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Umsatzsteuerrechtliche Organschaft in der Insolvenz

BFH 15.12.2016, V R 14/16

Mit der In­sol­ven­zeröff­nung über das Vermögen des Or­ganträgers en­det die Or­gan­schaft. Un­abhängig von den Verhält­nis­sen beim Or­ganträger en­det die Or­gan­schaft je­den­falls mit der In­sol­ven­zeröff­nung bei der Or­gan­ge­sell­schaft. Die Be­stel­lung ei­nes Sach­wal­ters im Rah­men der Ei­gen­ver­wal­tung nach §§ 270 ff. InsO in den In­sol­venz­ver­fah­ren des bis­he­ri­gen Or­ganträgers und der bis­he­ri­gen Or­gan­ge­sell­schaft ändert hieran nichts.

Der Sach­ver­halt:
Die kla­gen­der GmbH übte im Streit­zeit­raum eine un­ter­neh­me­ri­sche Tätig­keit i.S.v. § 2 UStG aus. Ihre al­lein­ver­tre­tungs­be­rech­tig­ten Ge­schäftsführer wa­ren A, B und C. Die Kläge­rin war un­mit­tel­bar oder über die Toch­ter­ge­sell­schaft D-GmbH Al­lein­ge­sell­schaf­ter der E-, F-, G-, H-, I- und J-GmbH. Mit Aus­nahme der J-GmbH war A bei al­len Ge­sell­schaf­ten al­lein­ver­tre­tungs­be­rech­tig­ter Ge­schäftsführer. Ge­schäftsführer der J-GmbH wa­ren N, der bei der Kläge­rin zu­gleich in lei­ten­der Funk­tion tätig war, und C. Für den Zeit­raum bis Mai 2012 gin­gen die Kläge­rin und das Fi­nanz­amt übe­rein­stim­mend da­von aus, dass alle sechs Toch­ter­ge­sell­schaf­ten Or­gan­ge­sell­schaf­ten der Kläge­rin gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG wa­ren.

Die Kläge­rin stellte beim zuständi­gen AG In­sol­venz­an­trag für sich und ihre Toch­ter­ge­sell­schaf­ten und be­an­tragte Ei­gen­ver­wal­tung. Das AG be­stellte noch am glei­chen Tag P zum vorläufi­gen Sach­wal­ter und ord­nete an, dass die Kläge­rin be­rech­tigt ist, un­ter Auf­sicht des P als vorläufi­gen Sach­wal­ter ihr Vermögen wei­ter zu ver­wal­ten und darüber zu verfügen. Das AG eröff­nete das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen der Kläge­rin und zeit­gleich auch für die sechs Toch­ter­ge­sell­schaf­ten. Für alle Ver­fah­ren ord­nete es Ei­gen­ver­wal­tung i.S.v. § 270 Abs. 1 InsO an, be­stellte wie­derum P je­weils zum Sach­wal­ter und setzte Gläubi­ge­raus­schüsse ein. In al­len Eröff­nungs­be­schlüssen ord­nete es an, dass die Ver­wal­tungs- und Verfügungs­be­fug­nis bei der je­wei­li­gen Schuld­ne­rin ver­bleibe und schuld­be­frei­ende Leis­tun­gen nur an diese zu er­fol­gen ha­ben.

Die für die Kläge­rin so­wie de­ren Toch­ter­ge­sell­schaf­ten ge­son­dert ab­ge­ge­be­nen Um­satz­steuer-Vor­an­mel­dun­gen für Mai 2012 fasste das Fi­nanz­amt in der An­nahme, die Or­gan­schaft be­stehe fort, zu­sam­men und er­ließ im Juli 2012 einen Um­satz­steuer-Vor­aus­zah­lungs­be­scheid Mai 2012 ge­genüber der Kläge­rin. Die Vor­aus­zah­lun­gen der Toch­ter­ge­sell­schaf­ten wur­den durch die Be­scheide auf 0 € fest­ge­setzt. Die I-GmbH wurde bei der Fest­set­zung von Juli 2012 noch nicht berück­sich­tigt, son­dern erst bei Er­lass des Ände­rungs­be­scheids von Ok­to­ber 2012.

Das FG wies die hier­ge­gen ge­rich­tete Klage ab. Auf die Re­vi­sion der Kläge­rin hob der BFH das Ur­teil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Ent­ge­gen der An­sicht des FG hat die Or­gan­schaft im Streit­fall mit der Eröff­nung der In­sol­venz­ver­fah­ren über die Vermögens­mas­sen des Or­ganträgers und der Or­gan­ge­sell­schaf­ten ge­en­det. Dem steht die An­ord­nung der Ei­gen­ver­wal­tung in die­sen Ver­fah­ren nicht ent­ge­gen.

