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Prof. Dr. Gunther Schnabl: Deutschlands fette Jahre sind vorbei - Wege aus der Krise

26.02.2025 | 12 Minuten Lesezeit

Deutschland ist derzeit der kranke Mann Europas: Die deutsche Wirtschaft stagniert und die Konjunktur lahmt. Im Jahr 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken. Für 2025 wird ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % prognostiziert. „Deutschlands fette Jahre sind vorbei“, tituliert der Direktor des Think Tanks Flossbach von Storch Research Institute in Köln und Professor für Wirtschaftspolitik und internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig, sein im März 2024 veröffentlichtes Buch. Er spricht mit Dr. Ulrike Höreth, Leiterin des Knowledge Managements bei RSM Ebner Stolz, über die Ursachen und vor allem darüber, was zu tun ist, um hoffentlich ein neues Wirtschaftswunder zu bewirken.

Die aktuellen Herausforderungen unseres Landes sind immens: Geopolitische Verwerfungen, Klimawandel und Energiekrise, digitale Transformation, Inflation und Fachkräftemangel. Du schreibst aber, dass die Ursachen für den Abwärtstrend Deutschlands schon viel früher in der Vergangenheit liegen. In wenigen Worten: Was ist aus Deiner Sicht seit wann falsch gelaufen?

Eine starke Wirtschaft kann Schocks wie bspw. den Ukrainekrieg oder die Digitalisierung gut absorbieren. Doch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen haben seit der Jahrtausendwende die marktwirtschaftlichen Fundamente unserer Wirtschaftsordnung unterminiert. Ich sehe drei grundsätzliche Fehler: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Währungsstabilität aus den Augen verloren. Die deutsche Regierung hat sich zu hohe Ausgabenverpflichtungen aufgebürdet. Die Europäische Union hat unter Mitwirkung deutscher Regierungen Regulierungswerke geschaffen, die Banken und Unternehmen stark belasten. Im Ergebnis sackt das Wachstum immer weiter ab, so dass der kostspielige Sozialstaat und die ambitionierte Klimapolitik nicht mehr finanzierbar sind. Die Finanzierung mit Hilfe der EZB führt zu Inflation. So kann es nicht weitergehen!

Prof. Dr. Gunther Schnabl
„Nur ein wirtschaftlich starkes Europa ist auch politisch stark.“
Prof. Dr. Gunther Schnabl

Du propagierst ein Zurück zu den Grundsätzen von Ludwig Erhard, also der freien (sozialen) Marktwirtschaft. Bist Du sicher, dass sein Erfolgsmodell von damals auf die heutige globalisierte Wirtschaft übertragen werden kann?

Aus theoretischer Sicht gibt es nur zwei Ecklösungen bei Wirtschaftssystemen: Eine reine Zentralverwaltungswirtschaft, in der der Staat alles steuert. Oder eine (anarchische) Marktwirtschaft, in der es keinen Staat gibt und selbst Kollektivgüter wie die Verteidigung privat organisiert werden. Beide Systeme bestehen in ihrer Reinform nicht. Auch in der DDR gab es kleine private Betriebe. In der westdeutschen sozialen Marktwirtschaft setzte der Staat die Rahmenbedingungen für privates Handeln und brachte Kollektivgüter wie die Bundeswehr auf den Weg. In meinem Buch sage ich, dass die Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art historisches Experiment war. Ein Land mit gleich sozialisierten Menschen wurde geteilt. Die zwei Teile erhielten unterschiedliche Wirtschaftssysteme. Nach einiger Zeit war offensichtlich, dass in der Marktwirtschaft ein Wirtschaftswunder entstand, von dem alle profitierten. „Wohlstand für alle!“ Es zeigte sich auch, dass – wie von Friedrich August von Hayek vorhergesagt – im Osten der Verlust der wirtschaftlichen Freiheit mit dem Verlust der persönlichen Freiheiten verbunden war.

Nach Walter Eucken waren die sieben grundlegenden Pfeiler der marktwirtschaftlichen Ordnung eine stabile Währung, freie Preise, freier Wettbewerb zwischen den Unternehmen, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung sowie die Konstanz der Wirtschaftspolitik. Alle diese Prinzipien müssen zusammen erfüllt sein, damit der Markt seine volle Wirkung entfalten kann. Das gilt auch heute noch für eine globalisierte Welt! Freiheit schafft Wohlstand.

Warum sind die konstituierenden Prinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht mehr gegeben?

