Die Wieland-Gruppe ist der global führende Spezialist für Kupfer und Kupferlegierungen. Für die gegenwärtigen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung und Ressourcenschonung, gestaltet die Unternehmensgruppe mit ihren Produkten, Dienstleistungen und Technologien nachhaltige und innovative Lösungen - und ist weltweit vernetzt. Das Geschäftsgeheimnis: Zuhören - um den Geschäftspartnern genau das zu bieten, was ihren Anforderungen entspricht. Gemeinsam mit ihnen entwickeln sie für Zukunftsfelder wie E-Mobilität, Energie- und Datenübertragung sowie Kälte- und Klimatechnik die richtigen Komponenten für deren Bedürfnisse. Zugehört wird aber nicht nur den Geschäftspartnern. Auch im Rahmen des umsatzsteuerlichen Tax Compliance Management Systems (Tax CMS) spielt das eine große Rolle. Wie es zu der legendären sog. Apfelkuchen-Methode kam, wie dadurch die fachübergreifende Kommunikation gefördert und Tax Compliance im Unternehmen umgesetzt wird, darüber sprechen wir mit Herrn Knut Christians, Leiter der Steuerabteilung der Wieland-Werke AG, Prof. Dr. Thomas Zinser, Steuerberater und Partner bei Ebner Stolz in München, sowie Robert Backes, Steuerberater und Partner bei Ebner Stolz in Köln.
Es führt kein Weg daran vorbei: im Rahmen eines funktionierenden innerbetrieblichen Kontrollsystems sind Tax Compliance Management Systeme unerlässlich. Dennoch schrecken viele Unternehmen davor zurück, weil sie den großen Aufwand fürchten. Wie haben Sie sich dieser Thematik genähert, Herr Christians?
Knut Christians: Die Wieland-Werke AG hat 2017 eine Inhouse-Steuerabteilung aufgebaut. Wir als Steuerabteilung haben uns dann unmittelbar, nachdem die Kernmannschaft stand, mit der grundsätzlichen Ausrichtung und dem Thema Tax Compliance als primärem Ziel beschäftigt. Um neben dem Tagesgeschäft dem Thema Compliance die angemessene Priorität zukommen zu lassen, haben wir Meilensteine definiert und dem Top-Management einen Fahrplan präsentiert. Die offene Kommunikationsstruktur und eine zielgerichtete Arbeitsweise, bei der alle bestehenden und nicht bestehenden Prozesse erfasst und dokumentiert wurden, haben uns vergegenwärtigt, wo wir ansetzen müssen. Der Schwerpunkt lag insb. auf dem Erfassen der unternehmens- und branchentypischen Risiken. Das Kernteam für die Vorbereitung im Bereich Umsatzsteuer bestand aus drei Mitarbeitern, inklusive meiner Person. Zunächst wurde intern diskutiert, wie die bestmögliche Lösung aussieht, die Reibungsverluste oder Schnittstellen-Themen gar nicht erst aufkommen lässt. So sind wir mit einer schlagkräftigen Einheit gestartet. Die Unterstützung des Managements ist hervorzuheben. Unser Ansatz hat Compliance nie in Widerspruch zu Effizienz und Effektivität gestellt, im Gegenteil. Den Hype um Big Data Analysis und die Tatsache, dass die Mitarbeiter in der steuerlichen Beratung IT-Spezialkenntnisse besitzen oder sich erarbeiten sollten, haben wir als Beschleuniger genutzt. Der Aufwand war definitiv groß, aber der daraus resultierende Nutzen ist enorm.
Warum sollte man sich ausgerechnet in der Umsatzsteuer mit Tax Compliance beschäftigen, Herr Prof. Zinser?
Prof. Dr. Thomas Zinser: Die Umsatzsteuer ist für ein Tax Compliance System geradezu prädestiniert. Das umsatzsteuerliche „Massenverfahren“ - also typischerweise hohe Transaktionsvolumina - führt dazu, dass z. B. unzutreffend beurteilte und erklärte Umsätze sehr schnell einen erheblichen Berichtigungsbedarf hervorrufen. Damit einher gehen hohe Risiken für das Unternehmen durch steuerliche Mehrbelastungen, wie Steuernachzahlungen, die nach wie vor 6 % p. a. betragenden Nachzahlungszinsen oder Säumnis- und Verspätungszuschläge. Zudem ist die Umsatzsteuer mittlerweile eine enorm komplexe und fehleranfällige Materie geworden, so dass diese regelmäßig das größte Steuerrisiko für Unternehmen darstellt. Risikosteigernd kommt hinzu, dass auch häufig steuerrelevante Entscheidungen von einem eher fachfremden Personenkreis (etwa aus dem Einkauf oder dem Vertrieb) getroffen werden.
