Datenschutzrechtliche Vereinbarkeit bei Übermittlung einer Mitgliederliste
Datenschutzrechtliche Fragestellungen umgreifen nahezu alle Rechtsgebiete. Das OLG Hamm behandelt in einer aktuellen Entscheidung vom 26.04.2023 (Az. 8 U 94/22, GRUR-RS 2023, 12124) die Frage, ob Vereinsmitgliedern grundsätzlich ein Anspruch auf Aushändigung einer Mitgliederliste zusteht, wenn diese im Mindestmaß den Vor- und Zunamen, die Postanschrift und E-Mailadresse anderer Mitglieder beinhalten soll.
Im zugrundeliegenden Fall begehrte der Kläger - als Vereinsmitglied - aufgrund der aus seiner Sicht unzufriedenstellenden und vom Vorstand gelebten Vereinspolitik von dem beklagten Verein die Ausgabe einer Mitgliederliste. Diese sollte neben dem vollständigen Namen und Anschrift auch eine E-Mailadresse zur digitalen Kontaktaufnahme beinhalten. Der Kläger wollte mit den übrigen Mitgliedern in Kontakt treten und so das aktuelle Meinungsbild bzgl. der Vereinsführung beeinflussen. Ziel war es im Rahmen eines berechtigten Interesses, eine oppositionelle Fraktion auf Ebene der Mitglieder gegen den Vorstand zu etablieren. Dadurch sollten ausreichend Stimmen, für eine außerordentliche Mitgliederversammlung gemäß § 37 Abs. 1, 2. Halbsatz BGB gewonnen werden. Der Verein, der selbst mittels E-Mail mit den Mitgliedern kommuniziert, versagte dem Mitglied die Ausgabe einer Mitgliederliste und verwies auf das vom Verein moderiertes Online-Forum, in dem sich die Mitglieder untereinander austauschen können.
Diesbezüglich stellte das OLG Hamm zugunsten des Klägers fest, dass der zu erwartende Erfolg, einer Kontaktaufnahme zur Meinungsbeeinflussung durch das vorgeschlagene Kommunikationsmittel Online-Forum als gering einzustufen ist. Diese Sichtweise wurde damit begründete, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass vereinsinterne Medien wie z. B. Vereinszeitschriften oder Online-Beiträge vom Gros der Mitgliederbasis nicht mit hoher Aufmerksamkeit verfolgt werden. Die direkte Ansprache per E-Mail stellt somit das vielversprechendste Mittel dar, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Mitgliedschaftlicher Informationsanspruch
Quintessenz der Entscheidung ist, dass allen Vereinsmitgliedern grundsätzlich ein Anspruch auf Ausgabe von Mitgliederlisten zusteht. Die Voraussetzungen dafür sind (1) der Vortrag berechtigter Interessen durch den Anspruchsteller. Berechtigte Interessen können insb. dann vorliegen, wenn es unumgänglich erscheint, mit allen Mitgliedern auch außerhalb der Mitgliederversammlung, aus wichtigem Grund, in Kontakt zu treten. Ein wichtiger Grund kann dabei in der Erreichung eines Stimmenquorums liegen. Die abschließende Bewertung, ob tatsächlich ein berechtigtes Interesse vorliegt, ist im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung zu klären. (2) Die Mitgliederversammlung wird erfahrungsgemäß nur spärlich besucht. (3) Es bestehen keine überwiegenden Gegeninteressen des Vereins. (4) Es liegen keine überwiegenden Gegeninteressen einzelner Mitglieder vor. Das OLG Hamm setzt dabei hohe Hürden, für das Vorbringen berechtigter Gegeninteressen einzelner Mitglieder und verweist vor dem Hintergrund einer zumutbaren Selbstschutzlast auf faktische und praktische persönliche Schutzmaßnahmen. So steht es Vereinsmitgliedern i. d. R. frei, auf die Angabe einer E-Mailadresse gänzlich zu verzichten, dem Verein ein individualrechtliches Weitergabeverbot zu erteilen, eine gesonderte E-Mailadresse zu verwenden oder die Spam- und Blockierungseinstellungen im persönlichen E-Mail-Client dahingehend zu ändern, dass Nachrichten bestimmter Absender automatisch abgelehnt oder blockiert werden.