Die EZB hat mit umfangreichen Staatsanleihekäufen die Stabilität der Währung unterwandert, wie die Immobilienpreise oder der Goldpreis gemessen in Euro zeigen. Die EZB hat lange Zeit den Zins als Preis für Geld gegen null gedrückt, es gibt Mietpreiskontrollen und Mindestlöhne. Der Wettbewerb zwischen den Unternehmen wird durch immense direkte und indirekte Subventionen verzerrt. Die Rettungsaktionen und Niedrigzinsen im Zuge der europäischen Finanz- und Schuldenkrise sowie die Subventionen haben das Haftungsprinzip außer Kraft gesetzt. Eine wuchernde Regulierung schränkt die Vertragsfreiheit und das Privateigentum ein. Die erratische Geldpolitik, die ungezügelten Finanzpolitiken und undurchdachte Regulierungen widersprechen der Konstanz der Wirtschaftspolitik. Ludwig Erhard hat gesagt „Die Volkswirtschaft ist kein Patient, den man pausenlos operieren kann.“ Daran würde ich unsere Entscheidungsträger heute gerne erinnern.

Angesichts der globalen Konflikte ist ein starkes Europa besonders wichtig. Die regulatorischen Anforderungen vonseiten der EU und die aktuelle Geldpolitik der EZB stehen doch regelrecht in Widerspruch zu den Prinzipien von Erhard und Eucken. Lässt sich das überhaupt vereinbaren?

Nur ein wirtschaftlich starkes Europa ist auch politisch stark. Die wuchernden Regulierungen der EU werfen viel Sand ins Getriebe der Wirtschaft: u. a. das Lieferkettengesetz, der Klimazoll, das Verbrennerverbot sowie die Taxonomie, die alle Unternehmen in der EU nach Umwelt- und Klimakriterien für die Kreditvergabe klassifizieren will. Kreditvergabe nach politischen Kriterien ist Planwirtschaft. Eine Planwirtschaft wächst nicht und leidet unter dem Verfall der Infrastruktur. Zudem ist eine politisch gelenkte Kreditvergabe anfällig für die Einflussnahme von Interessengruppen, so dass fraglich ist, ob die anvisierten Ziele wirklich erreicht werden. Die Stärke der EU liegt im Binnenmarkt – dem freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit –, der längst insb. von Deutschland durch die wachsenden Subventionen unterwandert wird. Mit einer zentralen Steuerung der europäischen Wirtschaft nach Klima- und Umweltkriterien kann die Bürokratie in Brüssel der Vielfalt in Europa nicht gerecht werden.

Die EZB ist zwar nach dem Modell der Deutschen Bundesbank in den Europäischen Verträgen verankert. Sie wurde aber seit 1999 zunehmend nach dem Modell der Banca d’Italia vor Eintritt in die Währungsunion, welche die Finanzierung von Staatsausgaben unterstützte, umgebaut. Die Rettung von fiskalisch und wirtschaftlich instabilen Eurostaaten und des Klimas hat für die EZB eine immer größere Bedeutung gewonnen. Die EZB hatte auf dem Höhepunkt Staatsanleihen im Umfang von mehr als 4.000 Mrd. Euro in ihrer Bilanz. So hat sie es den Eurostaaten ermöglicht, ihren Einfluss in der Wirtschaft auf Kosten der privaten Unternehmen maßgeblich auszuweiten.

Um den Wohlstand Deutschlands wieder nachhaltig zu sichern, können wir uns ein „weiter so“ nicht mehr leisten, oder?
Ein früherer Kurswechsel wäre besser gewesen. Dauerhaft niedrige Zinsen seit der europäischen Finanz- und Schuldenkrise, Ankäufe von Unternehmensanleihen durch die EZB, eine stetige Abwertung des Euros seit 2008 sowie die wuchernden Subventionen haben die deutsche Industrie träge gemacht. Die Produktivitätsgewinne bleiben gering, während die Lohnstückkosten immer weiter nach oben driften. Die Industrieproduktion sinkt seit 2018. Da angesichts der Demographie insb. die Herausforderungen für unsere Alterssicherung immens sind, können wir es uns in der Tat nicht mehr leisten, die marktwirtschaftliche Basis unserer sozialen Sicherungssysteme zu demontieren.

Welche Rolle spielt der Arbeitsmarkt für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft?

