Abschaffung des Schriftformerfordernisses für Gewerbemietverträge?
Das Bundesministerium der Justiz („BMJ“) veröffentlichte am 11.01.2024 den Referentenentwurf eines „Vierten Gesetzes zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie (Viertes Bürokratieentlastungsgesetz, kurz BEG-IV-E)“. Der Entwurf soll unnötigen Verwaltungsaufwand in unterschiedlichen Rechtsbereichen abbauen und den Alltag erleichtern. Die jeweiligen Schutzstandards der betroffenen Regelungen sollen durch die angestrebte Reform unangetastet bleiben.
Um den digitalen Wandel voranzutreiben, sollen u. a. Formerfordernisse im Zivilrecht abgesenkt bzw. abgeschafft werden. In diesem Kontext soll auch das gesetzliche Schriftformerfordernis für sämtliche Mietverhältnisse, die keine Wohnräume betreffen, ersatzlos entfallen.
An die Wahrung der gesetzlichen Schriftform für Mietverträge (§ 550 BGB) werden bisher hohe Anforderungen gestellt, die zuweilen als schwerfällig und unpraktikabel erachtet werden und mit zahlreichen Rechtsunsicherheiten verbunden sind. Reformerwägungen und Gesetzesinitiativen zur Modifizierung des § 550 BGB existieren daher zuhauf. Die nunmehr vorgesehene vollständige Abschaffung des Schriftformerfordernisses geht weiter als bisherige, differenzierende Erwägungen.
Aktuelle Gesetzeslage der Schriftform für Mietverträge
§ 550 BGB fingiert, dass Mietverträge, die für eine längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen wurden, für unbestimmte Laufzeit gelten. Der Mietvertrag kann von beiden Parteien ungeachtet der vertraglich vereinbarten Festlaufzeit mit den gesetzlichen Kündigungsfristen (ca. 6 bis 9 Monate) vorzeitig beendet werden.
Die Anforderungen an die Schriftform von Mietverträgen sind derzeit hoch: so müssen sämtliche vertragliche Abreden, d. h. der Mietvertrag selbst, dessen Anlagen und auch sämtliche nachträgliche Vereinbarungen, schriftlich abgefasst und von Vermieter sowie Mieter gleichermaßen auf derselben Urkunde unterzeichnet werden.
Ein Vertragsschluss in Textform reicht nicht aus. Zwar erkennt die Rechtsprechung Erleichterungen an, wonach die geforderte „einheitliche Urkunde" nicht zwingend durch eine körperlich feste Verbindung (etwa durch Ösung sämtlicher Vertragsdokumente) hergestellt werden muss. Vielmehr genügt eine eindeutige gedankliche Zusammengehörigkeit. Auch erfasst das Schriftformgebot allein wesentliche Abreden. Allerdings kann aufgrund des unbestimmten Rechtsbegriffs der „Wesentlichkeit" sowie der wenig klaren Trennschärfe, wann Vertragsdokumente bei fehlender fester Verbindung hinreichend gedanklich in Bezug genommen sind, die Frage eines Schriftformverstoßes meist nicht rechtssicher beantwortet werden.
Schutzzweck des strengen Formerfordernisses
Das strenge Formerfordernis des § 550 BGB mit all seinen Unsicherheiten rechtfertigt sich durch seinen primären Schutzweck, den Schutz des Erwerbers einer vermieteten Immobilie. Gemäß dem in § 566 Abs. 1 BGB verankerten Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete" tritt der Erwerber einer langfristig vermieteten Immobilie kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten des Mietvertrages des veräußernden Vermieters ein.
Eine solche Vertragswirkung zu Lasten eines Erwerbers weicht von dem Rechtsgrundsatz ab, wonach Verträge allein zwischen den Vertragsschließenden Bindungswirkung entfalten. Die Durchbrechung dieser sog. inter Partes Wirkung im Mietrecht wird mit dem Schutz des Mieters legitimiert, der vor einer Vertragsbeendigung bei Veräußerung einer Immobilie bewahrt werden soll.
Wenn jedoch der Erwerber sämtliche Vertragspflichten übernehmen muss, ohne diese verhandelt zu haben, soll er sich zumindest lückenlos über alle wesentlichen, auf ihn übergehenden Vertragspflichten informieren können.
