EU Listing Act - Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung (MAR)
Der als Maßnahmenpaket ausgestaltete, von der EU-Kommission bereits am 07.12.2022 vorgelegte EU Listing Act befindet sich zwischenzeitlich „auf der Zielgeraden“. Nachdem das Europäische Parlament am 24.04.2024 das Gesetzespaket in erster Lesung offiziell beschlossen hat, steht nun lediglich der offizielle Beschluss des Rates aus, welcher allerdings als „reine Formsache" angesehen wird. Mit einer endgültigen Publikation im Amtsblatt der EU ist gleichwohl - insb. aufgrund der erforderlichen Übersetzungen in die Amtssprachen - erst gegen Ende des Jahres zu rechnen.
Das Maßnahmenpaket des EU Listing Acts umfasst verschiedene Änderungen, die in ihrer Gesamtheit darauf gerichtet sind, das europäische Kapitalmarktrecht dahingehend zu reformieren, die Attraktivität der europäischen Kapitalmärkte zu steigern. Hierfür sind u. a. Änderungen der Marktmissbrauchsverordnung (MAR), insb. hinsichtlich des Insiderrechts, der EU-Prospektverordnung und zahlreiche weitere Änderungen, beispielsweise der MiFiD II, vorgesehen.
Nachfolgend sollen die relevantesten der geplanten Änderungen der MAR (1.) und der diesbezügliche Zeithorizont (2.) kurz dargestellt werden.
Änderungen der MAR
Ad-hoc Publizitätspflicht
Eine der wichtigsten geplanten Änderungen durch den EU Listing Act ist die im Hinblick auf zeitlich gestreckte Sachverhalte vorgesehene Anpassung der ad-hoc Publizitätspflicht. Während der Begriff der Insiderinformation gemäß Art. 7 MAR unangetastet und auch die grundsätzliche Pflicht zur unverzüglichen Bekanntgabe gemäß Art. 17 MAR weiterhin bestehen bleibt, soll zukünftig bei zeitlich gestreckten Sachverhalten nur noch das „Endergebnis" („final event“) zu veröffentlichen sein. Unverändert bleibt hingegen, dass sämtliche Zwischenschritte eine Insiderinformation nach Art. 7 MAR darstellen können. Insofern wird bei gestreckten Vorgängen erstmalig das Insiderrecht einerseits nach Art. 7, 14 und 18 MAR von der ad-hoc-Publizitätspflicht andererseits nach Art. 17 MAR-E entkoppelt, wobei zu beachten ist, dass die ad-hoc Publizitätspflicht gleichwohl in allen Phasen besteht, wenn die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist.
Die Anpassung kann eine Erleichterung darstellen kann, sofern Rechtssicherheit über das Vorliegen eines „Endergebnisses" des zeitlich gestreckten Sachverhaltes besteht. Gemäß Art. 17 Abs. 12 MAR-E soll der EU-Kommission daher die Befugnis zum Erlass eines delegierten Rechtsakts eingeräumt werden, der eine nicht abschließende Liste von Endereignissen und deren Zeitpunkt des Eintretens bestimmt.
Aufschub der Veröffentlichung
Auch der mögliche Aufschub der Veröffentlichung von Insiderinformationen soll eine Änderung erfahren. Ein Aufschubbeschluss für vorbezeichnete Zwischenschritt-Insiderinformationen bei zeitlich gestreckten Sachverhalten wird künftig nicht mehr erforderlich sein. Die Aufschubvoraussetzungen werden dahingehend abgeändert, dass nicht mehr auf eine Eignung zur Irreführung der Öffentlichkeit abgestellt werden wird, sondern dass die aufgeschobene Insiderinformation nicht im Widerspruch zu der jüngsten öffentlichen Bekanntmachung des Emittenten in derselben Angelegenheit stehen darf. Diese neue Tatbestandsvoraussetzung findet sich in ähnlicher Form bereits in den MAR-Leitlinien der ESMA - dort Leitlinie 2, 12. lit. a - und soll künftig direkt im Verordnungstext verankert sein.