Viele Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften. Das ist die Kehrseite der niedrigen Arbeitslosigkeit. Ich sehe den Grund nicht bei der Demographie, da die Bevölkerung in Deutschland immer noch wächst. Es wandern insb. viele junge Menschen zu und die Lebenserwartung ist angestiegen. Die Anzahl der Erwerbstätigen ist seit 2008 immens gestiegen. Vielmehr hat der deutsche Staat maßgeblich zur Überhitzung des Arbeitsmarktes beigetragen. Dank EZB sind seit 2008 die Einnahmen des Staates stark angestiegen. Diese wurden auch dazu genutzt ca. 2,5 Mio. zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor (einschließlich Gesundheit und Bildung) zu schaffen. Nochmals 1,3 Mio. Beschäftigungsverhältnisse sind bei den regulierungsnahen Dienstleistungen im privaten Sektor dazu gekommen. Zudem hat der Staat durch eine großzügige soziale Sicherung das Angebot am Arbeitsmarkt verknappt. Ca. 4 Mio. Bürgergeldempfänger sind erwerbsfähig. Darüber hinaus ist die Work-Life-Balance beim Staat in der Regel gut. Es ist deshalb nicht überraschend, wenn potenzielle Bewerber die privaten Unternehmen mit ähnlichen Ansprüchen konfrontieren. Trotz Arbeitskräftemangel verhandeln derzeit viele Gewerkschaften über die Verkürzung der Arbeitszeiten, weil deren Verhandlungsmacht über ein gesundes Maß hinausgewachsen ist.

Kommen wir konkret zu Deiner Forderung, dass sich Leistung wieder lohnen muss. Du führst aus, dass die soziale Sicherung vor dem Hintergrund der Bezahlbarkeit diskutiert werden und vorrangig denjenigen vorbehalten sein muss, die existenziell auf Hilfe angewiesen sind. Was also ist zu tun?

Deutschland hat eine der höchsten Steuer- und Abgabenlasten unter den Industrieländern. Defizite in den sozialen Sicherungssystemen weisen auf weiter steigende Sozialabgaben hin. Doch die Steuern und Abgaben müssen sinken, damit sich Leistung wieder lohnt. Da die Sozialausgaben bei rund 1.250 Mrd. Euro liegen, kommt man beim Sparen nicht um diese herum. Das bedeutet konkret: Die Abschaffung der Rente mit 63 sowie bei der deutlich gestiegenen Lebenserwartung ein höheres Renteneintrittsalter für alle, die noch arbeiten können. Aufgrund der zahlreichen Krankheitstage muss die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeschränkt werden, bspw. am ersten Krankheitstag. Die Bedingungen für das Bürgergeld müssen strenger werden. Deregulierung und Bürokratieabbau würden nicht nur Unternehmen und Banken helfen, Kosten einzusparen, sondern auch dem Staat.

Ist auch die Steuerpolitik ein wirksames Mittel, das zu einer Kehrtwende verhelfen könnte, und welche Maßnahmen schlägst Du vor?

Die Unternehmen sollten nicht durch Subventionen unterstützt werden, auch weil staatliche Gelder ungleich verteilt werden. Oft profitieren die Großen. Wenn die Unternehmensteuern sinken, würde das den Anreiz reduzieren, wirtschaftliche Aktivität ins Ausland zu verlagern. Auch die Einkommensteuer und die Mehrwertsteuer sollten sinken, damit die Kaufkraft der Bevölkerung wieder wächst. Denn steigende Preise und eine immer weiterwachsende Steuer- und Abgabenbelastung sind zum Problem für den Einzelhandel und die Gastronomie geworden. Eine Mindestforderung ist, dass die kalte Progression ausgeglichen wird. Da das Steuersystem sehr komplex ist, sollte es zu diesem Anlass vereinfacht werden.

Und eine Frage zu einem politischen Dauerbrenner: Sollte aus Deiner Sicht an der Schuldenbremse festgehalten werden?

Bezüglich der Schuldenbremse gibt es keine einfache Antwort mehr. Aus historischer Sicht waren überbordende staatliche Ausgabenverpflichtungen und Inflation immer eng miteinander verbunden. Stabile Staatsfinanzen sind die Voraussetzung für eine stabile Währung. Deshalb wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt in den europäischen Verträgen verankert und in Deutschland mit der Schuldenbremse flankiert. Allerdings macht es in einer Währungsunion aus der Sicht eines einzelnen Landes wenig Sinn, den Haushalt auszugleichen, wenn am Ende doch alle Schulden (bspw. durch Inflation) vergemeinschaftet werden. Die Schuldenkontrolle kann insb. in Südeuropa und Frankreich als gescheitert gelten. Auch deshalb ist es wahrscheinlich, dass die deutsche Regierung die Schuldenbremse aufweichen wird, um die marode Infrastruktur zu sanieren und die Verteidigungsbereitschaft wiederherzustellen. Allerdings besteht dann die Gefahr, dass die neu gewonnenen Ausgabenspielräume doch wieder überwiegend in den Konsum fließen, bspw. für die Absicherung der Renten. Zudem ginge mit Deutschland der letzte wichtigste Stabilitätsanker des Euroraums verloren. Der Vertrauensverlust in den Euro, die Kapitalflucht aus Europa und die Inflation würden sich beschleunigen.