Hinweis: Das OLG Hamm konnte bei der Entwicklung dieser grundlegenden Voraussetzung darauf verzichten auf die Frage einzugehen, wie damit umzugehen ist, wenn der Verein auf Satzungsebene die Ausgabe von Mitgliederlisten an einzelne Mitglieder unterbunden hat. Die Satzung im vorliegenden Fall enthielt eine dahingehende Einschränkung nicht. Gleichwohl erinnert das OLG Hamm daran, dass Satzungen, die mit der Mitgliedschaft gemäß § 38 BGB verbundenen Informationsrecht durchaus erweitern und verstärken können, eine Einschränkung dagegen unzulässig ist. Dies ist ein direkter Ausfluss des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben, wonach verbundenen Parteien auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Rücksicht nehmen müssen. Korrespondierend zu diesem Gedanken steht, dass Informationsrechte nicht missbräuchlich oder schädigend eingesetzt werden dürfen. Es steht dem Satzungsgeber frei, die Anlässe, zu denen ein berechtigter Informationsanspruch ausgeübt werden darf, gerade im Hinblick auf die Häufigkeit näher zu konkretisieren.
Bedenken gegen Ausgabe einer Mitgliederliste
Der Verein verteidigte die Weigerung zur Ausgabe einer Mitgliederliste mit wettbewerbsrechtlichen Überlegungen sowie datenschutzrechtlichen Bedenken. Durch die Ausgabe entsprechender Listen müsste jedes Mitglied zukünftig Sorge haben, von den jeweiligen anderen Mitgliedern E-Mails zu erhalten. Der Verein im vorliegenden Fall hatte zum Zeitpunkt der Entscheidung ca. 5.500 Mitglieder, wodurch eine erhebliche Belästigung befürchtet wurde. Grundsätzlich sieht § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG dann Sanktionen vor, wenn eine unzumutbare Belästigung vorliegt. Diese ist stets dann anzunehmen, wenn Marktteilnehmer, hier die übrigen Vereinsmitglieder, durch elektronische Post, ohne vorherige und ausdrücklich Zustimmung zur Kontaktaufnahme, belästigt werden.
Dem hielt das Gericht entgegen, dass die Belästigung durch unerwünschte E-Mails größtenteils daher rührt, dass der Betroffene mit dem Absender regelmäßig nicht in persönlicher Verbindung steht und mit den Nachrichten daher auch nichts zu tun haben möchte. Diese Problematik besteht innerhalb der Vereins-Sonderverbindung, in welcher die Mitglieder stehen, jedoch nicht. Das Gericht bezieht sich dabei auch auf die im Vereinsbeitritt liegende normative Vermutung, dass die Mitglieder ein grundlegendes Interesse an internen Vereinsfragen teilen und wiederholt damit den BGH, welcher in seinem Hinweisbeschluss vom 21.06.2010 (Az. II ZR 219/09, NZG 2010, S. 1430) Vereinsmitglieder als Teile einer gewollten Rechtsgemeinschaft versteht, und leitet daraus eine grundsätzliche Bereitschaft zur Kommunikation ab. Weiter konnte das Gericht im Begehren des Klägers die für das Wettbewerbsrecht typischen, böswilligen, Merkmale nicht erkennen. Dem Kläger geht es ausschließlich darum, mit den anderen Mitgliedern bzgl. Vereinsangelegenheiten in Kontakt zu treten.
Hinweis: Sobald ein Mitglied eine entsprechende Liste erhält, sind im Rahmen der mitgliedschaftlich begründeten Sonderverbindung, besondere Rücksichtspflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB einzuhalten. Darunter versteht das Gericht, dass die Daten ausschließlich im Umfang des berechtigten Interesses verwendet werden und nicht zu Werbezwecken missbraucht werden. Die ausgegebene Liste darf auch nicht an andere Vereinsmitglieder oder Dritte weitergegeben werden und beim Erstellen von E-Mailverteilern muss darauf geachtet wird, dass die Empfänger der E-Mail aus dieser, keine E-Mailadressen anderer Mitglieder ablesen können. Abschließend hat das Mitglied dafür Sorge zu tragen, dass die Liste, sobald diese nicht mehr benötigt wird, unabhängig davon, ob diese analog oder digital vorliegt, sorgfältig und verlässlich vernichtet wird.
Datenschutzrechtliche Vereinbarkeit
Das OLG Hamm erörterte ausführlich die datenschutzrechtliche Vereinbarkeit bei Übermittlung von Mitgliederlisten und hält diese bei Vorliegen eines berechtigten Interesses weitestgehend für unbedenklich.
