Neuer Vorschlag für eine EU-Verordnung zur Verhinderung der Freisetzung von Kunststoffgranulat
Die EU-Kommission hat am 16.10.2023 einen Vorschlag für eine Verordnung über die Vermeidung der Freisetzung von Kunststoffgranulat zur Verringerung der Umweltverschmutzung durch Mikroplastik (COM (2023) 645 final) (kurz: EU-KunststoffgranulatVO) vorgestellt. Der Vorschlag zielt darauf ab, unbeabsichtigt in die Umwelt freigesetztes Kunststoffgranulat um bis zu 74 % zu verringern. Damit soll ein Beitrag zur Erhaltung der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt geleistet, mögliche gesundheitliche Auswirkungen verringert und die lokale Wirtschaft gefördert werden. Das Europäische Parlament hat mit Vermerk vom 03.07.2024 erklärt, bei seiner Abstimmung im Plenum am 23.04.2024 die vom EU-Umweltausschuss vorgeschla-genen Änderungen zum Verordnungsvorschlag angenommen zu haben.
Kunststoffgranulat dient als industrieller Rohstoff für die gesamte Kunststoffproduktion. Doch freigesetztes Kunststoffgranulat stellt die drittgrößte Quelle unbeabsichtigt in die Umwelt freigesetzten Mikroplastiks in der Union dar. So wurden 2019 nach Schätzungen der EU-Kommission in der EU zwischen 52.140 Tonnen und 184.290 Tonnen Kunststoffgranulat in die Umwelt freigesetzt. Dies ist vor allem auf mangelndes Bewusstsein und unsachgemäße Handhabung in allen Stufen der Lieferkette zurückzuführen, darunter Produktion, Verarbeitung, Vertrieb und Transport. Die Freisetzung von Kunststoffgranulat hat dabei vor allem schädliche Auswirkungen auf die Umwelt, insbesondere die Meeresökosysteme und die menschliche Gesundheit, da dieses durch die Atemluft und den Nahrungsmittelverzehr aufgenommen wird. Schließlich kann es in den von den Freisetzungen betroffenen Gebieten zu negativen wirtschaftlichen Folgen für Tätigkeiten wie den kommerziellen Fischfang und die Landwirtschaft sowie Freizeitaktivitäten und den Tourismus kommen.
Der Vorschlag ergänzt die Bestimmungen der am 25.09.2023 verabschiedeten Verordnung zur Beschränkung von Mikroplastik, das Produkten bewusst zugesetzt wird (Verordnung [EU] 2023/2055). Die vorgeschlagene Verordnung soll gemäß Art. 1 Abs. 2 EU-KunststoffgranulatVO für Wirtschaftsteilnehmer, die im vorangegangenen Kalenderjahr in der Union Kunststoffgranulat in Mengen von über 5 Tonnen gehandhabt haben und für EU-Frachtführer und Frachtführer aus Drittländern, die Kunststoffgranulat in der Union befördern, gelten.
Um die Freisetzung von Kunststoffgranulat zu vermeiden und zu verringern, enthält der Vorschlag u. a. folgende Bestimmungen:
Risikobewertungsplan, Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Anhang I der EU-KunststoffgranulatVO
Der Vorschlag sieht in Art. 4 Abs. 1 EU-KunststoffgranulatVO die Erstellung, Umsetzung und Aktualisierung eines Risikobewertungsplans durch Wirtschaftsteilnehmer vor, die Anlagen für Kunststoffgranulat betreiben. Darin soll die Wahrscheinlichkeit für den Austritt und das Freisetzen von Kunststoffgranulat ermittelt und insbesondere spezifische Ausrüstung und Verfahren zur Vermeidung, Eindämmung und Reinigung von freigesetztem Granulat dokumentiert werden, wobei die Größe der Anlage und der Umfang der Tätigkeiten zu berücksichtigen sind.
Die genauen Elemente des Risikobewertungsplans sind in Anhang I des Vorschlags vorgegeben. Der Plan soll z. B. die Orte und Handhabungsvorgänge, an und bei denen Granulat innerhalb der Anlage- und Standortgrenzen austreten bzw. freigesetzt werden kann, aufführen. Daneben sollen die Wirtschaftsteilnehmer mindestens auch die Berücksichtigung von bestimmten Maßnahmen erwägen, wie z. B. die Verwendung von reiß- und stoßfesten, wasserdichten Verpackungen, Auffangvorrichtungen rund um die Be- und Entladebereiche, Höchstmengen für Granulat sowie die regelmäßige Inspektion und Wartung von Verpackungen, Behältern und Lagereinrichtungen.
