Bilanzierung nicht weitergegebener Erhöhung der Übertragungsnetzentgelte zum 01.01.2024

18.01.2024 | 5 Minuten Lesezeit

Unter bestimmten Voraussetzungen müssen Verteilernetzbetreiber die Erhöhung der Übertragungsnetzentgelte zum 01.01.2024 nicht direkt weitergeben. Daraus ergeben sich Folgen im handelsrechtlichen Jahresabschluss 2024 der Verteilernetzbetreiber.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte mit Urteil vom 15.11.2023 die Übertragung von EUR 60 Mrd. aus dem Kernhaushalt und dem Sondervermögen zur Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Pandemie in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) für nichtig erklärt. Davon betroffen ist auch der Zuschuss aus Mitteln des mit EUR 200 Mrd. ausgestatteten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) für die Netzkosten der Übertragungsnetzbetreiber 2024 in Höhe von EUR 5,5 Mrd., der nach ähnlichem Mechanismus gebildet wurde. Nicht betroffen sind demgegenüber umlagenfinanzierte Entlastungen (u. a. Besondere Ausgleichsregelung nach dem EnFG sowie individuelle Netzentgelte nach StromNEV).

Mit Informationsschreiben 06/2023 hatte die Beschlusskammer 8 der Bundesnetzagentur, Bonn (BNetzA), mitgeteilt, dass alle nachgelagerten Verteilernetzbetreiber (VNB) erhöhte vorgelagerte Netzentgelte der Übertragungsnetzbetreiber in ihrer Kalkulation anpassen und vor dem 01.01.2024 neue Netzentgelte veröffentlichen können. Eine unterjährige Neukalkulation und Änderung der Netzentgelte Strom soll demgegenüber nicht möglich sein. Gleiches gilt für eine „rückwirkende" Änderung der Netzentgelte 2024.

Klaus Müller, Präsident der BNetzA, hatte auf Nachfrage des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) mit Schreiben vom 15.12.2023 mitgeteilt, dass die VNB die kurz vor Jahresende noch bekanntgegebene Erhöhung der Übertragungsnetzentgelte zum 01.01.2024 nicht direkt weitergeben müssen. Stattdessen können die gemäß § 20 Abs. 1 EnWG zum 15.10.2023 ermittelten vorläufigen Netzentgelte für das Jahr 2024 beibehalten werden und die Differenz über das Regulierungskonto (§ 5 Anreizregulierungsverordnung, kurz ARegV) in den Folgejahren 2027 bis 2029 ausgeglichen werden.

Eine gewisse „Verwirrung" herrschte in der Branche der Netzbetreiber, da gerade große entflochtene Netzbetreiber im Anwendungsbereich der BNetzA oft nicht Mitglied im VKU sind, an den dieses Schreiben aber adressiert wurde. Dazu stehen die in dem Schreiben dargestellten Erleichterungen im teilweisen Gegensatz zu den von der Beschlusskammer 8 der BNetzA herausgegebenen „Hinweise für Verteilernetzbetreiber zur Ermittlung und Anpassung der Erlösobergrenze (EOG)" (letztmals für das Kalenderjahr 2024 vom 18.09.2023) und den in den Erhebungsbögen dargestellten Vorgehen. Hierbei soll u. a. der Verzicht auf die Anpassung der Netzentgelte zum 01.01.2024 nicht als freiwilliger Verzicht gewertet werden (Stichwort: „Unterverprobung“).