Mit einem angemessen ausgestalteten und auch tatsächlich gelebten Tax Compliance System werden nun Strukturen geschaffen, die dazu beitragen, die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten sicherzustellen - und auch dem strafrechtlichen Damoklesschwert vorbeugen. Oberste Priorität haben dabei vor allem die Identifikation steuerlicher Risiken und der damit korrespondierende Ausschluss von Fehlerquellen, wie etwa der fehlenden Weitergabe steuerlich relevanter Informationen. Insb. im Bereich der Umsatzsteuer bietet ein derartiges System aber noch viel mehr: Durch die Überprüfung der Abläufe in der Steuerabteilung und in jenen Fachbereichen, die (steuerliche) Daten aufbereiten, lassen sich Optimierungspotenziale erkennen und die Effizienz verbessern.
Bei einem Tax CMS geht es in erster Linie darum, Prozesse im Unternehmen zu implementieren, um Fehler von Anfang an zu vermeiden. Wie geht man hier idealerweise vor, Herr Backes?
Robert Backes: Die wichtigste Grundregel ist, den Umfang der Implementierung beherrschbar zu halten. Immerhin geht es darum, sämtliche steuerlichen Prozesse im Unternehmen aufzunehmen, auf den Prüfstand zu stellen, Risiken zu erkennen und die Prozesse oftmals durch Standardisierung oder Automatisierung zu verbessern. Die Prozesse sowie die dazugehörigen Maßnahmen und Kontrollen sind zu dokumentieren und regelmäßig zu überwachen. Außerdem müssen die betroffenen Mitarbeiter mitgenommen und auf neuen Prozessen geschult werden. Dies alles kommt Unternehmen häufig als unüberwindbare Hürde vor, und zwar insb. deshalb, weil die Implementierung des Tax CMS meist neben dem Tagesgeschäft erfolgen soll. Daher kommt der richtigen Planung bei der Implementierung entscheidende Bedeutung zu. Insb., sofern kein externer Berater mit der Implementierung beauftragt ist, sollte immer ein steuerlicher Prozess nach dem anderen angegangen werden. Startet man mit einem überschaubaren Prozess, wie z. B. der oft schon standardisierten Eingangsrechnungsbearbeitung, kann man schnelle Erfolge verbuchen. Das wirkt motivierend. Die Bearbeitung des nächsten Prozesses fällt sofort viel leichter und das Tax CMS nimmt schnell Gestalt an. Um dies zu unterstützen, entwickeln wir Tools und Arbeitshilfen, arbeiten mit Softwareanbietern zusammen und bieten Workshops an, um den Umgang damit zu lernen. Zusätzlich ist eine zentrale Projektkoordination erforderlich, um den Überblick zu behalten und sicherzustellen, dass gesetzte Fristen eingehalten werden.
Und wie setzt man so ein Tax CMS dann operativ im Unternehmen am besten um, Herr Christians?
Knut Christians: Wir wurden bei der Umsetzung von drei Zielen geleitet: wir brauchen den vollständigen Überblick über alle Prozesse und müssen dabei verstehen, was automatisiert abläuft und was noch manuell einfließt. Daneben wollten wir in kürzester Zeit eine Gruppierung aller existierenden Falltypen haben, um aus einer Erwartungshaltung offensichtliche Ungereimtheiten sofort erkennen zu können. Dabei wollten wir alle wesentlichen und unwesentlichen Beeinträchtigungen mit einem Blick erfassen. Die Ideen des IDW PS980 und IDW PH 1/2016 haben wir in verdauliche Stückchen zerlegt und das Verständnis solcher Themen trainiert. Uns war schnell klar, dass wir eine geeignete Kommunikationsstrategie brauchen, damit das Thema an Attraktivität gewinnt. Klare personalisierte Handlungsanweisungen sind der Schlüssel. Nicht jeder Mitarbeiter möchte den gesamten UStAE lesen. Es gibt so viele Stichworte im Erlass, die verdeutlichen, was man alles regeln kann. In unseren selbst gehaltenen Umsatzsteuerschulungen dürfen die Kolleginnen und Kollegen jeweils ein Wort sagen, dass ihnen einfach so in den Sinn kommt – wir konnten uns sicher sein, dass das Stichwort in den 758 Seiten (Stand 2020) irgendwo enthalten ist.
Herr Christians, das bei Wieland implementierte Tax CMS für die Umsatzsteuer setzt sehr stark auf Digitalisierung und Automatisierung. Wie funktioniert dieses Tax CMS und was waren die Herausforderungen bei der Einführung?