Mit der In­sol­ven­zeröff­nung über das Vermögen des Or­ganträgers en­det die Or­gan­schaft. Um­satz­steu­er­recht­lich begründet die Or­gan­schaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Zu­sam­men­fas­sung der Un­ter­neh­men meh­re­rer Per­so­nen zu einem Un­ter­neh­men. An­ders als das Um­satz­steu­er­recht mit der Or­gan­schaft fasst das In­sol­venz­recht die Ver­fah­ren meh­re­rer Per­so­nen nicht zu­sam­men. Das In­sol­venz­recht enthält keine Re­ge­lun­gen, die im Fall ei­ner Kon­zern­in­sol­venz ein ein­heit­li­ches In­sol­venz­ver­fah­ren für meh­rere Kon­zern­ge­sell­schaf­ten ermögli­chen. So­wohl hin­sicht­lich der Fest­stel­lung des In­sol­venz­grun­des als auch in Be­zug auf die Ab­wick­lung des In­sol­venz­ver­fah­rens blei­ben ver­bun­dene Un­ter­neh­men da­her in­sol­venz­recht­lich selbständig. Da­nach entfällt die Or­gan­schaft mit der In­sol­ven­zeröff­nung beim Or­ganträger.

Un­abhängig von den Verhält­nis­sen beim Or­ganträger en­det die Or­gan­schaft je­den­falls mit der In­sol­ven­zeröff­nung bei der Or­gan­ge­sell­schaft, da zu die­sem Zeit­punkt die fi­nan­zi­elle Ein­glie­de­rung entfällt. Diese stellt si­cher, dass eine Per­son nur dann Or­ganträger ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son sein kann, wenn sie die ge­sell­schafts­recht­li­chen Be­tei­li­gungs­rechte ge­genüber den Ge­schäftsführungs- oder Auf­sichts­or­ga­nen der ju­ris­ti­schen Per­son ausüben kann. Sie ist so­mit die Grund­lage dafür, dass für den Or­ganträger auf­grund der Ge­samt­heit der Ein­glie­de­rungs­vor­aus­set­zun­gen eine Durch­griffsmöglich­keit auf die Or­gan­ge­sell­schaft be­steht, die es dem Or­ganträger ermöglicht, die ihm nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu­ge­ord­nete Ver­ant­wor­tung für die Be­steue­rung der Um­satztätig­keit des ge­sam­ten Or­gankrei­ses zu über­neh­men.

Die Ein­glie­de­rung entfällt auch, wenn das In­sol­venz­ge­richt Ei­gen­ver­wal­tung nach §§ 270 ff. InsO an­ord­net, da dann die fi­nan­zi­elle Ein­glie­de­rung en­det. Zwar ist der Schuld­ner und da­mit die Or­gan­ge­sell­schaft gem. § 270 Abs. 1 S. 1 InsO be­rech­tigt, un­ter der Auf­sicht ei­nes Sach­wal­ters die In­sol­venz­masse zu ver­wal­ten und über sie zu verfügen. Die für die Or­gan­schaft er­for­der­li­che Ein­glie­de­rung mit Durch­griffsmöglich­keit entfällt aber gleich­wohl. Denn ist der Schuld­ner - wie die Toch­ter­ge­sell­schaf­ten der Kläge­rin - eine ju­ris­ti­sche Per­son, so ha­ben der Auf­sichts­rat, die Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung oder ent­spre­chende Or­gane gem. § 276a S. 1 InsO kei­nen Ein­fluss auf die Ge­schäftsführung des Schuld­ners mehr. Die Über­wa­chungs­or­gane ha­ben bei der Ei­gen­ver­wal­tung keine wei­ter ge­hen­den Ein­flussmöglich­kei­ten auf die Ge­schäftsführung als im Falle der Fremd­ver­wal­tung durch den In­sol­venz­ver­wal­ter.

Da­nach ist im Streit­fall auch die fi­nan­zi­elle Ein­glie­de­rung we­gen § 276a InsO ent­fal­len. Zwar war es der Kläge­rin auch un­ter Be­ach­tung von § 276a InsO möglich, Mehr­heits­be­schlüsse zu fas­sen. Kommt die­sen aber we­gen § 276a InsO keine Be­deu­tung mehr zu, be­steht keine fi­nan­zi­elle Ein­glie­de­rung mehr. Es wäre sinn­los, für die "fi­nan­zi­elle Ein­glie­de­rung al­lein auf die recht­li­che Möglich­keit zur Fas­sung von Mehr­heits­be­schlüssen" ab­zu­stel­len, da die fi­nan­zi­elle Ein­glie­de­rung kein Selbst­zweck ist.

Link­hin­weis:

  • Der Voll­text der Ent­schei­dung ist auf der Home­page des BFH veröff­ent­licht.
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