Systematik des Regulierungskontos nach § 5 ARegV

Im Herbst 2016 wurde § 5 Abs. 3 ARegV neu gefasst. Gemäß § 4 Abs. 2 ARegV ist die EOG für jedes Kalenderjahr der gesamten Regulierungsperiode zu bestimmen. Die Differenz zwischen den nach § 4 ARegV zulässigen Erlösen und den vom Netzbetreiber unter Berücksichtigung der tatsächlichen Mengenentwicklung erzielbaren Erlösen wird gemäß § 5 Abs. 1 ARegV auf dem Regulierungskonto erfasst. Gleiches gilt für die Differenz zwischen den für das Kalenderjahr tatsächlich entstandenen Kosten nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bis 6, 8, 13 und 15 bis 18 ARegV sowie den im jeweiligen Kalenderjahr entstandenen Kosten nach § 11 Abs. 5 ARegV und den in der EOG diesbezüglich enthaltenen Kosten. In der Praxis weichen die tatsächlichen Erlöse aus Netzentgelten i.d.R. aufgrund von Mengenänderungen oder Prognosefehlern von der zulässigen EOG ab. Das Regulierungskonto berücksichtigt auch Plan-Ist-Abweichungen gegenüber geplanten Kosten und Investitionen sowie weitere Differenzen (z. B. Kapitalkostenaufschlag oder im Jahr 2023 Änderungen der Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLaV)).

Die Regulierungsbehörde (BNetzA oder zuständige Landesregulierungsbehörde) genehmigt den nach der ARegV durch den Netzbetreiber ermittelten Saldo sowie dessen Verteilung. Der Saldo des Regulierungskontos des letzten abgeschlossenen Kalenderjahres ist nach 5 Abs. 3 ARegV nach Antragstellung zum 31.12. des Kalenderjahres (§ 4 Abs. 4 Satz 3 ARegV) annuitätisch über die drei dem zweiten Jahr der Ermittlung folgenden Kalenderjahre durch Zu- und Abschläge auf die EOG zu verteilen (hier: Zuschläge 2027 bis 2029). Die Annuitäten werden verzinst. Der Meinung des BDEW-Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Berlin, entsprechend hat die Bilanzierung des Regulierungskontos der Abfrage der BNetzA in deren Erhebungsbogen zu folgen und berücksichtigt eine Spannungsebenen übergreifende Saldierung. Nach Auffassung des Energiefachausschusses (EFA) des IDW sind die Zu- und Abschläge auf die EOG, die das gleiche Ausgleichsjahr betreffen, saldiert zu betrachten.

Bilanzielle Behandlung des Regulierungskontos im handelsrechtlichen Jahresabschluss

Die auf dem Regulierungskonto gebuchten positiven Beträge stellen einen künftigen Anspruch des Netzbetreibers auf Abrechnung höherer Netznutzungsentgelte gegen alle künftigen Netzkunden dar („Mindererlöse“). Der Netzbetreiber hat keine Ansprüche gegen seine Netzkunden aus Geschäften der Vergangenheit, da die in seinem Preisblatt veröffentlichten, geforderten Netzentgelte vollständig im Rahmen des Leistungsaustausches entrichtet und damit Leistung und Gegenleistung erbracht wurden. Diese künftigen Ansprüche des Netzbetreibers haben zwar ihre wirtschaftliche Ursache in der Vergangenheit, werden jedoch erst durch die künftigen Durchleitungsleistungen realisiert. Sollten also auf Basis der Entgeltkalkulationen zum 31.12. des Kalenderjahres und der noch offenen Vorjahre jahresscheibenscharf saldierte Mindermengen bestehen, scheidet die Aktivierung des Überhangs wegen des Realisationsprinzips gemäß § 252 Abs. 1 Satz 4 HGB aus.

Die Verpflichtungen infolge der auf dem Regulierungskonto jahresscheibenscharf zu erfassenden „Mehrerlöse" (z. B. weil der Netzbetreiber im abgelaufenen Kalenderjahr mehr Erlöse erzielt hat, als er hätte erzielen dürfen) sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB grundsätzlich in vollem Umfang zu passivieren. Es handelt sich um die rechtliche Verpflichtung zur zukünftigen Erhebung verminderter Netznutzungsentgelte, wobei entsprechend dem Charakter eines Sukzessivlieferungsvertrags das Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung und damit die wirtschaftliche Verursachung der abgelaufenen Periode zuzurechnen ist (vgl. Ergebnisbericht über 1. Sitzung des Energiefachausschusses (EFA) am 22.3.2017).

