In seinem Urteil vom 13.01.2022 (Rs. C-156/20, Zipvit Ltd., DStR 2022, S. 150) entscheidet der EuGH über die Vorlagefragen im Zusammenhang mit dem Fall eines britischen Betreibers eines Versandhandels, der bei der für den öffentlichen Postdienst zuständigen Royal Mail Postleistungen bezog. Irrtümlich gingen sowohl der Versandhändler, Royal Mail als auch die britische Finanzverwaltung davon aus, dass die Leistung als mehrwertsteuerfrei zu behandeln sei.
Aufgrund eines anderen Urteils des EuGH zur Mehrwertsteuerbefreiung von Postleistungen (EuGH Urteil vom 29.04.2009, Rs. C-357/07, TNT Post UK, DB 2009, S. 1156) ging der Versandhändler nachträglich davon aus, dass die bereits geleisteten Zahlungen an Royal Mail einen Mehrwertsteuerbetrag umfassten und beantragte bei der zuständigen britischen Behörde den Vorsteuerabzug in entsprechender Höhe. Diese lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass die betreffenden Leistungen nicht der Mehrwertsteuer unterlegen hätten und diese Steuer nicht entrichtet wurde.
Royal Mail hingegen zog wegen des damit verbundenen Verwaltungs- und Kostenaufwands die zu Unrecht nicht entrichtete Mehrwertsteuer nachträglich nicht von den Kunden ein. Eine Änderung der Steuerfestsetzung war der Finanzbehörde wegen des Ablaufs der Verjährungsfristen nicht möglich.
Der EuGH entscheidet, dass die unionsrechtlichen Bestimmungen zum Vorsteuerabzug dahingehend auszulegen sind, dass die Mehrwertsteuer nicht als im Sinne dieser Bestimmung geschuldet oder entrichtet angesehen werden und daher vom Steuerpflichtigen nicht abgezogen werden kann, wenn Leistender und Leistungsempfänger die betreffenden Leistungen aufgrund einer falschen Auslegung des Unionsrechts zu Unrecht für mehrwertsteuerfrei gehalten haben.
In dem Urteilsfall wurde zudem in den Rechnungen keine Mehrwertsteuer ausgewiesen und nach dem Vertrag zwischen den beiden Parteien hatte der Leistungsempfänger das Steuerrisiko zu tragen, falls die Steuer doch geschuldet würde. Ferner wurden keine rechtzeitigen Schritte zur nachträglichen Einziehung der nicht entrichteten Mehrwertsteuer eingeleitet, sodass dies aufgrund des Ablaufs von Verjährungsfristen nicht mehr möglich war.
Hinweis: Auch die deutsche Regelung zum Vorsteuerabzug in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG setzt voraus, dass die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer geschuldet wird. Die Entscheidung des EuGH dürfte sich auch mit den bisher durch die deutsche Finanzverwaltung aufgestellten Grundsätzen decken, denn gemäß BMF-Schreiben vom 18.09.2020 (BStBl. I 2020, S. 976, Tz. 25) kann eine in einem Dokument bisher fälschlicherweise nicht ausgewiesene Umsatzsteuer nicht mit Rückwirkung berichtigt werden (vgl. auch novus November 2020, S. 19).