Maren Kiera-Nöllen: „Das Schicksal ist eine Kackbratze“
Jeden treffen im Leben mal mehr oder weniger heftige Schicksalsschläge. Mit den damit verbundenen Herausforderungen müssen Betroffene, ihre Familien und Freunde dann erst einmal zurechtkommen. Unsere Kollegin Maren Kiera-Nöllen wurde schon mehrfach mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Abgesehen vom engsten Familienkreis wusste bisher niemand davon. Erst jetzt, nach ihrer vierten Krebserkrankung, hat sie sich dazu entschlossen, darüber zu sprechen. Sie lässt uns teilhaben an ihrem Schicksal und hat ihre Erfahrungen im Umgang mit dieser furchtbaren Krankheit in einem sehr ehrlichen Buch beschrieben. Das Buch heißt „Das Schicksal ist eine Kackbratze … und das Leben nach Krebs ist auch kein Ponyhof" und ist seit Oktober im Buchhandel erhältlich.
Wir sprechen mit ihr darüber, wie sie selbst und ihr Umfeld mit ihren Erkrankungen klargekommen und wie es zu dem Buch gekommen ist.​
Maren, fangen wir doch einmal mit der Gegenwart an - wie geht es Dir heute?
Puh, das ist gleich zu Beginn unseres Interviews eine nicht ganz einfache Frage. Wenn Du eine mir völlig fremde Person wärst, würde ich jetzt einfach sagen „gut“. Da wir uns aber schon viele Jahre kennen, möchte ich ehrlich zu Dir sein und antworte daher so wie es nun einmal ist: „Mir geht es den Umständen entsprechend“.
Ende 2022 bist Du schwer an Krebs erkrankt. Jetzt - Mitte 2024 - geht es Dir den Umständen entsprechend. Was sind die wesentlichen Dinge, die sich nun für Dich geändert haben?
Da gibt es einiges, das sich verändert hat. Körperlich habe ich ganz schön Federn gelassen. Meine Fitness muss ich mir derzeit wieder hart erarbeiten und ich bin heute noch lange nicht wieder so fit wie vorher. Aufgrund der Operation kann ich zudem immer noch nicht lange sitzen, was echt nervt. Auch sonst gibt es einige körperliche Veränderungen. Zum Glück ist mein Kopf aber noch völlig in Ordnung. Nein im Ernst, ich beschwere mich nicht. Ich habe überlebt und das ist alles, was zählt.
Das war ja nicht Deine erste Krebserkrankung. Darf ich fragen, welchen Krebs Du hattest und wie der Stand heute ist?
Du darfst fragen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob die Leser damit umgehen können, weil es schon echt krass ist. Aber hey, Du hast gefragt. Also, ich hatte als Kind Leukämie, während des Studiums einen Schilddrüsentumor, während der ersten Berufsjahre den zweiten Schilddrüsentumor und gerade erst Gebärmutterkrebs. Und das, was man so an Behandlungsmethoden kennt - das habe ich alles durchgemacht. Aber das Wichtigste ist: Derzeit sind keine Krebszellen nachweisbar und das kann auch gerne so bleiben!
Das freut mich sehr. Wie bist Du damit umgegangen, als Du von Deiner Erkrankung erfahren hast? Und wie ist Dein Umfeld damit umgegangen?
Als ich erfahren habe, dass ich schon wieder Krebs habe, hat es mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Das war jedes Mal so. Auf einmal zählt nur das Überleben, alles andere ist egal.
Mein Umfeld hat super reagiert. Mein Mann ist sowieso der Beste und meine Familie hat alles für mich getan, was ging. Auch meine Freunde und Freundinnen waren immer für mich da. Ich habe echt ein tolles Umfeld.
Und wie ist RSM Ebner Stolz als Arbeitgeber mit Deiner Erkrankung umgegangen?
Das Büro war super. Während der gesamten Therapiezeit habe ich regelmäßig Genesungsglückwünsche und Blumensträuße bekommen. Also nicht nur einmal am Anfang, sondern wirklich regelmäßig. Mein Chef, Franz Meller, hat ganz häufig gesagt, dass ich mich melden soll, wenn ich irgendetwas brauche oder er irgendetwas für mich tun könne. Und er hat das echt ganz ehrlich gemeint. RSM Ebner Stolz hätte die Welt für mich verrückt, wenn es irgendwas genützt hätte. Das Allertollste war aber, als alle Kollegen aus dem deutschlandweiten Umsatzsteuerteam mir in einem Video gute Besserung gewünscht haben. Das berührt mich heute noch, wenn ich daran denke.
Sogar Mandanten und Kollegen aus dem Ausland haben mir Genesungswünsche und Blumen geschickt.
Nicht nur wegen der Kollegen auch wegen der Arbeit bin ich so schnell wie möglich wieder ins Büro zurückgekommen. Ich arbeite echt gerne und die Arbeit gibt mir ein Stück vom normalen Leben zurück. Für mich ist das wichtig.
Du beschreibst, dass Du ein tolles privates und berufliches Umfeld hast, das Dich unterstützt. Aber wie bist Du persönlich mit Deiner Krebserkrankung umgegangen?
