Hintergrund der Entscheidung - Aufteilungsgebote
Aufteilungsgebot für Beherbergungsumsätze
Für die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden kommt nach § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 1 UStG der ermäßigte Umsatzsteuersatz zur Anwendung. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 11 Satz 2 UStG gilt dieser jedoch nicht für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, auch wenn für diese Leistungen kein gesondertes Entgelt vereinbart wurde.
Bisher wurde die Regelung des Satz 2 als sogenanntes Aufteilungsgebot für Beherbergungsleistungen angesehen, welches selbst dann zur Anwendung kommen sollte, wenn die weiteren Leistungen als sog. Nebenleistungen grundsätzlich das Schicksal der Übernachtungsleistung als Hauptleistung teilen würden. Insofern wurden bisher typische mit der Übernachtungsleistung verbundene Nebenleistung wie z. B. Frühstücksleistungen oder die Überlassung von Parkplätzen dem Regelsteuersatz unterworfen.
Diese Handhabung wurde vom XI. Senat des BFH bislang als unionsrechtkonform eingestuft (vgl. Urteil vom 24.03.2013, Az. XI R 3/11, BStBl. II 2014, S. 86, Fall „Frühstück“, sowie Urteil vom 01.03.2016, Az. XI R 11/14, BStBl. II 2016, S. 753, Fall „Parkplatz“).
Aufteilungsgebot für Betriebsvorrichtungen
§ 4 Nr. 12 Satz 2 UStG normiert ein weiteres Aufteilungsgebot für die Überlassung von Betriebsvorrichtungen im Zusammenhang mit der Vermietung von Gebäuden. Während nach § 4 Nr. 12 Satz 1 UStG Umsätze aus der Vermietung und der Verpachtung von Grundstücken steuerbefreit sind, werden nach Satz 2 die Vermietung und Verpachtung von Betriebsvorrichtungen ausdrücklich von der Steuerbefreiung ausgenommen. Betriebsvorrichtungen im Sinne der Vorschrift sind Maschinen und sonstige Vorrichtungen aller Art, die zu einer Betriebsanlage gehören, auch wenn sie wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind.
EuGH-Rechtsprechung Stadion Amsterdam
Erste Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Aufteilungsgebotes kamen aufgrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Stadion Amsterdam“ (Urteil vom 18.01.2018, Rs. C-463/16, Stadion Amsterdam) auf. Laut dem EuGH kann eine einheitliche Leistung, die aus einem Haupt- und einem Nebenbestandteil besteht, nur einheitlich mit einem Mehrwertsteuersatz besteuert werden. Der Steuersatz bemisst sich dabei nach dem Hauptbestandteil der einheitlichen Leistung. Dies gilt laut EuGH auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils bestimmt werden kann. Zudem verstoßen Regelungen, die bei Vorliegen von einheitlichen Leistungen die Anwendung unterschiedlicher Steuersätze auf die unterschiedlichen Leistungsbestandteile vorsehen, gegen EU-Recht. Konkret ging es in dem Urteilsfall um einen Besuch im Museum des Fußballklubs AFC Ajax Amsterdam (ermäßigter Steuersatz), der nur in Verbindung mit einem Stadionrundgang (Regelsteuersatz) angeboten wurde.
EuGH-Vorlage des V. Senats zum Aufteilungsgebot bei Betriebsvorrichtungen
Vor diesem Hintergrund legte der V. Senat des BFH mit Beschluss vom 25.05.2021 (Az. V R 22/20) die Frage vor, ob es sich bei der Vermietung von Gebäuden mit Betriebsvorrichtungen um eine einheitliche steuerfreie Vermietungsleistung handelt oder ob ein Aufteilungsgebot für die Umsätze besteht. Das Verfahren ist derzeit beim EuGH anhängig (Rs. C-516/21, Finanzamt X gegen Y).
Kernaussagen des aktuellen BFH-Beschlusses
Mit Beschluss vom 07.03.2022 (Az. XI B 2/21 (AdV)) äußert der BFH ernstliche Zweifel an der Unionsrechtskonformität des Aufteilungsgebots für Hotelleistungen und gewährte die Aussetzung der Vollziehung (AdV).
In dem zugrundeliegenden Fall bot ein Hotel seinen Gästen ausschließlich Pauschalpakete an, die neben der Zimmervermietung auch das Frühstück und den Zugang zum Spa-Bereich enthielten. Übernachtungen ohne Frühstück oder Zugang allein zum Spa wurden nicht angeboten.
