Damit soll der Verpflichtung aus dem EU-Winterpaket nachgekommen werden, die Regelungen der Strom- und der Gasgrundversorgung anzupassen und kundenfreundlicher zu gestalten. Dazu sah der Entwurf u. a. Änderungen beim Verfahren zur Versorgungsunterbrechung vor. Die Rechte des Kunden sollen deutlich gestärkt werden. In seiner Sitzung vom 25.06.2021 hat der Bundesrat auf Vorschlag des federführenden Ausschusses die Verordnung unter Berücksichtigung weiterer Änderungen beschlossen. Insb. bei drohenden Versorgungsunterbrechungen sollen den Kunden noch mehr Rechte eingeräumt werden.
Formal hat der Bundesrat der Verordnung nach Maßgabe der Änderungen zugestimmt. Die Bundesregierung kann nunmehr die Verordnung so erlassen, wie sie der Bundesrat beschlossen hat. Geschieht dies, tritt die Änderung mit Verkündigung in Kraft. Die Bundesregierung kann das Vorhaben aber auch zurückziehen und einen neuen Verordnungsentwurf als Kompromissvorschlag unterbreiten.
Dem Vernehmen nach sind die Branchenverbände derzeit damit befasst, beim Bundeswirtschaftsministerium auf eine für die Branche verträglichere Regelung hinzuwirken. Ob die Bundesregierung noch vor der Bundestagswahl aktiv wird, lässt sich nur schwer prognostizieren.
Im Folgenden stellen wir Ihnen die Änderungen vor, die sich aus der vom Bundesrat beschlossenen Verordnung ergeben, sofern sie in dieser Fassung von der Bundesregierung erlassen wird.
Vertragsgestaltung der Grundversorgung wird der von Sonderverträgen angeglichen
- Mit der letzten Änderung der Stromgrundersorgungsverordnung (StromGVV) war in § 1 Abs. 1 klargestellt worden, dass der Grundversorgungsvertrag ein sogenannter kombinierter Vertrag gemäß § 9 Abs. 2 Messstellenbetriebsgesetz ist. Nunmehr wird ein neuer Satz 4 in § 1 Abs. 1 StromGVV eingefügt, wonach der Grundversorger auf Verlangen des Kunden einen Grundversorgungsvertrag auch ohne Einbeziehung der Organisation des Messstellenbetriebs anzubieten hat. Das betrifft die Fälle, in denen der Letztverbraucher selbst einen Messstellenbetreiber beauftragt hat.
- In § 2 Abs. 3 StromGVV und § 2 Abs. 3 Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) ist aufgeführt, welche Angaben im Grundversorgungsvertrag oder in der Bestätigung des Vertrages enthalten sein müssen. Diese Auflistung wird ergänzt. Ausdrücklich aufgeführt werden muss künftig der Zeitraum der Abrechnungen, Informationen über die Rechte des Kunden im Hinblick auf Verbraucherbeschwerden, die Kontaktdaten des Verbraucherservices der Bundesnetzagentur und das Muster der Abwendungsvereinbarung des Grundversorgers nach § 19 Abs. 5 StromGVV bzw. GasGVV, auf das wir weiter unten noch detaillierter eingehen werden.
- § 2 Abs. 3 StromGVV bzw. GasGVV wird weiterhin um eine Regelung ergänzt, wonach § 41 Abs. 1 EnWG unberührt bleibt. § 41 Abs. 1 EnWG regelt den Inhalt eines Energieliefervertrages mit Letztverbrauchern.
- In § 8 Abs. 2 StromGVV bzw. GasGVV wird ein neuer Satz 4 angefügt. Danach darf der Grundversorger die vom Kunden verlangte Prüfung der Messeinrichtung nicht von einer Vorleistung oder Sicherheitsleistung abhängig machen, wenn der Kunde Umstände darlegt, die Zweifel an der ordnungsgemäßen Funktion der Messeinrichtung begründen.
- § 11 der StromGVV und der GasGVV, der bislang mit „Ablesung“ überschrieben ist, wird nunmehr mit „Verbrauchsermittlung“ überschrieben. In Abs. 1 wird für die Ermittlung des Verbrauchs auf § 40a EnWG verwiesen.
- In § 12 Abs. 1 StromGVV und GasGVV wird künftig bezüglich der Abrechnung auf die Neuregelung in § 40b Abs. 1 EnWG verwiesen.
- In § 14 StromGVV und GasGVV wird der Begriff „Vorkassensysteme“ durch „Vorauszahlungssysteme“ ersetzt und ein Verweis auf § 41 Abs. 2 Satz 2 und 3 EnWG eingefügt.
- In § 16 StromGVV und GasGVV (Rechnungen und Abschläge) wird auf § 40 Abs. 1 bis 4 EnWG verwiesen und ein Verweis auf § 41 Abs. 2 Satz 2 und 3 EnWG angefügt. Dieser Verweis regelt die anzubietenden Zahlungsweisen.