Ich hatte gehofft, Du merkst nicht, dass ich diese Frage nicht richtig beantwortet habe. Wie soll es mir schon ergangen sein? Ich habe viel geweint. Sehr viel. Außerdem war ich oft wütend, weil ich finde, dass das Schicksal eine Kackbratze ist. Sorry für die Wortwahl, aber ich finde zu Krebs passt das. Es gab Tage, an denen war ich richtig fertig. Aber letztlich hatte ich ja keine Wahl. Ich musste da durch.
Heute bin ich echt froh darüber, dass es mir schon wieder viel besser geht als noch vor ein paar Monaten. Aber dass das Schicksal eine Kackbratze ist, finde ich immer noch …
Dies war Deine vierte Krebserkrankung. Fast niemand wusste von Deinen vorherigen Erkrankungen. Wieso hast Du die verheimlicht?
Da gibt es unterschiedliche Gründe. Beruflich wollte ich ausschließlich als die Umsatzsteuerexpertin, der high performer wahrgenommen werden. Meine Freunde und Freundinnen wollte ich einfach nicht mit dem Thema Krebs belasten.
Jetzt nach der letzten Erkrankung habe ich mich dazu entschieden, einen anderen Weg zu gehen und habe die Situation offen kommuniziert. Meine Freunde und Freundinnen haben super reagiert. Im Büro wissen die meisten noch gar nicht, dass dies nicht meine erste Krebserkrankung war. Mit diesem Interview ist es raus und es ist absolut in Ordnung für mich.
Du hast Deine Erfahrungen in einem Buch niedergeschrieben. Was war Deine Motivation hierzu?
Ja, das mit meinem Buch ist echt der Knaller. Ich war auf der Suche nach einem Buch über die Zeit nach einer Krebstherapie. Ich habe nach authentischen Erfahrungsberichten gesucht und dachte, dass es sowas bestimmt schon gibt. Aber alles, was ich gefunden hatte, waren Bücher nach dem Motto „Wie der Krebs mich stärker gemacht hat" oder „Betrachte Krebs als Chance" oder Ähnliches. Mit solchen Büchern kann ich persönlich nichts anfangen. Ich finde Krebs einfach nur kacke. An Krebs finde ich gar nichts positiv. Echt gar nichts! Man könnte ja meinen, dass der Krebs aus dem Körper raus ist und dass man dann automatisch das schöne alte Leben wieder zurückhat. Dem ist aber leider nicht so. Jedenfalls nicht bei mir.
Nun habe ich eben selbst ein Buch geschrieben über die Zeit nach Krebs, in dem ich meine Erfahrungen nach der Krebserkrankung offen und ehrlich beschreibe - mit Lachen, Weinen, Frust und Glück. Ich greife auch einige Äußerungen auf, die man mir gegenüber gemacht hat und wie ich mit diesen umgegangen bin. Zum Beispiel hat eine Nachbarin mal zu mir gesagt, dass ich schrecklich aussehe. Das stimmte zum damaligen Zeitpunkt zwar, aber gebraucht habe ich diese Äußerung wirklich nicht. Außerdem weiß ich, wie ich aussehe. Ich besitze schließlich einen Spiegel.
Und ja, das Buch ist trotz des ernsten Themas an der ein oder anderen Stelle auch echt lustig. Zum Beispiel erzähle ich, warum ich nicht Superwoman sondern eine Mehlsäckin bin. Oder warum ein kaputtes Brillenglas kein Tumor ist oder warum ich fünfmal die gleiche Hose gekauft habe. Oder dass die Narbe am Bauch auch nach fünf Minuten immer noch hässlich ist und ich mir keinen Mammutbaum tätowieren lasse.
Ratgeber zu Krebserkrankungen gibt es viele. Warum ist Dein Buch anders und warum sollten Betroffene Dein Buch lesen?
Mein Buch ist kein Ratgeber. Ich würde niemals irgendeinem Betroffenen sagen, wie er sich verhalten soll. Jeder Krebs ist anders und jeder Patient ist anders. Wie gesagt, mit Kalendersprüchen wie „Lächle und sei froh" kann ich gar nichts anfangen.
Es geht in meinem Buch darum, die Zeit nach Krebs ehrlich zu beschreiben. Ungeschönt. Ohne Kalenderspruch. Der Leser, der selbst mal Krebs hatte, stellt vielleicht fest, dass sich unsere Alltagsgeschichten ähneln, und das mag eine Stütze für ihn sein. Aber auch für Angehörige, Freunde, Bekannte und Kollegen können meine geschilderten Erlebnisse hilfreich sein. Denn wer sagt schon ehrlich, wie es nach Krebs ist? Ich.
Gibt es etwas, das Du für Dich persönlich aus dieser Lebensphase mitgenommen hast?
Ja, das habe ich. Krebs ist immer kacke, egal ob einmal oder viermal.
Liebe Maren, wir danken Dir für dieses offene Gespräch. Deine Art im Umgang mit einer existenziellen Lebensphase macht anderen Betroffenen bestimmt Mut. (Ich selbst habe Dein Buch schon gelesen und habe viel gelernt, viel gelacht und musste an der ein oder anderen Stelle auch ein Tränchen wegwischen. Absolut lesenswert.)
Hinweis: Das Buch von Maren Kiera-Nöllen wurde im Oktober 2024 veröffentlicht. Es kann im Buchhandel, beim ESE Verlag oder bei amazon zu einem Preis vom 17,95 Euro erworben werden.