Rechtslage bis 31.12.2019
Nach dem von 2009 bis einschließlich 2019 geltenden nationalen Recht waren Privatkliniken mit ihren Krankenhausleistungen umsatzsteuerpflichtig. Sie konnten sich jedoch nach Auffassung der Finanzverwaltung auf die Umsatzsteuerfreiheit nach der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) berufen, wenn sie ein vergleichbares Leistungsspektrum wie öffentliche Krankenhäuser oder Plankrankenhäuser erbracht und entweder mindestens in 40 % der Fälle keine höheren Entgelte als nach der Bundespflegesatzverordnung oder dem Krankenhausentgeltgesetz verlangt haben oder mindestens 40 % der Leistungen gesetzlich Versicherten, Sozialhilfeempfängern und vergleichbaren Patienten zugutegekommen sind. Ein BMF-Schreiben vom 06.10.2016 (Az. III C 3 - S 7170/10/10004) stellte klar, dass Entgelte für Wahlleistungen in die Berechnung der 40 %-Grenze nicht einzubeziehen waren, wenn das Entgelt für die Wahlleistungen in einem angemessenen Verhältnis zu den allgemeinen Krankenhausleistungen gestanden hat. Die Privatklinik hatte faktisch ein Wahlrecht: Sie konnte sich auf die Umsatzsteuerpflicht nach nationalem Recht oder auf die Steuerbefreiung nach EU-Recht berufen.
Rechtslage ab 2020
Ab 2020 wurden die genannten Voraussetzungen für die Umsatzsteuerbefreiung nahezu identisch in das nationale Gesetz (§ 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa UStG) übernommen. Liegen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung danach vor, kann auf sie nicht verzichtet werden. Die Privatklinik hat also kein Wahlrecht mehr.
Anforderungen an die Umsatzsteuerbefreiung
Über die Anforderungen an die Umsatzsteuerbefreiung besteht allerdings weiterhin Streit. Diese sind auch nach Aufnahme in das Gesetz nicht eindeutig und zweifelsfrei definiert und daher auslegungsbedürftig. Im Mittelpunkt der Diskussion steht u. a. die Frage, ob die Bedingungen, unter denen die Privatklinik tätig ist, mit denen von Plankrankenhäusern vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit in sozialer Hinsicht liegt dann vor, wenn mindestens 40 % der jährlichen Belegungs- und Berechnungstage auf Patienten entfallen sind, bei denen für die Krankenhausleistungen kein höheres Entgelt als für allgemeine Krankenhausleistungen nach dem Krankenhausentgeltgesetz oder der Bundespflegesatzverordnung berechnet wurde oder mindestens 40 % der Leistungen den in § 4 Nr. 15b UStG genannten Personen zugutegekommen sind.
Berücksichtigung von Entgelten für Wahlleistungen
Entgelte, die für Wahlleistungen berechnet wurden, waren nach dem Schreiben des BMF ausdrücklich nicht in die Berechnung der 40 %-Grenze der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage einzubeziehen, sofern das Entgelt für die Wahlleistungen entsprechend § 17 Abs. 1 KHEntgG in einem angemessenen Verhältnis zu den allgemeinen Krankenhausleistungen stand.
Dieser Passus ist nicht in den Gesetzestext übernommen worden. Da das BMF-Schreiben nicht geändert oder aufgehoben worden ist, spricht jedoch Einiges dafür, dass die Finanzbehörden auch weiterhin von der Einbeziehung von Wahlleistungen absehen. Allerdings wird dieser Punkt derzeit von den Finanzämtern unterschiedlich behandelt. Bis zu einer Klarstellung im Umsatzsteuer-Anwendungserlass besteht insoweit eine Unsicherheit, die jeweils mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen ist. Solange wird man das BMF-Schreiben vom 06.10.2016 in der Argumentation gegenüber dem Finanzamt nutzen können.
Neue Grundsätze zur Umsatzsteuerbefreiung durch EuGH-Urteil
Bei der Argumentation kann zusätzlich das Urteil des EuGH vom 05.03.2020 (Rs. C-211/18) herangezogen werden, mit dem dieser neue Grundsätze zur Umsatzsteuerbefreiung von privaten Krankenhäusern aufstellt.
Aus der Entscheidung des EuGH kann aus unserer Sicht abgeleitet werden, dass eine starre Grenze wie sie in § 4 Nr. 14 Buchst. b Satz 2 Doppelbuchst. aa) UStG vorgesehen ist, nicht mit den Vorgaben nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. B MwStSystRL vereinbar ist. Der EuGH stellt fest, dass aus dem Wortlaut der Bestimmung hervorgeht, dass die Befreiung der von privaten Krankenhauseinrichtungen durchgeführten Heilbehandlungen davon abhängig ist, dass diese Leistungen unter Bedingungen erbracht werden, die mit den Bedingungen für Einrichtungen des öffentlichen Rechts in sozialer Hinsicht vergleichbar sind. Da sich diese Voraussetzung auf die erbrachten Leistungen und nicht auf den betreffenden Leistungserbringer beziehe, sei der Anteil der Heilbehandlungen, die im Sinne dieser Vorschrift unter Bedingungen durchgeführt werden und die in sozialer Hinsicht vergleichbar seien, im Verhältnis zur gesamten Tätigkeit des Leistungserbringers für die Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL vorgesehenen Befreiung nicht relevant.
Das Merkmal „in sozialer Hinsicht“ bezieht sich daher nach dem Urteil des EuGH nicht auf die gesamte Leistungstätigkeit des Leistungserbringers, sondern auf die von ihm im Einzelfall erbrachten Umsätze. Dies führt nach Ansicht des EuGH zur Unionrechtswidrigkeit einer starren Grenze. Es gehe also nicht darum, den Unternehmer als solchen zu begünstigen, sondern die Umsätze zu befreien, bei denen die Preisgestaltung sozialen Vorgaben entspricht. Offen bleibt, wie sich das Urteil auf solche Umsätze auswirkt, die in sozialer Hinsicht nicht vergleichbar sind.
Fazit
Das Urteil des EuGH ist zu begrüßen, denn angesichts des erneut entstandenen Streits über die Einordnung der Leistungen von Privatkliniken bestehen nun weitere Möglichkeiten, gegen eine Umsatzsteuerpflicht zu argumentieren, unabhängig davon, ob die wahlärztlichen Leistungen in die Berechnung einzubeziehen sind oder nicht. Aufgrund der unklaren Rechtslage sollte aber ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft bei dem zuständigen Finanzamt für künftige Zeiträume eingeholt werden, um Rechtssicherheit zu schaffen. Für Privatkliniken, die in der Vergangenheit den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen haben oder zukünftig in Anspruch nehmen möchten, kann die Argumentation von Nachteil sein. Dies gilt es im Einzelfall zu beachten.