Während das Finanzamt jede Leistung einzeln behandeln wollte, ging das Hotel davon aus, dass es sich hierbei um eine einheitliche Leistung handele, die insgesamt dem ermäßigten Steuersatz unterliege und beantragte insoweit die Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuer-Bescheids. Vor dem Hintergrund der noch ungeklärten Rechtslage gewährt der BFH die Aussetzung der Vollziehung. Interessant ist, dass der XI. Senat sich im Beschluss inhaltlich nicht positioniert hat, also EU-rechtliche Bedenken weder bejaht noch verworfen hat. Auch wurde das Vorliegen von ernstlichen Zweifeln durch den Senat nicht weiter geprüft, denn diese ergaben sich schon allein aufgrund der EuGH-Vorlage des V. Senats zum Aufteilungsgebot bei der Mitvermietung von Betriebsvorrichtungen.
Im Rahmen des vorliegenden Beschlusses hat sich der BFH lediglich summarisch mit der Prüfung der Rechtslage im Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz auseinandergesetzt. Die Entscheidung ist dem Hauptsacheverfahren im Anschluss an eine noch zu erhebende Klage vorbehalten.
Ob diese erhoben wird, bleibt abzuwarten. Gleichwohl wird der BFH sich mit der Thematik befassen müssen, denn es sind bereits einige Verfahren zum Aufteilungsgebot für Hotelumsätze beim BFH anhängig: Az. XI R 34/20 für Frühstück und Parkplatz; Az. XI R 35/20 für Verpflegungsleistungen; Az. XI R 7/21 für Frühstück; Az. XI R 22/21 für Parkplatz, W-LAN und Fitnesseinrichtungen.
Was bedeutet das für Sie in der Praxis?
Der Beschluss erging im einstweiligen Rechtschutz, so dass die Rechtslage zur Unionsrechtskonformität der gesetzlich normierten Aufteilungsgebote weiterhin ungeklärt ist.
Vor dem Hintergrund der oben angesprochenen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Stadion Amsterdam ist jedoch damit zu rechnen, dass das Aufteilungsgebot durch den EuGH und in der Folge durch den BFH zukünftig zumindest in Frage gestellt werden wird.
Ob hierdurch die Rechtslage klarer wird, bleibt abzuwarten. Es ist dann aber damit zu rechnen, dass sich der Druck auf die Frage des Vorliegens und des Umfangs von Haupt- und Nebenleistungen erhöhen wird. Denn nur wenn diese anzunehmen sind, wäre ein einheitlicher Steuersatz anzuwenden; in allen anderen Fällen kämen vor einer gesetzlichen Anpassung weiterhin unterschiedliche Steuersätze zur Anwendung.
Hotelbetriebe
Bei Hotels wird daher insbesondere in den Fällen, in denen sämtliche Leistungen des Hotels nicht allen Gästen als Gesamtpaket angeboten werden, fraglich sein, ob Haupt- und Nebenleistungen anzunehmen sein werden. Hierbei wird der durch die Rechtsprechung herausgearbeitete Grundsatz zu beachten sein, dass grundsätzlich jede Leistung als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist. Lediglich einheitliche wirtschaftliche Vorgänge dürfen umsatzsteuerrechtlich nicht künstlich aufgespalten werden.
- Für die Vergangenheit: Ggf. Offenhalten der Veranlagung
Für die Vergangenheit könnte unter Verweis auf die anhängigen Verfahren die Veranlagung mit Einsprüchen oder Änderungsanträgen offengehalten werden, um für vergangene Zeiträume die Vorteile aus der Anwendung eines einheitlichen niedrigen Steuersatzes, abhängig von den Entscheidungen in den Hauptsacheverfahren, nutzen zu können. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass ein bisher in Rechnungen ausgewiesener zu hoher Steuerbetrag nach § 14c Abs. 1 UStG geschuldet wird und eine Rückzahlung vom Finanzamt nur dann begehrt werden kann, wenn die entsprechenden Rechnungen korrigiert werden. Dieser administrative Aufwand würde nur dann nicht bestehen, wenn in den bisher erteilten Rechnungen die Umsatzsteuer nicht offen ausgewiesen wurde.
- Zukünftig: Abrechnung ohne offenen Umsatzsteuerausweis gegenüber Privatpersonen
Aus diesem Grund kann erwogen werden, in Zukunft bei der Rechnungsstellung an Privatkunden keine Umsatzsteuer mehr offen auszuweisen und Bruttopreisvereinbarungen zu treffen. Im Falle einer positiven Rechtsprechungsentwicklung könnte die Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt auf einen niedrigeren Steuersatz berichtigt werden, ohne die Rechnung gegenüber dem Kunden korrigieren zu müssen.
