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Erwerb junger Handelsunternehmen: Besonderheiten der Financial Due Diligence

03.12.2024 | 7 Minuten Lesezeit

Für E-Commerce-Unternehmen werden in einem dynamischen Markt auch zukünftig Rekordumsätze prognostiziert. Junge Handelsunternehmen sind sowohl für Finanz- als auch strategische Investoren ein attraktives Akquisitionsziel. Die zielgerichtete Analyse des Erwerbsobjekts und dessen wirtschaftlicher Situation bedarf eines maßgeschneiderten Financial Due Diligence-Ansatzes, der die Besonderheiten des Geschäftsmodells berücksichtigt. Nur so ist ein reibungsloser Transaktionsprozess gewährleistet. Darüber hinaus werden Informationsasymmetrien minimiert. Dies schafft die notwendige Transparenz für eine fundierte Investitionsentscheidung.

Die COVID-Pandemie wirkte wie ein Turbo auf den Internet- und Versandhandel mit einem Höhepunkt von Neugründungen im Jahr 2021. Dieses Rekordwachstum des E-Commerce wurde zwar durch den Beginn des Ukraine Kriegs und durch das wirtschaftliche Umfeld in den Jahren 2022 / 2023 deutlich verlangsamt, aber aktuell sind wieder Umsatzzuwächse zu verzeichnen.

Getrieben von technologischen Fortschritten wie künstlicher Intelligenz und veränderten Verbrauchererwartungen stehen Unternehmen im E-Commerce vor neuen Chancen und Herausforderungen - KI-Integration, Personalisierung, Social Commerce, Nachhaltigkeit und operative Agilität werden den E-Commerce prägen. Verbraucher erwarten, dass Unternehmen online präsent sind, während Start-ups ihr Geschäft direkt online aufbauen. Die mit der Digitalisierung einhergehende Senkung von Markteintrittsbarrieren schafft Chancen für Gründer, die neue Geschäftsmodelle mit Strategien im E-Commerce popularisieren.

Onlineanteile der einzelnen Branchen und Warengruppen variieren stark. In einigen Handelssegmenten wie der Möbelbranche ist E-Commerce trotz Aufholeffekten in der COVID-Pandemie noch wenig vertreten. In anderen Segmenten (bspw. Gesundheit, Beauty, Life-Style) bieten sich in einzelnen Warengruppen Chancen für junge Unternehmen.

Sowohl für Finanzinvestoren als auch für strategische Investoren ergeben sich attraktive Investitionsmöglichkeiten. Beteiligungen erfolgen dabei regelmäßig bereits in frühen Phasen des Unternehmenslebenszyklus. Wenngleich dies bei Finanzinvestoren durch einen anhaltenden Anlagedruck begründet ist, besitzen strategische Investoren weitere Motive. Neben hohen Renditen suchen Strategen auch nach Synergieeffekten in komplementären Geschäftsmodellen, welche das existierende Portfolio ergänzen. Daneben werden Investitionen in junge Handelsunternehmen getätigt, um die kompetitive Entwicklung im Markt zu begrenzen und damit die eigene Marktposition zu stärken.

Junge Handelsunternehmen weisen dabei wiederkehrende Charakteristika auf: Die Unternehmen sind von starkem Umsatzwachstum geprägt, um mit hoher Geschwindigkeit Marktpotenziale zu erschließen und Eintrittsbarrieren durch Größe zu schaffen. Zudem wird damit der Vorteil einer Skalierbarkeit des Geschäftsmodells realisiert.

Diese Charakteristika führen zu Besonderheiten, die im Rahmen eine Financial Due Diligence zu beachten sind. Ausgewählte Aspekte werden nachfolgend im Schlaglicht betrachtet.

Financial Due Diligence unabdingbar für Investitionsentscheidung

Eine Financial Due Diligence erweist sich als unabdingbarer Bestandteil einer sorgfältigen Vorbereitung von Investitionsentscheidungen. Die über Jahresabschlüsse hinausgehende, sorgfältige Untersuchung des Zahlenwerks eines Akquisitionsziels liefert tiefgreifende Erkenntnisse über innewohnende Chancen und Risiken. Hierbei ist es entscheidend, von schematischen Abläufen abzusehen. Eine Financial Due Diligence sollte sich vielmehr auf die dem Geschäftsmodell zugrundeliegenden, inhärenten Eigenschaften des Zielunternehmens fokussieren. Diese Eigenschaften zu kennen, kann entscheidend zum Erfolg einer Transaktion beitragen.