Machen wir an dieser Stelle noch einen kleinen Exkurs hin zur Klimapolitik. Du sagst, dass Klimaschutz weit weniger kompliziert und technologieoffen betrieben werden könnte. Was ist Dein Ansatz?

Klimaschutz durch Regulierung ist nicht zielführend, weil Regulierungen viel Sand ins Getriebe der Wirtschaft werfen sowie bürokratielastig und anfällig für die Einflussnahme von Interessengruppen sind. Sobald eine Regulierung beschlossen ist, können die davon profitierenden Unternehmen die Preise anheben. Regulierung führt also auch zu Kaufkraftverlusten. Sind Regulierungen wie beim Heizungsgesetz unausgereift, sinkt die Akzeptanz der Klimapolitik. CO2 kann einfach und effizient eingespart werden, wenn die CO2-Steuer schrittweise angehoben wird. Mit dem steigenden Preis für CO2-Emmissionen steigt der Anreiz, CO2-einsparende Technologien zu entwickeln.

Allerdings würde ich davor warnen, den Klimaschutz als Gelegenheit zu sehen, dem Staat weitere Einkommensquellen zu verschaffen. Deutschland hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Ist das Geld erst einmal beim Staat, tut sich die Politik schwer, es wieder zurückzugeben, wie die Diskussion um das Klimageld zeigt. Ich würde deshalb die Erhöhung der CO2-Steuer an eine entsprechende Reduzierung der Mehrwertsteuer binden. Schließlich ist zu bedenken, dass das kleine Deutschland mit der Wahl von Donald Trump das Klima wohl nicht mehr retten kann.

Eine stabile Währung ist Dir ein besonders großes Anliegen. Du beschreibst als Wege aus der Inflation drei Szenarien. Eines davon ist die Rückkehr der EZB zu den geldpolitischen Prinzipien der Deutschen Bundesbank. Für wie realistisch hältst Du das und was würde eine solche Geldpolitik bewirken?

Eine stabile Währung ist das Rückgrat einer leistungsfähigen Marktwirtschaft. Da die Deutsche Bundesbank konsequent der Geldwertstabilität verpflichtet war, war die Deutsche Mark unter einem ständigen Aufwertungsdruck gegenüber dem Dollar und den südeuropäischen Währungen. Das hat die deutschen Exportunternehmen gezwungen, immer wieder die Effizienz zu erhöhen und Produkte mit hoher Qualität zu produzieren, deren Nachfrage nicht so preissensibel ist. Die daraus resultierenden Produktivitätsgewinne haben die Erhöhung des Lohnniveaus und den Ausbau des Sozialstaates ermöglicht. Ob die Rückkehr zu einer Hartwährungspolitik realistisch ist, hängt vom Reformwillen in Europa ab. Wenn es so kommen würde, dann wären die Unternehmen und die Eurostaaten gezwungen, wieder effizienter zu werden. Das Wachstum würde wiederbelebt und der Wohlstand gesichert. Natürlich müsste man dazu die bittere Pille von Reformen schlucken. „Wasch mich und mach mich nicht nass.“, gibt es nicht. Im Gegensatz zu Argentinien scheint selbst in Deutschland die Bereitschaft in der Bevölkerung zu Reformen aber noch gering.

Das zweite Szenario ist ein „Weiter so“ mit einem weiteren Anstieg der europäischen Staatsverschuldung?

Man verlässt sich wohl lieber darauf, dass die EZB uns wieder retten wird. Die EZB senkt schon wieder kräftig die Zinsen. Das deutet auf „Weiter so“ hin. Doch das Jahr 2025 wird das Jahr der Disruptionen. Der Euro ist kein optimaler Währungsraum, in dem die Konjunkturzyklen gleich verlaufen. Hingegen ist er über die Zeit hinweg immer heterogener geworden, was sich bspw. in immer unterschiedlicheren nationalen Inflationsraten und Schuldenständen zeigt. Ein heterogener Währungsraum ist instabil.

