Beim Betrieb von Gesundheitstelefonen und Patientenbegleitprogrammen stellt sich die Frage, ob diese in umsatzsteuerlicher Hinsicht noch als umsatzsteuerfreie Heilbehandlung oder mit dieser eng verbundenen Leistung nach § 4 Nr. 14 UStG betrachtet werden können.
In dem vorliegenden Fall wurden Versicherte von einer GmbH im Auftrag von Krankenkassen telefonisch zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen beraten und Patientenbegleitprogramme durchgeführt. Die telefonischen Beratungsleistungen wurden durch Krankenschwestern und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils als Gesundheitscoaches ausgebildet waren. Im Rahmen des Gesundheitstelefons wurden Diagnosen und mögliche Therapien erklärt und Ratschläge erteilt. Die Teilnehmer der Patientenbegleitprogramme, die von der Klägerin angerufen wurden, konnten bei Fragen die Hotline erreichen. In ca. einem Drittel der Fälle wurde ein Arzt hinzugezogen.
Die GmbH stufte die Umsätze aus der Telefonberatung als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin ein und meldete insoweit steuerfreie Umsätze an. Das Finanzamt hingegen beurteilte die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig.
Der BFH legte das Verfahren nunmehr dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit den Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor, ob die telefonische Beratung zu Gesundheitsthemen unter den Anwendungsbereich von Art. 132 Abs .1 Ziff. c Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) fällt und ob es für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis ausreicht, dass die telefonischen Beratungen von „Gesundheitscoaches“ durchgeführt werden und lediglich in ca. einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird.
Für den BFH war klärungsbedürftig,
- ob es sich bei den fraglichen Leistungen der GmbH um Heilbehandlungen handelt, für die der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 14a Satz 1 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL eröffnet sei und
- ob eine Heilbehandlung auch vorliegen könne, wenn noch offen sei, ob die Beratung in eine Heilbehandlung mündet und ob die Coaches Ärzte sein bzw. einen arztähnlichen Beruf ausüben müssen.
Der EuGH hat nun mit Urteil vom 5.3.2020 (Rs. C-48/19) entschieden, Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sei dahingehend auszulegen, dass telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen können, sofern sie eine therapeutische Zielsetzung verfolgen; dies zu prüfen sei aber Sache des vorlegenden Gerichts. Steuerbefreite Heilbehandlungsleistungen können anders als Krankenhausleistungen ortsunabhängig und damit grundsätzlich auch telefonisch erbracht werden. Die Steuerbefreiung der telefonischen Beratung setzt aber einen therapeutischen Zweck voraus. Wenn die Beratungen u. a. darin bestehen, dass die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien erläutert und ggf. Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorgeschlagen werden und die Patienten ihre medizinische Situation dadurch besser verstehen, kann darin ein therapeutischer Zweck gesehen werden. Die Erteilung allgemeiner Auskünfte, insb. auch rein administrativer Art, hingegen erfülle diesen Zweck laut Auffassung des EuGH nicht.
Nach Auffassung des EuGH sei aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nicht zu schlussfolgern, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, im Fall der telefonischen Leistungserbringung zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen müssten. Die Steuerbefreiung könne auch dann zur Anwendung kommen, wenn davon ausgegangen werden könne, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen. Dies zu prüfen sei aber ebenso Sache des vorlegenden Gerichts.
Hinweis
Es bleibt abzuwarten, welche Auffassung der BFH hinsichtlich der Notwendigkeit einer (Zusatz-)Qualifikationen der „Gesundheitscoaches“ in dem nun abzuschließenden nationalen Verfahren vertritt.