Robustheit der Zahlen bei jungen Handelsunternehmen eingeschränkt

Junge Handelsunternehmen bilden oftmals eine Herausforderung für die Financial Due Diligence, da die Qualität der Zahlenbasis eingeschränkt ist. Dies ist auf das rasante Wachstum zurückzuführen und durch die häufig noch fehlende Prüfungspflicht begründet. Üblicherweise schafft die Geschäftsführung operativ relevante Prozesse, bevor sie sich dem Aufbau der Finanzbuchhaltung widmet. Diese ist vielfach auf externe Berater ausgelagert.

Die (insb. unterjährig) eingeschränkte Robustheit der Daten des Rechnungswesens reduziert den Informationsgehalt. Deshalb sind weitere Untersuchhandlungen notwendig. Eine standardisierte Financial Due Diligence ohne Abstimmung auf die konkreten unternehmensinternen Prozesse wäre dagegen nicht sachgerecht. Um den notwendigen „Comfort“ zu erreichen, kann die Financial Due Diligence um vereinbarte Prüfungshandlungen ergänzt werden. Diese können neben dem Einholen von Saldenbestätigungen für Debitoren und Kreditoren sowie Bankbestätigungen auch analytische Prüfungshandlungen umfassen. Die analytischen Prüfungshandlungen beinhalten bei Zielgesellschaften ohne geprüfte Jahresabschlüsse regelmäßig eine Nachweisanalyse der liquiden Mittel („Proof of cash“), um Unregelmäßigkeiten zwischen Zahlungseingängen und -ausgängen bzw. Umsatzerlösen und Aufwendungen zu identifizieren. Ein weiterer Ansatz ist der Vergleich des kumulativen EBITDA mit den kumulativen operativen Cashflows der Zielgesellschaft.

Proof of Cash

Die Analyse plausibilisiert ausgewiesene Umsatzerlöse. Die monatlichen Umsatzerlöse werden mit den monatlichen Zahlungseingängen auf den Bankkonten abgestimmt. Dabei müssen Überleitungspositionen, bspw. Änderungen von Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, Geldtransfers zwischen verschiedenen Bankkonten und Zahlungen, die nicht direkt aus Umsätzen resultieren (z. B. Aufnahme von Darlehen), berücksichtigt werden. Analog werden die monatlichen operativen Aufwendungen mit den monatlichen Zahlungsausgängen verglichen. Auch hier müssen Überleitungspositionen (z. B. zahlungsunwirksamer Aufwand wie Abschreibungen oder nicht operative Auszahlungen wie Ausschüttungen an Gesellschafter oder die Tilgung von Darlehen) berücksichtigt werden.

Die Analyse wird wegen ihrer Kurzfristigkeit kaum lückenlos sein. Als Faustregel gilt, dass eine Abweichung von 5 % oder weniger insgesamt eine tolerierbare Abweichung ist, die dem Käufer in Verbindung mit anderen Prüfungshandlungen ein gewisses Maß an Sicherheit hinsichtlich der Zahlenbasis verschafft.

Asset-light-Geschäftsmodell

Junge Handelsunternehmen weisen eine sehr geringe Anlagenintensität auf. Regelmäßig übersteigt das Umlaufvermögen das Anlagevermögen. Diese Geschäftsmodelle - mit einem sehr niedrigen CAPEX - werden als Asset-Light-Modelle beschrieben und zeichnen sich durch eine bessere Kapitalrendite, eine geringere Gewinnvolatilität, eine größere Flexibilität und höhere skalenbedingte Kosteneinsparungen als Asset-Heavy-Modelle aus. Die Fertigungstiefe dieser Geschäftsmodelle ist gering, da wesentliche Teile der Wertschöpfung an Lieferanten ausgelagert sind. Der Kapitalbedarf und die Kapitalbindung dieser Unternehmen sind deshalb maßgeblich von den Geschäftsbeziehungen zu Kunden und Lieferanten sowie der Qualität interner Lager- und Logistikprozesse bestimmt. Eine detaillierte Working Capital-Analyse sollte deshalb im Vordergrund der Bilanzanalyse stehen, um operative Einblicke zu ermöglichen.