Neben dem Erwerberschutz kommt § 550 BGB aber auch eine Warn- und Beweisfunktion für die vertragsschließenden Parteien zu. Auch sie können sich unter Berufung auf eine Verletzung der Schriftform vorzeitig von dem Mietvertrag lösen, obwohl sie ggf. ursprünglich eine lange Vertragsbindung vereinbart hatten. Dabei muss es den Parteien noch nicht einmal um die Formverletzung selbst gehen. Der BGH erachtet sogar das gezielte Suchen von Formmängeln mit dem Ziel, sich unter Berufung hierauf von einem lästig geworden Mietvertrag zu lösen (etwa bei geänderter Marktlage), grundsätzlich nicht als treuwidrig an.
Die Rechtsfolge des § 550 BGB erhält damit erhebliche praktische Relevanz. Fachwelt wie Gesetzgeber kritisieren vielfach eine nicht hinnehmbare „Zweckentfremdung" des eigentlichen Schutzziels; die damit verbundenen Rechtsunsicherheiten der Vertragsdauer eines originär für lange Vertragsdauer angelegten Mietvertrags sind immanent.
Vorstoß im Rahmen des BEG-IV-E
Die Abschaffung dieser unliebsamen Folge bildet neben dem Bürokratieabbau und der Förderung von Nachhaltigkeitszielen eine Erwägung des nunmehrigen Vorstoßes im BEG-IV-E, das Schriftformerfordernis für Gewerberaummietverträge aufzuheben. Auf den ersten Blick scheint der Reformvorschlag auch von einer „bürokratischen" Last zu befreien. Wenn durch die Abschaffung nicht nur der Vertragsschluss selbst, sondern jede nachträgliche Änderung und Ergänzung formfrei möglich sind, könne hierdurch der Bestand von Zeitmietverträgen bis zum Ende der jeweiligen Festlautzeit gesichert werden.
Für bereits bestehende Mietverhältnisse ist eine Übergangsfrist von zwölf Monaten vorgesehen, auf die noch die bisherige Rechtslage anzuwenden ist. Sofern bereits bestehende Mietverhältnisse nach Inkrafttreten des BEG-IV-E geändert werden, soll mit Abschluss der Nachtrags- bzw. Änderungsvereinbarung die neue Rechtslage auf den gesamten Vertrag vollumfänglich anwendbar sein.
Bisheriges Schutzniveau nicht mehr gewährleistet
Aus unserer Erfahrung bestehen erhebliche Bedenken, ob mit dem Vorstoß des BMJ die beabsichtigten Ziele erreicht werden können, ohne das Schutzniveau abzusenken.
Bei einem Verzicht auf das Schriftformerfordernis hat der Erwerber einer vermieteten Immobilie hat kaum mehr eine Möglichkeit, sich verlässlich über Inhalt und Ausmaß der vertraglichen Vereinbarungen verlässlich zu informieren. Auch ist das gleichgelagerte Schutzbedürfnis von den Immobilienerwerb finanzierender Banken nach verlässlicher Information gefährdet. Eine Abschaffung der gesetzlichen Schriftform kann somit die Finanzierbarkeit von Immobilien erschweren, da Risiken (wirtschaftlich) neu bewertet werden müssen. Letztlich können Preisabschläge für Rechtsrisiken die Verkehrsfähigkeit von Immobilieninvestments tangieren.
Trotz des geplanten Wegfalls des Schriftformerfordernisses wird in der Begründung des BEG-IV-E den Schutzstandard gleichermaßen mit folgenden Argumenten für gewahrt erachtet:
- Es sei davon auszugehen, dass ein Großteil der (Gewerbe-)Mietverträge Verträge weiterhin schriftlich oder in Textform abgefasst werden würden.