Bei vorsteuerabzugsberechtigten Kunden ist ein offener Umsatzsteuerausweis hingegen derzeit unumgänglich. Die Rechnungsstellung sollte in diesen Fällen unverändert fortgeführt werden, da die Entscheidung des BFH im Hauptsacheverfahren noch aussteht.
- Keine Beantragung von AdV aufgrund der zu uneindeutigen Rechtslage
Die Beantragung der Aussetzung der Vollziehung der etwaig zu hohen Umsatzsteuer wäre unter Verweis auf die anhängigen Verfahren möglich, birgt jedoch das Risiko, dass AdV-Zinsen festgesetzt werden, sollte das Aufteilungsgebot ganz oder teilweise fortgelten. Sofern der BFH für Hotelleistungen entscheidet, dass für eine einheitliche Leistung nur ein einziger Steuersatz Anwendung findet, wäre im Einzelfall zu prüfen, ob nach allgemeinen umsatzsteuerlichen Grundsätzen tatsächlich eine einheitliche Leistung vorliegt. Ist dies nicht der Fall, kann sich trotzdem die Anwendung von zwei unterschiedlichen Steuersätzen ergeben.
Hinweis: Besteht die mögliche einheitliche Leistung aus der Hotelübernachtung und Frühstück, ist zudem zu bedenken, dass aufgrund der Umsatzsteuersenkung zur Bewältigung der Corona-Krise die Umsatzsteuer für den Verkauf von Speisen in Gastronomie- und Hotelbetrieben gesenkt wurde, so dass im Ergebnis der Steuersatz für die Übernachtungsleistung und das Frühstück, mit Ausnahme des Getränkeanteils, angeglichen wurden und aktuell dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegen. Lediglich der Ausschank von Getränken beim Frühstück unterliegt dem nicht ermäßigten Steuersatz von 19 %. Als Bemessungsgrundlage kann hierfür der seitens der Finanzverwaltung anerkannte pauschale Anteil von 30 % des Gesamtentgelts für das Frühstück vereinfachend herangezogen werden.
Zeitraum | Steuersatz Abgabe von Speisen / Getränken | Pauschaler Getränkeanteil |
bis 30.06.2020 | 19% / 19% | - |
01.07.2020 bis 31.12.2020 | 5% / 16% | 30% |
01.01.2021 bis 31.12.2022 | 7% / 19% | 30% |
Andere Unternehmer
Aber auch andere Unternehmer, die neben dem Grundstück beispielsweise Betriebsvorrichtungen ver- oder anmieten, können von dem Ausgang der Verfahren betroffen sein. Dies gilt selbstverständlich nur dann, wenn die Grundstücksvermietung mangels Option zur Steuerpflicht steuerfrei erfolgt, denn nur dann kommen unterschiedliche Steuersätze zur Anwendung. Entsprechendes gilt für die Überlassung von Sportanlagen, bei denen nach der geltenden Verwaltungsauffassung in Abschnitt 4.12.11 Abs. 2 UStAE die Grundstücksüberlassung zwar steuerfrei, die Vermietung der Betriebsvorrichtungen jedoch umsatzsteuerpflichtig erfolgen soll.
Darüber hinaus können zukünftig auch Grundstückskaufverträge hiervon betroffen sein, wenn neben dem Grundstück auch Betriebsvorrichtungen oder sonstiges Zubehör übertragen wird. Hierbei können nicht nur unterschiedliche Steuersätze (0 % für die Grundstückslieferung und 19 % für die Lieferung von Betriebsvorrichtungen und Zubehör) zur Anwendung kommen; auch kann es bei einem Verzicht auf die Steuerbefreiung für die Grundstückslieferung zu einem Auseinanderfallen der Steuerschuldnerschaft kommen. Für den Grundstücksumsatz ist gemäß § 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG der Käufer als Leistungsempfänger der Schuldner der Umsatzsteuer, während es nach bisheriger Lesart für die Lieferungen von Betriebsvorrichtungen und Zubehör bei der Steuerschuldnerschaft des Verkäufers nach der Grundregel des § 13a UStG bleibt. Auch hier gilt es, die weitere Rechtsentwicklung abzuwarten.
Fazit
Es bleibt spannend. Wünschenswert wäre, wenn nach einer Positionierung durch EuGH und BFH auch eine zügige Überprüfung und Anpassung durch den Gesetzgeber und/oder die Finanzverwaltung erfolgt, die es betroffenen Unternehmen ermöglicht, eine rechtsichere Unterteilung in Haupt- und Nebenleistung vornehmen oder von separat zu beurteilenden Leistungen ausgehen zu können.
Wir werden Sie selbstverständlich über die weitere Rechtentwicklung auf dem Laufenden halten.