Auch hinsichtlich des Aufschubs von Veröffentlichungen soll zusätzliche Rechtssicherheit durch eine von der Kommission in einem delegierten Rechtsakt ausgearbeitete Liste von Regelbeispielen, bei denen ein Widerspruch zur jüngsten Veröffentlichung gegeben ist, erreicht werden. Diese Befugnis wird ebenfalls durch Art. 17 Abs. 12 MAR-E eingeräumt.
Insiderlisten
Eine Änderung soll sich auch bezüglich der Insiderlisten gemäß Art. 18 MAR ergeben. Während es weiterhin bei der Pflicht zur Führung anlassbezogener Insiderlisten bleibt, soll durch Art. 18 Abs. 9 MAR-E nunmehr die Möglichkeit zur Führung „vereinfachter" Insiderlisten eingeführt werden. Diese sollen eine reduzierte Datenmenge beinhalten, bspw. sollen Privatanschriften hier nicht mehr erfasst werden. Existierte diese Möglichkeit bislang nur für Emittenten an KMU-Wachstumsmärkten, soll sie künftig für sämtliche Emittenten gelten.
Directors‘ Dealings
Auch bezüglich der Directors’ Dealings werden sich in Art. 19 MAR voraussichtlich Änderungen ergeben. U. a. sollen die zuständigen nationalen Behörden befugt sein, künftig die Meldeschwelle von derzeitig 20.000 Euro auf 50.000 Euro anzuheben. Die BaFin prüft derzeit, inwieweit und mit welchem Instrumentarium von dieser Möglichkeit der Anhebung Gebrauch gemacht werden soll.
Zeithorizont
Auch wenn in zeitlicher Sicht eine Publikation im Amtsblatt der EU erst gegen Ende des Jahres zu erwarten ist, bedeutet dies nicht, dass sämtliche Änderungen durch den EU Listing Act auch ab diesem Zeitpunkt bereits wirksam werden. Einige der geplanten Änderungen, wie bspw. diejenigen bezüglich der Directors’ Dealings und der Insiderlisten, werden bereits zwanzig Tage nach der endgültigen Publikation in Kraft treten. Die geänderten Regelungen der MAR betreffend die ad-hoc-Publizitätspflicht bei zeitlich gestreckten Sachverhalten sowie die Anpassungen der Voraussetzungen für einen Aufschub hingegen sollen erst 18 Monate nach der endgültigen Publikation gelten.
Die EU-Kommission wird frühzeitig zur Ausarbeitung der vorbezeichneten delegierten Rechtsakte hinsichtlich zeitlich gestreckter Sachverhalte und des Aufschubs der Veröffentlichung von Insiderinformationen ermächtigt, da die diesbezügliche Ermächtigungsvorschrift bereits zwanzig Tage nach der Publikation in Kraft treten soll. Allerdings existiert für diese Ausarbeitung der delegierten Rechtsakte keine zeitliche Deadline. Es ist dementsprechend nicht vorhersehbar, zu welchem Zeitpunkt die maßgeblich zur Rechtssicherheit beitragenden Listen zur Verfügung stehen werden. Es kann nicht mit Sicherheit vorhergesehen werden, ob dies bis zum Inkrafttreten der weiteren Änderungen der MAR der Fall sein wird.
Darüber hinaus wird es nach der gesetzlichen Umsetzung der Anpassungen weitere Zeit in Anspruch nehmen, bis die BaFin die Änderungen in ihren Emittentenleitfaden integrieren und somit für zusätzliche Rechtssicherheit auf dem nationalen Markt sorgen wird.
Fazit
Der EU Listing Act bringt eine Reihe von Änderungen mit sich, die insb. im Hinblick auf die Anpassungen der MAR dazu geeignet sind, zusätzliche Rechtssicherheit bei Emittenten zu erreichen. Da hierfür vor allem die nicht abschließenden Listen, die durch die EU-Kommission ausgearbeitet werden sollen, einen maßgeblichen Beitrag leisten werden, bleiben die tatsächlichen Auswirkungen dieser Änderungen auf die Praxis jedoch weiter abzuwarten.
Hans Ganter, Simon Rabsch, 23.05.2024