Hiergegen ist einzuwenden, dass ungewiss ist, ob lediglich vertraglich vereinbarte Schriftformklauseln ein gleiches Schutzniveau für die Parteien bieten. Formabreden sind mit diversen Fallstricken verbunden, deren Inhalt und Tragweite auslegungsbedürftig sind. Die Rechtsfolge kann zwischen Nichtigkeit des Vertrages oder einer allein beweissichernden Wirkung variieren, die die Rechtswirksamkeit unberührt lässt. Stellt die Klausel - wie im Gewerberaummietvertragsrecht häufig üblich - eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar, unterliegt sie der strengen Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB. Überdies ist oftmals unklar, ob eine Formabrede das Rechtsgeschäft im Ganzen, d. h. einschließlich sämtlicher Nachtragsvereinbarungen, erfassen soll. Inwieweit sog. „doppelte Schriftformklauseln“, wonach die Aufhebung des Schriftformzwangs ihrerseits der Schriftform bedarf, wirksam vereinbart werden können, ist je nach konkretem Einzelfall ebenfalls unklar. Kann der Formzwang formfrei aufgehoben werden, ist wenig gewonnen. - Erwerber würden jedenfalls bei größeren Transaktionen eine Ankaufsprüfung (Due Diligence Prüfung) durchführen und sich hierdurch hinreichend informieren können.
U. E. erscheint ein derartiger Schutz des Erwerbers unzureichend. Durch die Ankaufsprüfung kann das Risiko einer Schriftformverletzung gerade nicht vollständig ermittelt werden; mündliche Abreden oder per E-Mail, WhatsApp oder über soziale Netzwerke getroffene Absprachen lassen sich nicht ermitteln. - Durch die Aufnahme von Garantien und Gewährleistungen im Rahmen des zu beurkundenden Grundstückskaufvertrages solle der Erwerber hinreichend gesichert sein, da er sich zudem mit eventuellen Schadensersatzforderungen gegenüber dem Veräußerer schadlos halten könne.
Auch dies erscheint unzureichend. Garantien und Gewährleistungen bieten keinen Primärrechtsschutz, die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ist mit hohen Hürden (Darlegungs- und Beweislasten) verbunden. Garantie- und Gewährleistungszeiträume sind regelmäßig kurz und decken nicht die gesamte Laufzeit eines Mietvertrages adäquat ab. Zudem trägt der Erwerber das Risiko der Insolvenz des Garantiegebers. - Schließlich wird in der Begründung des BEG-IV-E ausgeführt, dass in vielen Rechtsgebieten Verträge formfrei möglich, eine schriftliche Abfassung bei größeren Vertragswerken dennoch marktüblich sei.
Auch dieses Argument überzeugt nicht, verbleibt es bei der Freiwilligkeit. Zudem ist die Ausgangslage im Mietvertragsrecht anders: Angesichts des Vertragseintritts von Erwerbern kraft Gesetzes ist dieser eben schutzbedürftiger.
Fazit
Die ersatzlose Abschaffung des Schriftformerfordernisses bei Gewerberaummietverträgen ist nicht sachgerecht. Es bedarf einer differenzierenden Lösung. Einen Ansatz könnte der von dem Bundesrat am 20.12.2019 veröffentlichte Gesetzesentwurf darstellen, wonach das aus einem Schriftformverstoß erwachsene Kündigungsrecht allein dem neu in das Mietverhältnis eintretenden Erwerber zugesprochen werden sollte. Zum Schutz des Mieters sollte dieses Kündigungsrecht des Erwerbers jedoch befristet werden. Der Mieter könne seinerseits eine Kündigung durch einen Widerspruch und die Erklärung abwenden, sich mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses zu den unter Wahrung der erforderlichen Schriftform getroffenen Vereinbarungen, bereit zu erklären.
Langfristig könnten zudem digitale Vertragsabschlüsse die Praxis prägen und ihren Beitrag zur Förderung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit leisten. Die Fortentwicklung der qualifizierten elektronischen Signaturen könnten eine Schriftlichkeit des Rechtsgeschäfts - gleichgültig, ob auf gesetzlicher oder vertraglicher Grundlage - sicherstellen und dennoch einen effizienten Vertragsabschluss gewährleisten. Dies ermöglichen heute schon §§ 126 Abs. 3, 126a BGB, doch ist der Verwaltungsaufwand - oder die Angst vor Schriftformverstößen - bisher für die Rechtspraxis offenbar noch zu groß. Mit fortschreitenden technologischen Vereinfachungen oder vermehrten Angeboten von Dienstleistern, die datenschutzkonforme und sichere Unterzeichnungen von Verträgen gewährleisten, könnte dies die digitale Zukunft der gewerberechtlichen Vertragspraxis werden.
Autoren: Dennis Detemple, Johanna Hofmann