Nach Auffassung des EFA sind Zu- und Abschläge auf die Erlösobergrenze, die das gleiche Ausgleichsjahr betreffen, saldiert zu betrachten. Bestehen demnach gleichzeitig (aus anderen Kalenderjahren resultierende) künftige, noch nicht eigenständig aktivierbare Ansprüche des Netzbetreibers auf Abrechnung höherer Netzentgelte gegen alle künftigen Netzkunden, sind im Fall der jahresscheibenscharf saldierten Mehrmengen zum Bilanzstichtag 31.12. (geringere) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB für das Regulierungskonto zu passivieren, oder, weil das Ausmaß der Ansprüche die Verpflichtungen übersteigt, überhaupt keine Rückstellungen zu bilden (vgl. IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Einzelfragen zur handelsrechtlichen Bilanzierung von Verbindlichkeitsrückstellungen (IDW RS HFA 34), Stand: 03.06.2015, Tz. 8).

Im Fall der Abwicklung über das Regulierungskonto fließen die Netzentgelte erst in den Jahren 2027 bis 2029 zu, so dass die Netzbetreiber ggf. zur Vorfinanzierung anstehender Ausgaben zu Darlehensaufnahmen gezwungen sein könnten.

Exkurs: Bilanzierung des Regulierungskontos nach IFRS

Es gibt in der EU bisher keinen IFRS-Standard für regulatorische Posten. Regelungslücken sind grundsätzlich nach den Auslegungsregeln nach IAS 8.10 ff. zu schließen. Nach IFRS 15 erfolgt die Erlösrealisierung im Fall von Dienstleistungen entsprechend dem Leistungsfortschritt. Auch die Regelungen nach IAS 37 scheinen nicht passend. Erstattungen von Mehrerlösen müssen unabhängig sein von künftigen Handlungen des Unternehmens. Regulatorische Mehr- oder Mindererlöse werden nach IFRS nicht vergangenen, sondern zukünftigen Umsätzen zugeordnet. Demnach liegen die Ansatzkriterien eines Vermögenswerts bzw. einer Schuld i. S. d. Rahmenkonzepts nicht vor.

Eine weitere Möglichkeit besteht demnach darin, regulatorische Ansprüche bzw. Verbindlichkeiten als nicht ansatzfähige Eventualforderungen (IAS 37.31 ff.) bzw. Eventualverbindlichkeiten (IAS 37.27 ff.) zu qualifizieren.

Das IASB hat am 30.01.2014 IFRS 14 Regulatory Deferral Accounts (Regulatorische Abgrenzungsposten) veröffentlicht. IFRS 14 erlaubt, bis zu einer endgültigen Regelung der Bilanzierung preisregulierter Geschäftsvorfälle durch das IASB, Erstanwendern nach IFRS 1 (und nur Erstanwendern!), die der Aufsicht durch eine preisregulierende Behörde unterliegen, unter restriktiven Voraussetzungen bisher nach nationalem Bilanzrecht zulässige Abgrenzungsposten unter IFRS weiter nach den (bisherigen) nationalen Regelungen zu bilanzieren. Regulatorische Abgrenzungsposten sind als separate Posten in Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und im sonstigen Ergebnis auszuweisen. Es besteht ein einmaliges Wahlrecht im Übergangszeitpunkt mit umfangreichen Ausweis- und Angabepflichten. IFRS 14 ist grundsätzlich anwendbar für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 01.01.2016 beginnen, allerdings hat die EU den Standard bislang nicht „endorsed“. Die Anwendbarkeit innerhalb der EU ist bis auf Weiteres nicht absehbar.

Hinweis: Die BNetzA hat mit der Novelle des EnWG zum Jahreswechsel 2023/2024 eine große Beschlusskammer (GBK) eingerichtet, die künftig bundesweit einheitliche Festlegungen zu Netzzugang, Netzentgelten sowie der Kosten- und Anreizregulierung erlässt.

Die ersten Überlegungen zur möglichen Anpassung der Regulierung für Strom- und Gasnetze hat die BNetzA mit ihrem Eckpunktepapier am 18.01.2024 veröffentlicht und spricht sich darin u.a. für eine Verkürzung der Regulierungsperioden von bisher fünf auf drei Jahre aus.