Knut Christians: Wir haben nach einer 360° Risikoinventur systematisch alle Daten aus unserem ERP System ausgelesen und ausgewertet. Der IT-affine Mitarbeiter aus der Steuerabteilung ist quasi der neue Musterathlet. Mit der Macht über die Daten kann man dann ein Compliance System ausrollen. Die automatisierte Steuerfindung in SAP ist das Herzstück unseres Systems, da einfache, klar nachvollziehbare Algorithmen niedergelegt und verstanden werden müssen. Dank exzellenter Vernetzung mit der IT-Abteilung hatten wir hier schnell den erforderlichen Überblick. Alles was digitalisiert werden kann, wurde gleich umgesetzt oder sofort auf die Warteliste genommen. Der Rest ging frei nach dem Motto: just do it oder „Schaffa isch a Gschäft“, wie man im Schwabenland sagt. Zur nachweisbaren Überprüfung haben wir dann mithilfe statistischer Methoden – in Anlehnung an das MUS (monetary unit sampling) Verfahren – unser Kontrollsystem eingerichtet.
Nun müssen Sie uns aber schon noch berichten, was sich hinter der Apfelkuchen-Methode verbirgt.
Knut Christians: Der Bereich Umsatzsteuer erstreckt sich über unglaublich viele Stellen im Unternehmen, von denen die Mitarbeiter den Bezug zur Steuer teilweise noch nicht wahrnehmen. Daher ist ein Icebreaker und wesentlicher Baustein unserer Strategie die Apfelkuchen-Methode: Bei schwierigen oder überbordenden Themen schafft ein selbstgebackener Apfelkuchen so gut wie immer die richtige Gesprächsatmosphäre. Eigens dafür frisch geschlagene Sahne unterstreicht das gemeinsame Ziel und macht die Umsatzsteuer kulinarisch erlebbar. Kurz: man konzentriert sich auf den Genuss und kann beiläufig gewichtige Themen lösen. Bei guter Vorarbeit backt die Steuerabteilung, und wenn ein Auskunftssuchender vorrangige Bearbeitung haben will, geht das auch nur gegen harte Währung: Apfelkuchen. Einige Kollegen kennen die Vorlieben der Steuerabteilung bereits so gut und toppen das Gebäck mit gerösteten Mandeln und Marzipan-Belag …naja, was soll ich sagen: da ist schnelle Bearbeitung garantiert. Das Kaffeekränzchen versüßt den Alltag und verbindet Schwieriges mit Angenehmen.
Es dürfte doch schwierig sein, im Elfenbeinturm der Steuerabteilung die Arbeitsweisen in den operativen Abteilungen, etwa im Einkauf oder im Vertrieb, zu verstehen. Umgekehrt ist es für diese Abteilungen schwierig, mit der Schnelllebigkeit des Steuerrechts Schritt zu halten. Gibt es hierfür ein Patentrezept, Herr Christians?
Knut Christians: Ich denke, das Patentrezept ist wie bei einer guten Speise. Man muss schon beim Anschauen Appetit bekommen und dabei werden verschiedene Sinne angesprochen. Bei uns ist es nicht anders wie in anderen Häusern: Wenn ein Mitarbeiter der Steuerabteilung einen Mitarbeiter aus dem Einkauf oder Vertrieb anspricht, schwingt beim Empfänger erstmal grundsätzlich Unbehagen mit, weil er ja gar nicht weiß, was ihn erwartet. Dem sind wir zuvorgekommen, indem meine Mitarbeiter sich ungezwungen zum normalen Austausch und auch zum Small Talk mit einem Kaffee oder Espresso im Hause bewegt haben. Wir haben alle Anfragen genutzt, um die Kollegen kennenzulernen und die Sicht der Dinge aus einer anderen Perspektive zu erfahren. Dabei ist die wirksame Kommunikation das A und O. Das macht den Beteiligten die Komplexität klar und führt zu einer Wertschätzung, wenn man Arbeitshilfen, Richtlinien und Checklisten in genau auf den Empfänger zugeschnittenen Portionen verteilt. Kurz: Man muss den Elfenbeinturm verlassen, um die eigentliche Funktion des Wissenstransfers übernehmen zu können. Es gibt also hier auch ein paar Tricks und Kniffe. Oberste Maxime ist dabei, dass es keinesfalls langweilig werden darf.
Herr Backes, Sie haben das Tax CMS für die Umsatzsteuer bei Wieland zertifiziert. Gab es Ansätze, die Sie in Ihre praktische Arbeit bei der Implementierung von Tax CMS übernehmen? Wo bestand Verbesserungspotenzial?
