Hintergrund:
Eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung setzt u.a. voraus, dass der gelieferte Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat der EU befördert oder versendet wird. Dies festzustellen bereitet insbesondere bei sog. Reihengeschäften immer wieder Schwierigkeiten: Liefert ein Unternehmer (A) Waren an einen anderen Unternehmer (B), der diese an einen dritten Unternehmer (C) weiterliefert, kann nur diejenige Lieferung umsatzsteuerfrei sein, der der Warentransport in den anderen Mitgliedstaat zuzuordnen ist.
Im Verfahren XI R 15/14 verkaufte eine deutsche GmbH (A) im Jahr 1998 zwei Maschinen an ein US-amerikanisches Unternehmen (B). B teilte A auf Anfrage lediglich die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines finnischen Unternehmens (C) mit, an die es die Maschinen weiterverkauft habe. Die Maschinen wurden von einer von B beauftragten Spedition bei A abgeholt und zu C nach Finnland verschifft. Das Finanzamt behandelte die Lieferung der A nicht als steuerfrei, weil B keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer eines Mitgliedstaats der EU verwendet habe.
Nach Ansicht des zuvor auf Vorlage des BFH mit dem Streitfall befassten EuGH ist bei sog. Reihengeschäften regelmäßig die Lieferung von A an B umsatzsteuerfrei; anders ist es jedoch, wenn B der C bereits Verfügungsmacht an der Ware verschafft hat, bevor die Ware das Inland verlassen hat. Dies ist anhand aller objektiven Umstände des Einzelfalls und nicht lediglich anhand der Erklärungen des B zu prüfen. A, das Finanzamt und das FG konnten im Nachhinein nicht mehr ermitteln, wann B die Verfügungsmacht an den Waren der C verschafft hatte.
Das FG gab der Klage im zweiten Rechtsgang statt. Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Entscheidung des FG, die Warenbewegung sei vorliegend der Lieferung der Klägerin an B zuzuordnen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden
§ 3 Abs. 6 S. 6 Halbs. 1 UStG enthält die gesetzliche Vermutung, dass im Zweifel die erste Lieferung (von A an B) steuerfrei ist. Diese Vermutung greift im Streitfall. Trotz der bestehenden praktischen Schwierigkeiten ist nach derzeitiger Rechtslage an den genannten Rechtsgrundsätzen festzuhalten. Eventuelle Rechtsänderungen vorzunehmen ist Aufgabe des Gesetz- oder Richtliniengebers.
Es besteht in diesem Zusammenhang jedoch eine für die Unternehmer bestehende Absicherungsmöglichkeit. So kann sich z.B. A von B versichern lassen, dass B die Befugnis, über den Gegenstand der Lieferung wie ein Eigentümer zu verfügen (Verfügungsmacht), nicht auf einen Dritten übertragen wird, bevor der Gegenstand der Lieferung das Inland verlassen hat. Verstößt B gegen diese Versicherung, kommt die Gewährung von Vertrauensschutz für A in Betracht und B schuldet ggf. die deutsche Umsatzsteuer (§ 6a Abs. 4 UStG).
+++ XI R 30/13 +++
In einem weiteren Urteil (BFH 25.2.2015, XI R 30/13), ebenfalls zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Reihengeschäften, stellte der XI. Senat klar, dass auch dann, wenn der zweite Erwerber (C) eine Spedition mit der Abholung von Waren beim Unternehmer (A) beauftragt, eine Steuerbefreiung der Lieferung des A an B möglich ist, wenn C die Verfügungsmacht an den Waren erst erhalten hat, nachdem diese das Inland verlassen haben. Dies sei bei einer Beförderung durch eine von C beauftragte Spedition zwar eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Linkhinweis:
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