Und nun kommt Trump! Seine Politik führt derzeit dazu, dass die Zinsen auf US-amerikanische Staatsanleihen steigen. Das erhöht den Abwertungsdruck auf den Euro und drückt die Zinsen auf die Staatsanleihen der Euroländer nach oben. Mit Italien, Spanien und Frankreich liegt die Staatsverschuldung in wichtigen Euroländern deutlich über 100 % des Bruttoinlandsprodukts. Insb. Frankreich scheint derzeit politisch und fiskalisch nicht mehr handlungsfähig, so dass die Gefahr einer neuen Eurokrise wächst. Zwar ist die EZB mit dem sog. Transmissionsschutzinstrument vorbereitet. Doch wenn sich die EZB gezwungen sehen sollte, die Staatsanleihen hoch verschuldeter Eurostaaten zu kaufen, dürfte weltweit das Vertrauen in den Euro weiter schwinden. Die Inflation würde ihren Lauf nehmen.

Und drittens der Ausstieg Deutschlands aus dem Euro. Erstens würde das einen massiven weiteren wirtschaftlichen Abstieg bewirken und zweitens können wir uns das in Anbetracht der Zuspitzung der weltpolitischen Lage wohl eher nicht leisten…?

Der Austritt Deutschlands aus dem Euro ist kein schönes Szenario. Besser wäre eine Stabilisierung des Euros auf der Grundlage der einst in den europäischen Verträgen niedergelegten Stabilitätskriterien. Wenn man hingegen den Fortbestand des Euro als alternativlos betrachtet, ist das ein Freibrief für die EZB, Staatsanleihen zu kaufen. Die aus Inflation resultierenden negativen Wachstums- und Verteilungseffekte würden immer noch mehr die politische Polarisierung vorantreiben. Das ist sehr riskant. Zudem hat vor dem Euro der Währungswettbewerb in Europa, zusammen mit dem Binnenmarkt, Europa großen Wohlstand gebracht. Das sollte man nicht vergessen. Der alte Kontinent könnte unter einem Nord- und einem Südeuro aufblühen.

Betrachte ich den aktuellen Wahlkampf, bin ich mir nicht sicher, ob es zu den dringend erforderlichen großen Reformen kommen kann. Auch Du schreibst, dass der schleichende Weg in die Planwirtschaft der politisch einfachere ist. Hinzu kommt auch noch die europäische Komponente. Welche Aufgaben schreibst Du der neuen Bundesregierung ins Pflichtenheft, um wieder ein kleines Wirtschaftswunder in Deutschland zu entfachen?

Deutschland braucht eine restriktive Geld-, Finanz- und Regulierungspolitik. Das ist schwerer als in den USA oder dem Vereinigten Königreich umzusetzen, weil Deutschland in die Europäische Union und den Euro eingebunden ist. Deshalb ist ein „Weiter so“ wahrscheinlich. Allerdings haben auf der anderen Seite des Atlantiks Javier Milei und Donald Trump Reformen angestoßen, die zwar befremdlich und risikoreich, aber auch notwendig sind. Die wachsenden zentralbankfinanzierten Staatsausgaben seit der Jahrtausendwende hatten negative Wachstums- und Verteilungseffekte. Je mehr Verlierer an die politischen Ränder wandern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu noch größeren politischen Verwerfungen kommt. Es ist höchste Zeit für Reformen, die aus der politischen Mitte kommen.

Oder sollten wir einfach nur Hoffnung auf die künftige Geldpolitik der USA legen? Anders als die EZB zögert die FED zumindest derzeit noch mit einer Senkung der Leitzinsen?

Im besten Fall führen die Ausgabenkürzungen und Deregulierungen unter Donald Trump dazu, dass die US-amerikanische Zentralbank FED zu einer stabilitätsorientierten Geldpolitik zurückkehrt. Immerhin stand im Wahlprogramm der Republikaner, dass sie die Stellung des Dollars als internationale Leitwährung sichern wollen. Dafür braucht es einen stabilen Dollar, der nur durch staatliche Ausgabenkürzungen und umfassende Deregulierungen zu erreichen ist. Der Druck auf die EZB würde steigen, die Zinsen hochzuhalten. Dann würden die Unternehmen stärker auf Deregulierung drängen und die Regierungen im Euroraum müssten Ausgabenkürzungen konsequenter vorantreiben. Aus dieser Sicht liegt der Schlüssel in der Tat bei der FED. Schon die Wirtschafts- und Währungsreform in Westdeutschland im Jahr 1948 wäre wohl ohne die US-amerikanische Besatzungsmacht nicht möglich gewesen.

Lieber Gunther, vielen Dank für Dein absolut lesenswertes Buch und das interessante Gespräch.