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Entwaldungsfreie Lieferketten: Mögliche Verzögerung bei der Risikoeinstufung der Länder durch die EU-Kommission?

09.04.2024 | 3 Minuten Lesezeit

Die am 29.06.2023 in Kraft getretene EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten (VO (EU) 2023/1115) (kurz WaldschutzVO) sieht vor, dass Mitgliedstaaten, Drittländer oder Landesteile, in denen relevante Rohstoffe oder relevante Erzeugnisse wie z. B. Kaffee, Holz oder Soja angebaut oder erzeugt werden, von der EU-Kommission in die Risikostufe „hohes Risiko“, „normales Risiko" oder „geringes Risiko" einzuteilen sind. Die Einteilung richtet sich danach, wie hoch das Risiko in den Ländern ist, dass dort Rohstoffe erzeugt bzw. aus diesen Rohstoffen Erzeugnisse hergestellt werden, die nicht entwaldungsfrei sind und damit gegen die Vorgaben der WaldschutzVO (Art. 3 Buchst. a)) verstoßen.

Von der Risikostufe soll insb. der Umfang der Sorgfaltspflicht der jeweiligen Marktteilnehmer und Händler abhängen. Die Liste der Länder oder Landesteile, die ein geringes oder hohes Risiko aufweisen, soll mittels Durchführungsrechtsakten gemäß eines Prüfverfahrens nach Art. 36 Abs. 2 WaldschutzVO erlassen und bis zum 30.12.2024 veröffentlicht werden. Berichten zufolge könnte sich die Risikoeinstufung der Länder oder Landesteile jedoch verzögern.

Hintergrund der möglichen Verzögerung

Die Verzögerung der Risikoeinstufung sei vor allem auf die Kritik von Entwicklungsländern zurückzuführen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als „Hochrisikoland" im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Buchst. a) WaldschutzVO eingestuft werden sollten. Sie befürchten, dass Unternehmen ihre Tätigkeit in den betroffenen Ländern aufgrund des schlechten Rufs, der mit dem Status als „Hochrisikoland" einhergeht, einstellen. Sie kritisieren, dass Großproduzenten, die über moderne Geolokalisierungstechnologien verfügen, gegenüber Kleinbauern, die Schwierigkeiten bei der Einhaltung der neuen Regelungen haben, begünstigt werden.

Offenbar sollen Unternehmen, die relevante Rohstoffe und relevante Erzeugnisse in die EU einführen, ihre Einkäufe bei Kleinbauern in Entwicklungsländern bereits reduziert haben. Dies hänge vor allem mit den Schwierigkeiten bei der Erbringung entsprechender Nachweise, dass die relevanten Rohstoffe und relevanten Erzeugnisse entwaldungsfrei sind, zusammen.

Auswirkungen einer verzögerten Einstufung

Eine Verzögerung der Risikoeinstufung hätte zur Folge, dass alle Länder und Landesteile gleichgestellt werden. Diese Gleichstellung bezieht sich zunächst auf den Umfang der Sorgfaltspflicht; alle relevanten Rohstoffe und relevanten Erzeugnisse müssen unabhängig vom Herkunftsland einer umfassenden Sorgfaltspflichtprüfung durch die Marktteilnehmer und Händler unterzogen werden, sodass vor allem die vereinfachte Sorgfaltspflicht gemäß Art. 13 WaldschutzVO bezüglich der relevanten Rohstoffe und relevanten Erzeugnisse, die aus Ländern oder Landesteilen mit geringem Risiko stammen, entfällt.

Neben dem Umfang der Sorgfaltspflicht wirkt sich die Verzögerung der Risikoeinstufung und die damit einhergehende Gleichstellung der Länder und Landesteile auch auf die Durchsetzung der Regelungen der WaldschutzVO aus. Die Intensität der Durchsetzungsmaßnahmen der WaldschutzVO richtet sich nach der Risikoeinteilung der Länder oder Landesteile. Je höher das Risiko der Entwaldung in dem Land ist, desto höher ist der Prozentsatz der Marktteilnehmer und Händler, die von den zuständigen nationalen Behörden jährlich kontrolliert werden sollen.

Die Gleichstellung würde zu einem einheitlichen Schwellenwert von 3 % der jährlich stattfindenden Kontrollen der Marktteilnehmer und Händler führen. Zwar würden sich die Kontrollen der Marktteilnehmer und Händler, die relevante Rohstoffe oder relevante Erzeugnisse aus Ländern oder Landesteilen ein- oder ausführen, für die ein hohes Risiko festgestellt worden ist, anstatt der nach Art. 16 Abs. 9 WaldschutzVO geforderten 9 % auf lediglich 3 % der Kontrollen reduzieren. Dies würde für die Länder, denen wahrscheinlich ein hohes Risiko zugewiesen werden sollte, einerseits eine gewisse Erleichterung bedeuten.

Andererseits würde sich die niedrige Kontrollschwelle von 1 % gemäß Art. 16 Abs. 10 WaldschutzVO, die für Marktteilnehmer und Händler gilt, die relevante Rohstoffe und relevante Erzeugnisse aus Ländern oder Landesteilen mit geringem Risiko ein- oder ausführen wollen, auf 3 % erhöhen.

Bewertung der möglichen Verzögerung

Viele Länder begrüßen die Verzögerung der Risikobewertung, weil sie sich davon mehr Zeit zur Vorbereitung und zur Durchführung der neuen Regelungen der WaldschutzVO erhoffen. Festzuhalten ist aber, dass sich die Situation der Erzeuger in den entsprechenden Ländern und die Verpflichtungen der Marktteilnehmer und Händler aus der WaldschutzVO durch die Verschiebung der Frist nicht verändern wird; das Bereitstellen oder die Einfuhr von relevanten Rohstoffen oder relevanten Erzeugnissen auf den EU-Markt, deren Erzeuger keine Angaben zur geografischen Lage ihrer Grundstücke machen können, wird weiterhin nicht möglich sein.

Auch ohne die Einstufung sind die Marktteilnehmer und Händler daher angehalten, die erforderlichen Daten und Informationen von Erzeugern zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflicht anzufordern. Die grundlegenden Anforderungen bestehen weiterhin, sodass sich Unternehmen, sowie Marktteilnehmer und Händler auf die kommenden Änderungen vorbereiten sollten.