Versorgungsunterbrechung wegen Zahlungsverzug wird schwieriger
Die wichtigsten Änderungen sind in § 19 StromGVV und GasGVV enthalten und betreffen die Regelungen zur Versorgungsunterbrechung wegen Zahlungsverzugs.
Gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromGVV und GasGVV darf die Versorgung wegen Zahlungsverzugs nicht unterbrochen werden, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen. Das soll künftig dahingehend konkretisiert werden, dass die Verhältnismäßigkeit insbesondere dann nicht gewahrt sein soll, wenn in Folge der Unterbrechung eine konkrete Gefahr für Leib und Leben der dadurch Betroffenen zu besorgen ist. Gemäß der Beschlussfassung des Bundesrats soll eine Versorgungsunterbrechung grundsätzlich auch dann unverhältnismäßig sein, wenn von ihr grundlegende Belange von Minderjährigen, Pflegebedürftigen oder schwerkranken Personen betroffen sind.
Ausweislich der Begründung des Bundesrats ist bspw. der Bedarf nach Teilnahme am Homeschooling ein solcher grundlegender Belang Minderjähriger. Nach dieser Maßgabe dürften Versorgungsunterbrechungen fast immer unzulässig sein. Die aufgeführten Tatbestände sind nur eine beispielhafte Aufzählung. D. h., dass auch Auswirkungen, die diesen Beispielen ähnlich sind, dazu führen würden, dass die Versorgungsunterbrechung unverhältnismäßig wird.
Gemäß der geplanten Neuregelung müssen Kunden mit der Androhung der Unterbrechung über die Möglichkeit informiert werden, Gründe für eine Unverhältnismäßigkeit der Unterbrechung in Textform vorzutragen. Damit soll sichergestellt werden, dass sich der Grundversorger nicht darauf berufen kann, nichts von den Umständen gewusst zu haben, die zur Unverhältnismäßigkeit der Versorgungsunterbrechung führen.
Bereits bislang ist in der StromGVV geregelt, dass eine Sperrung nur dann zulässig ist, wenn der Zahlungsrückstand des Kunden mindestens 100 Euro beträgt. Künftig soll eine Sperrung erst dann zulässig sein, wenn der Kunde mit Abschlägen oder Vorauszahlungen in Höhe von mindestens zwei Monatsbeträgen oder einem Sechstel des voraussichtlichen Betrages der Jahresrechnung und mindestens 100 Euro im Rückstand ist.
Künftig muss der Grundversorger dem Kunden gemäß einem neuen § 19 Abs. 3 StromGVV bzw. GasGVV mit der Androhung der Unterbrechung eine Information über Möglichkeiten zur Vermeidung der Unterbrechung zukommen lassen. Damit soll der Kunde über Hilfsangebote, Energieaudits oder Energieberatungen, staatliche Unterstützungsmöglichkeiten oder Schuldnerberatung informiert werden. Diese Informationen sind auch in „leichter Sprache“ mitzuteilen.
Die Unterbrechung muss nicht wie bisher drei Tage im Voraus, sondern acht Tage im Voraus angekündigt werden. Dazu sollen nach Möglichkeit Kommunikationsmittel wie E-Mail oder Textnachrichten genutzt werden. Der Bundesrat begründet das damit, dass Kunden auf derartige Mitteilungen eher reagieren als auf einen Brief.
Gemäß einem neuen § 19 Abs. 5 StromGVV bzw. GasGVV muss dem Kunden spätestens mit der Unterbrechungsandrohung eine Abwendungsvereinbarung angeboten werden. Diese muss eine zinsfreie Ratenzahlungsvereinbarung über die Rückstände und eine Weiterversorgung auf Vorauszahlungsbasis beinhalten. Die Ratenzahlungsvereinbarung soll sicherstellen, dass die Rückstände innerhalb eines zumutbaren Zeitraums ausgeglichen werden. Zumutbar sein soll ein Zeitraum von sechs bis 18 Monaten. Nimmt der Kunde das Angebot an, darf die Versorgung erst dann unterbrochen werden, wenn der Kunde seinen Verpflichtungen aus der Abwendungsvereinbarung nicht nachkommt.
Das Muster der Abwendungsvereinbarung muss auf der Internetseite des Grundversorgers veröffentlicht werden. Diese Verpflichtung gilt ab dem 01.01.2022. Weiterhin ist in der Unterbrechungsandrohung darauf hinzuweisen, welche Kosten durch die Unterbrechung und die Wiederherstellung entstehen werden.
Hinweis: Übergangsregelungen sind nicht vorgesehen. Die Änderungen werden am Tag nach der Verkündung in Kraft treten. Das Muster der Abwendungsvereinbarung ist zum 01.01.2022 zu veröffentlichen.
Aufgrund der Änderungen muss insb. der Prozess der Versorgungsunterbrechung in nahezu allen Belangen angepasst werden.