Working Capital

Junge Handelsunternehmen verfügen oftmals durch eine sehr kurze - teils negative - Kapitalbindungsdauer über ein hohes Innenfinanzierungspotenzial. Dies wird ermöglicht durch kurze Zahlungsziele mit Endkunden (B2C) über den eigenen Webshop und Online-Marktplätze. Den längeren Zahlungszielen mit B2B-Kunden begegnen Unternehmen oftmals mit Factoring, wodurch sich die Kapitalbindungsdauer und damit der Finanzierungsbedarf minimieren lässt. Daneben definieren die Kreditorenlaufzeit und die Lagerdauer den Finanzierungsbedarf.

Die Skalierbarkeit der existierenden Beziehungen zu Lieferanten und der vorhandenen Logistikprozesse ist detailliert zu beleuchten, um die nachhaltige Kapitalbindungsdauer zu bestimmen. Damit wird ausgeschlossen, dass nach der Transkation neben der wachstumsbedingten Finanzierung eines Working Capital-Aufbaus keine weitere (überraschende) Finanzierungsnotwendigkeit aus einer strukturellen Veränderung des Working Capitals resultiert.

Das starke Wachstum von jungen Handelsunternehmen erschwert die Berechnung eines Referenz Working Capitals, da nicht auf standardisierte Methoden wie einem arithmetischen Durchschnitt der letzten zwölf Monate abgestellt werden kann. Um eine sachgerechte Bestimmung sicherzustellen, empfiehlt es sich, den Referenzzeitraum anzupassen. In der Praxis haben sich dabei Referenzeiträume von drei bis sechs Monaten bewährt. Der Zeitraum liegt regelmäßig anteilig vor und nach dem wirtschaftlichen Referenztag; damit wird sichergestellt, dass ein zukünftiger Working Capital-Aufbau für den Käufer nicht vom Verkäufer getragen wird (und umgekehrt). Bei einem kurzen Referenzzeitraum sind mögliche Saisonalitäten zu beachten.

Die eingeschränkte Qualität der unterjährigen Zahlenbasis macht es erforderlich, die Datensätze vor Bestimmung des Referenz-Working Capitals zu bereinigen, um hierdurch eine nachhaltige und belastbare Berechnung sicherzustellen. Alternativ kann auch, bspw. auf Basis von ausgewählten Kenngrößen, ein Ziel- bzw. Target-Working Capital bestimmt werden. Die Definition des relevanten Referenz-Working Capitals ist dabei häufig ein Diskussionspunkt in Verhandlungen. Dass Käufer und Verkäufer dabei gegensätzliche Auffassungen vertreten, ist immanent - die Bestimmung des Referenz-Working Capitals wirkt sich schließlich direkt auf den Kaufpreis aus.

Finanzierung und Nettofinanzverbindlichkeiten

Die Finanzierung des Unternehmenswachstums erfolgt häufig über eine günstige Fristigkeitsstruktur und Eigenkapitalgeber. Im Allgemeinen resultiert daraus eine vergleichsweise begrenzte Komplexität des Nettofinanzvermögens bzw. der Nettofinanzverbindlichkeiten. Dennoch bedarf die Finanzierungssituation des Unternehmens eine sorgfältige Untersuchung, um potenzielle außerbilanzielle Sachverhalte und Kaufpreisanpassungen zu identifizieren.

Rohertragsmarge

Die Entwicklung der Rohertragsmarge ist für eine fundierte Bewertung des Erwerbsobjekts wichtig. Die Analyse der Rohertragsmarge eines jungen Handelsunternehmens sollte jedoch nicht allein anhand von Kenngrößen der externen Rechnungslegung erfolgen. Vielmehr sollten direkte Kosten, bspw. online und offline Marketing sowie der Logistik, in die Berechnung der Rohertragsmarge einbezogen werden. Eine umsatzbezogene Analyse verschiedener Segmente und Distributionskanäle ist zweifelsohne wichtig, aber ohne entsprechende Gegenüberstellung relevanter Kosten kann keine Aussage zur Nachhaltigkeit der Erträge getroffen werden. Die Einnahme dieser betriebswirtschaftlichen Perspektive ermöglicht ein tiefergehendendes Verständnis der operativen Ertragskraft. Damit kann die Financial Due Diligence beitragen, ein besseres Verständnis über die Realisierbarkeit der Ertragsplanung zu erlangen und eine Commercial Due Diligence unterstützen. Mit anderen Worten: Zeigt sich in der Ertragslage ein „One Trick Pony“ oder ein nachhaltiges Ertragsniveau? Für die Beurteilung können Kohortenanalysen oder Analysen zu wiederkehrenden Käufern mit der Software ESsence® von RSM Ebner Stolz unterstützen.