Robert Backes: Es ist immer wieder bereichernd, neue Ansätze im Rahmen von Tax CMS zu entdecken, die man nicht selber mitentwickelt hat. Das, was die Steuerabteilung bei Wieland mit der Implementierung des umsatzsteuerlichen Tax CMS geleistet hat, ist sehr beeindruckend. Man hat es geschafft, hochkomplexe umsatzsteuerliche Sachverhalte durch Automatisierung und gezielte Schulung von Mitarbeitern in den Griff zu bekommen. Den Mitarbeitern werden durch die Systeme viele Themen abgenommen, die nicht in ihrer Kernkompetenz liegen und zu Unsicherheiten führen würden. Trotzdem hat man durch eine entsprechende Kommunikation eine Kultur geschaffen, die sicherstellt, dass steuerliche Risiken, die von den Systemen noch nicht erfasst, von Mitarbeitern erkannt und an die Steuerabteilung adressiert werden. Was mich persönlich dabei am meisten beeindruckt ist, dass die Steuerabteilung bei Wieland es durch ihre Kommunikationsstrategie schafft, dass die Mitarbeiter dem Thema Umsatzsteuer aufgeschlossen und positiv gegenüberstehen. Dazu trägt auch ein selbst entwickeltes Umsatzsteuer-Quiz bei. Den Kommunikationsansatz der Apfelkuchen-Methode werden wir sicherlich auch in andere Projekte mitnehmen. Denn: Sicherzustellen, dass die steuerlichen Ansprechpartner von anderen Mitarbeitern über steuerlich relevante Sachverhalte frühzeitig informiert werden, ist oft eine der größten Herausforderungen.
Natürlich haben wir auch bei Wieland Verbesserungspotential entdeckt. Dies betraf insb. die Strukturierung der Dokumente. Zu Beginn des Projektes war es für uns als Außenstehende sehr schwer zu überblicken, welche Prozessanweisungen, Dokumentationen, Checklisten oder Richtlinien zu welchen Prozessen gehören und wie miteinander in Verbindung stehen, da schlicht Referenzierungen und Übersichten fehlten. Diese wurden jedoch innerhalb von kürzester Zeit erstellt und wir konnten uns einen Überblick verschaffen.
Ein Tax CMS muss ja laufend überwacht und aktualisiert werden. Wie gehen Sie hierbei vor, Herr Christians?
Knut Christians: Wir haben eine systematische Auswertung der Rechtsprechung und legen im monatlichen Jour fix die nächsten Schritte fest. Anpassungen werden früh kommuniziert. Derzeit arbeiten wir an eigenen Schulungsvideos, um die Wahrnehmung der Steuerfunktion zu erhöhen. Auch hier gilt, dass die Themen den Kollegen möglichst persönlich zugeordnet werden. Dann wird dies als sinnvolle Hilfestellung verstanden. Ein Tax CMS darf nach der Zertifizierung nicht stoppen: Die eingerichteten Kontrollen sind bestenfalls automatisiert und eine freigeräumte Kapazität muss sich regelmäßig um die Nacharbeit bemühen.
Abschließend eine persönliche Frage, Herr Christians: Was war für Wieland die Motivation zur Einführung eines Tax CMS? Ist ein solches CMS ein Bürokratietiger, der dazu dient, die Regularien zu erfüllen, um dadurch die Haftungsrisiken zu minimieren? Oder hat sich für Wieland durch die Einführung des Tax CMS ein Mehrwert in der praktischen Arbeit ergeben?
Knut Christians: Wieland strebt in den Geschäftsprozessen nach Exzellenz und will die berühmte Extra-Meile gehen. So ist es auch in den Zentralfunktionen. Wir sind quasi Überzeugungstäter. Daher ist die Enthaftung des Managements die primäre Aufgabe. Daneben sind aber die Identifizierung von Digitalisierungspotentialen und die Standardisierung von nahezu gleicher Bedeutung. Wir gehen davon aus, dass sich für die umsatzsteuerlichen Prozesse bereits erste Standards für eine Überprüfung in Echtzeit durchgesetzt haben. Der Mehrwert ist, dass man zielgerichtet das gesamte System aufnimmt und bewertet, und sich nicht in kleineren unbedeutenden Details verliert. Jetzt können wir jede Frage richtig einordnen und dann bereits ein zielgerichtetes Portfolio an entsprechenden Antworten bereithalten. Das schafft Freiraum für andere Aufgaben. Und für Apfelkuchen.