Dazu führt das OLG Hamm aus, dass es sich bei den verschiedenen in einer Mitgliederliste erfassten Daten gemäß Art. 4 Nr. 1 DSGVO um die klassischen personenbezogenen Daten handelt; die eine eindeutige Identifikation ermöglichen. Grundsätzlich gilt im Datenschutzrecht, dass eine Datenverarbeitung nur dann rechtmäßig ist, wenn gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a) DSGVO eine freiwillige Einwilligung der betroffenen Person vorliegt. Eine derartige ausdrückliche Einwilligung lag hier nicht vor.
Ein weiterer Erlaubnistatbestand der Datenverarbeitung liegt gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b) DSGVO dann vor, wenn die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrages erforderlich ist. Dabei stellte das Gericht die Frage, ob in der vereinsrechtlichen Verbundenheit der Parteien ein Vertrag gesehen werden kann. Da es sich bei der DSGVO um eine EU-Verordnung handelt, kommt es bei der Begriffsbestimmung des Wortes „Vertrag" gerade nicht auf die nationale und zivilrechtliche Definition an; vielmehr ist der Begriff europarechtskonform auszulegen. Bei einem Vertrag im Sinne der DSGVO handelt es sich um all jene vertragsähnlichen Konstellationen, die ihre Begründung in einem privatautonomen Rechtsverhältnis - als Ausfluss der Selbstbestimmung - finden und auf eine willentliche Entscheidung des von der Verarbeitung Betroffenen zurückzuführen sind. Vereinsgründungen und -beitritte begründen daher einen Vertrag i. S. d. DSGVO. Das Gericht führt weiter aus, dass die Ausgabe von Mitgliederlisten mit E-Mailadressen, neben der datenschutzrechtlichen Unbedenklichkeit, auch auf den europarechtlichen Grundsatz des sog. effet utile gestellt werden kann. Dieser besagt, dass Unionsrechte so auszulegen sind, dass die Vertragsziele am besten und einfachsten erreicht werden können. Wird dieser Grundsatz auf die vereinsrechtlichen Mitgliedschaftsrechte übertragen, ist die Ausgabe von E-Mailadressen im Vergleich zu postalischen Adressen das beste und einfachste Mittel, um Mitgliedern die Ausübung ihrer Rechte, bei einem berechtigten Interesse, zu ermöglichen. Die E-Mail ist im Vergleich zu einer kostspieligen Kontaktaufnahme via Brief eine ökonomisch sinnvolle Alternative, um mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu treten.
Hinweis: Datenschutzrecht ist „Ermöglichungsrecht, kein Verhinderungsrecht“. Das Verhältnis von Mitglied und Verein ist eine privatrechtliche Sonderverbindung mit anerkanntem Vertragscharakter. Der Anspruch auf Ausgabe einer Mitgliederliste mit Name, Anschrift und E-Mailadresse umfasst ausschließlich die dem Verein vorliegenden Daten, das Urteil verpflichtet den Verein jedoch nicht dazu, fehlende E-Mail Kontaktdaten bei seinen Mitgliedern einzuholen.
Fazit
Mitgliedern eines Vereins steht bei einem berechtigten Interesse grundsätzlich ein Anspruch auf Ausgabe einer Mitgliederliste zu. Dieser Anspruch kann durch Satzungsbestimmungen nicht ausgeschlossen oder bzgl. des Umfanges limitiert werden. Datenschutzrechtlich steht die DSGVO - als Ermöglichungsrecht - einer Weitergabe von Mitgliederlisten nicht im Wege. Wer auf diesem Wege in den Besitz derartiger Mitgliederdaten kommt und damit personenbezogene Daten erlangt und diese, wie im vorliegenden Fall beabsichtigt - im Sinne der DSGVO - verarbeitet, muss die Vorgaben des Datenschutzes, insb. die Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 5 DSGVO befolgen. Durch die Verwendung der Daten kann das Mitglied die Eigenschaft des Verantwortlichen - im Sinne der DSGVO - begründen, was gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO weitreichende haftungsrechtliche Konsequenzen birgt. Eine persönliche, unbeschränkte und unmittelbare Haftung gegenüber potentiell Geschädigten könnte dabei in Betracht kommen. Das Gericht stellt mit dieser Bemerkung klar, dass die Ausübung des Rechts auf Ausgabe einer Mitgliederliste zu berechtigten Zwecken ein hochwertiges Rechtsgut darstellt und den Anspruchsteller weitreichend in eine umfangreiche Sorgfaltspflicht nimmt.
Florian Kretz