Besonderheiten: Betriebswirtschaftliche KPI

Betriebswirtschaftliche Kennzahlen bilden eine solide Basis, um die Kernprozesse (Absatz und Einkauf) eines jungen Handelsunternehmens zu verstehen. Beispiele für relevante Kennzahlen sind die Conversion Rate, die Returning Customer Rate, die First Purchase Profitability oder der Customer Lifetime Value. Die RSM Ebner Stolz Software ESsence® kann bei der Berechnung oder Plausibilisierung der Kennzahlen flexibel unterstützen. ESsence® ermöglicht eine intelligente und geschäftsmodellspezifische Analyse von Kundendaten und produktbezogenen Informationen. Die Software schafft in kurzer Zeit Transparenz und erlaubt eine benutzerfreundliche Datenaufbereitung, Visualisierung der Ergebnisse sowie interaktive ad-hoc Analysen. Weitere Informationen zu unserem interaktiven Business Intelligence-Tool ESsence® finden Sie hier.

Kunden und Lieferanten

Eine detaillierte Analyse der vorhandenen Kunden- und Lieferantenstruktur liefert wichtige Erkenntnisse über die nachhaltige Ertragskraft des jungen Handelsunternehmens. In Abhängigkeit der Umsatzverteilung auf verschiedene Distributionskanäle (B2C/B2B) kann die Abhängigkeit von einem einzelnen Vertragspartner mitunter groß sein. Ein Verständnis über die Werbekosten je Distributionskanal ist für die Beurteilung der Qualität der Werbemaßnahmen entscheidend. Eine Korrelationsanalyse zwischen Umsatzerlösen und Werbekosten bietet die Möglichkeit, die Allokation der Werbekosten nach einer erfolgreichen Transaktion zu optimieren. Ein Risiko des Asset-Light-Modells besteht auch in der Abhängigkeit von Lieferanten, welche aus der fehlenden vertikalen Integration resultiert. Gerade bei jungen Handelsunternehmen ist die Lieferantenkonzentration in Abhängigkeit von der operativen Integration regelmäßig sehr hoch. So sind relevante Logistikprozesse („Fulfillment“) oftmals vollständig ausgelagert. Werbekostenzuschüsse sollten diskutiert werden, um Risiken, wie Rückforderungen, auszuschließen. Die vertraglichen Beziehungen sind in Abstimmung mit der Legal Due Diligence zu prüfen. Die Beratung durch ein multidisziplinäres Expertenteam sichert dabei eine integrierte Projektarbeit und erhöht die Effizienz im Transaktionsprozess.

Sorgfalt bei der Financial Due Diligence ist oberstes Gebot

Trotz der meist überschaubaren Größe des Erwerbsobjekts ist in der Financial Due Diligence Sorgfalt geboten. Die Besonderheiten des Geschäftsmodells und die mangelnde Robustheit der Zahlenbasis bei jungen Handelsunternehmen sind zu beachten. Asset-Light-Geschäftsmodelle bieten durch fehlende materielle Vermögensgegenstände kein Sicherheitsnetz. Eine maßgeschneiderte Financial Due Diligence kann maßgeblich zum Transaktionserfolg beitragen.

Mit unserem multidisziplinären Ansatz aus Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Rechtsberatung und Unternehmensberatung verfügen wir über relevante Erfahrung mit den Besonderheiten kleinerer und mittlerer Unternehmen und gewährleisten damit einen reibungslosen Due Diligence Prozess. Als adäquater Partner stehen wir auf Augenhöhe zur Verfügung und schaffen Prozesssicherheit.