfasst.
Mit Blick auf die hervorgehobene Nennung ist davon auszugehen, dass der Compliance-Verantwortliche zukünftig weiter in den Fokus der Behörden rückt. Bereits nach der aktuellen Gesetzeslage kommt es nicht selten zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen Compliance-Beauftragte. Diesen wird hierbei schwerpunktmäßig Beihilfe durch Unterlassen oder ein möglicher Verstoß gegen die Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG vorgeworfen.
So sieht sich ein Compliance-Verantwortlicher, der trotz bestehender Kenntnis von korruptiven Geschäftspraktiken im Unternehmen — oder anderer Straftaten — nicht einschreitet und deren fortgesetzte Begehung duldet, regelmäßig der Gefahr einer Verfolgung wegen Beihilfe durch Unterlassen ausgesetzt.
Eine Strafbarkeit aus bloßer Untätigkeit kann sich bereits ergeben, sofern der Compliance-Verantwortliche „rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt“, ihm mithin eine sog. Garantenstellung zukommt. In Abhängigkeit zu der konkreten Stellung des Compliance-Verantwortlichen kann die Garantenpflicht dogmatisch sowohl aus der seitens des BGH entwickelten Figur der „Geschäftsherrenhaftung“ als auch aus einer „Gewährsübernahme“ herzuleiten sein.
Soweit der strafrechtliche Vorwurf gegen die betroffenen Personen wegen einer „eigenen“ Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit oder einer Beteiligung an solchen Taten anderer Mitarbeiter nicht hinreichend begründet werden kann, wird als „Auffangtatbestand“ durch die Ermittlungsbehörden immer häufiger auf den Vorwurf der Verletzung der Aufsichtspflicht gemäß § 130 OWiG zurückgegriffen. Adressat ist auch hier nicht allein der Unternehmens- bzw. Betriebsinhaber, sondern insbesondere jede Leitungsperson, die beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen. Dementsprechend wird in einer Vielzahl von Fällen auch der Compliance-Verantwortliche vom Anwendungsbereich dieser Norm erfasst.
Der Tatbestand des § 130 OWiG sanktioniert das Unterlassen von Aufsichtsmaßnahmen zur Verhinderung von Zuwiderhandlungen eines Mitarbeiters aus dem Unternehmen heraus und sieht ein Bußgeld von bis zu 1 Mio. Euro für die verantwortliche Person vor. Werden in den betreffenden Unternehmen auf Mitarbeiterebene Verstöße wie etwa Korruptions- oder Betrugshandlungen begangen, indiziert dies aus Sicht der Ermittlungspersonen in der Praxis regelmäßig eine Aufsichtspflichtverletzung. Diese erfordert weder die positive Kenntnis von entsprechenden Zuwiderhandlungen noch deren bewusste Billigung. Es genügt hier bereits, dass etwa der Compliance-Verantwortliche es unterlassen hat, die erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um unerlaubte Handlungen von Unternehmensmitarbeitern zu verhindern bzw. zu unterbinden.
Welche konkreten Maßnahmen der Compliance-Verantwortliche zu treffen hat, um seiner Pflicht zur „Aufsicht“ gerecht zu werden, hat der BGH bislang noch nicht entschieden.
Hinweis
Die vorstehenden Risiken verdeutlichen die Gefahr für Compliance-Verantwortliche, in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten. Mit Blick auf die geplante Einführung eines Verbandssanktionengesetzes sowie den damit konstatierten politischen Willen, die Verfolgung strafbaren Verhaltens in Unternehmen zu verschärfen, wird zwangsläufig die Anzahl der Ermittlungsverfahren in diesem Bereich weiter steigen. Zukünftig wird es daher für Compliance-Verantwortliche — unabhängig von der Unternehmensgröße — noch wichtiger sein, im Rahmen ihres bestehenden Pflichtenkreises alle erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Straftaten zu treffen und ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von Verstößen umgehend die gebotenen Schritte zu ergreifen hat, um etwaige Straftaten umfassend aufzuklären, abzustellen und zu ahnden.