Scheinselbständigkeit: Rückabwicklung eines (vermeintlich) freien Mitarbeiterverhältnisses

29.07.2024 | 2 Minuten Lesezeit

Bei der Rückabwicklung eines (vermeintlich) freien Mitarbeiterverhältnisses kann der Arbeitgeber grundsätzlich die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn der nunmehr als Arbeitnehmer eingeordnete Vertragspartner Vertrauensschutz auf den vereinbarten Status genießt.

Stellt sich beispielsweise im Rahmen einer Betriebsprüfung ein freies Mitarbeiterverhältnis im Nachhinein als Scheinselbständigkeit und damit als Arbeitsverhältnis heraus, hat dies erhebliche Konsequenzen vor allem für den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber muss rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge entrichten, und zwar sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerbeiträge. Die Rückforderung der Arbeitnehmerbeiträge beim Arbeitnehmer ist nur eingeschränkt möglich und beschränkt sich regelmäßig auf die nächsten drei Gehaltszahlungen.

Hat der Arbeitgeber unterschiedliche Vergütungsordnungen für Arbeitnehmer und freie Mitarbeiter, hat der Arbeitnehmer nach Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft nur noch Anspruch auf die Arbeitnehmervergütung. Regelmäßig ist das Honorar für eine freie Mitarbeitertätigkeit aber höher als das Gehalt für einen Arbeitnehmer, da der freie Mitarbeiter anders als ein Arbeitnehmer bestimmte Risiken wie Urlaub oder Krankheit selbst abdecken muss. Daher kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer grundsätzlich nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen. Dieser Bereicherungsanspruch umfasst allerdings nicht sämtliche Honorarzahlungen, sondern nur die Differenz zwischen beiden Vergütungen. Es ist also ein Saldo zu errechnen, der sich aus dem Bruttoarbeitsverdienst als Arbeitnehmer zuzüglich der Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gegenüber den geleisteten Honoraren aus der freien Mitarbeitertätigkeit ergibt. Jedoch ist durch die Rechtsprechung anerkannt, dass durch die Vereinbarung und Behandlung des Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit beim Mitarbeiter ein Vertrauenstatbestand geschaffen wird. Der Arbeitgeber handelt deshalb rechtsmissbräuchlich, wenn er versucht, dem Mitarbeiter die durch die freie Mitarbeit erhaltenen Vorteile zu entziehen. Die Rückforderung ist nur dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf den Zeitraum beschränkt, für den der Arbeitnehmer selbst Klage erhebt und das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geltend macht (BAG, Urteil vom 08.11.2006, Az. 5 AZR 706/05) oder die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses in einem Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund verlangt.

In einer neueren Entscheidung des LAG München (Urteil vom 11.08.2023, Az. 7 Sa 610/22) ging es auch um die Rückabwicklung eines freien Mitarbeiterverhältnisses, nachdem bei einer Betriebsprüfung das Vertragsverhältnis mit einer Praxisgemeinschaft als Arbeitsverhältnis eingeordnet worden war. Hier hatte der Einwand des Rechtsmissbrauchs Erfolg, weil die Arbeitnehmerin zu keinem Zeitpunkt die Einordnung des Vertragsverhältnisses als freies Mitarbeiterverhältnis in Zweifel gezogen hatte. Vielmehr durfte sich die Arbeitnehmerin auf die in der Praxisgemeinschaft zwanzig Jahre gelebte Sach- und Rechtslage verlassen. Sie hatte selbst keine Statusklage eingelegt und lediglich auf Anfrage der Deutschen Rentenversicherung Bund im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht Auskünfte zu ihrem Status beantwortet. Die Revision beim BAG ist anhängig unter dem Az. 5 AZR 272/23.

Hinweis: Kommt es zu einer Statusänderung eines Mitarbeiters, der als freier Mitarbeiter beschäftigt wird, aber tatsächlich Arbeitnehmer ist, sollten Arbeitgeber die Rückforderung überzahlter Honorare in Erwägung ziehen. Ob eine solche Rückzahlungsklage Erfolg haben kann, ist dann von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere dem Verhalten des Arbeitnehmers während der Beschäftigung als freier Mitarbeiter abhängig. Das LAG München führt insoweit die bisherige Rechtsprechung zur Rückforderung überzahlter Honorare fort und analysiert detailliert, wann sich der Mitarbeiter auf einen Vertrauenstatbestand und den Einwand des Rechtsmissbrauchs bei der Rückforderung von Honoraren berufen kann.