Zusätzlich müssen mittlere und große Unternehmen, in deren Anlagen im vorangegangenen Kalenderjahr Kunststoffgranulat in einer Größenordnung von mehr als 1000 Tonnen gehandhabt wurde, weitere Maßnahmen nach Nr. 9 des Anhang I der EU-KunststoffgranulatVO ergreifen, wie z. B. die Einführung eines Sensibilisierungs- und Schulungsprogramms für Mitarbeitende sowie die Unterrichtung von Fahrern, Lieferanten und Unterauftragnehmern über die einschlägigen Verfahren zur Vermeidung, Eindämmung und Reinigung von ausgetretenem und freigesetztem Kunststoffgranulat.
Durch die angenommenen Änderungen des Vorschlags treffen diese zusätzlichen Pflichten nunmehr auch kleine Unternehmen, soweit diese über 1.000 Tonnen Kunststoffgranulat im vorangegangenem Kalenderjahr gehandhabt haben.
Maßnahmen von EU-Frachtführern und Frachtführern aus Drittländern, Art. 4 Abs. 5 i. V. m. Anhang III der EU-KunststoffgranulatVO
Auch Frachtführer müssen bestimmte in Anhang III der EU-KunststoffgranulatVO aufgelistete Maßnahmen zur Vermeidung, Eindämmung und Reinigung von freigesetztem Kunststoffgranulat umsetzen, wie z. B. die Verwendung technisch geeigneter Transportmittel und -behälter, die regelmäßige Reinigung der Laderäume und Transportbehälter und die Reparatur beschädigter Verpackungen.
Darüber hinaus müssen sie bestimmte Ausrüstung mit an Bord führen: mindestens eine tragbare Lichtquelle, Handwerkzeuge (z. B. Besen, Kehrblech und Handfeger, Eimer, Reparaturklebebänder usw.) und geschlossene Sammelbehälter bzw. verstärkte Sammelsäcke.
Eine Änderung im Kommissionsvorschlag sieht nunmehr in einer neuen Nr. 3a) zu Anhang III EU-KunststoffgranulatVO auch die Einführung eines Sensibilisierungs- und Schulungsprogramms für Mitarbeitende vor, das u. a. die Vermeidung, Eindämmung und Reinigung von freigesetztem Kunststoffgranulat behandelt.
Zertifizierung durch eine Zertifizierungsstelle, Art. 5 i. V. m. Anhang IV der EU-KunststoffgranulatVO
Wirtschaftsteilnehmer, die mittlere und große Unternehmen betreiben, müssen durch ein von einer Zertifizierungsstelle ausgestelltes Zertifikat gemäß Anhang IV der EU-KunststoffgranulatVO nachweisen, dass jede Anlage, in der im vorangegangenen Kalenderjahr Kunststoffgranulat in Mengen von mehr als 1.000 Tonnen gehandhabt wurde, den in Anhang I der EU-KunststoffgranulatVO festgelegten Anforderungen entspricht.
Die Einfügung eines neuen Art. 5 Abs. 2a) EU-KunststoffgranulatVO im geänderten Vorschlag sieht nunmehr vor, dass auch Wirtschaftsteilnehmer, die kleine Unternehmen betreiben, durch ein von einer Zertifizierungsstelle ausgestelltes Zertifikat die Einhaltung der Anforderungen nach Anhang I nachweisen müssen, wenn in ihrer Anlage Kunststoffgranulat in Mengen von mehr als 1.000 Tonnen gehandhabt wurde.
Werden weniger als 1.000 Tonnen gehandhabt, müssen kleine, mittlere und große Unternehmen einerseits sowie Kleinstunternehmen andererseits lediglich eine Konformitätserklärung nach Anhang II vorlegen, Art. 4 Abs. 2 EU-KunststoffgranulatVO.
Maßnahmen bei Vorfällen und Unfällen (Art. 9) und Nichteinhaltung der Vorschriften (Art. 10)
Schließlich sind die Wirtschaftsteilnehmer und Frachtführer verpflichtet, im Fall eines zufälligen oder unbeabsichtigten Freisetzens, das die menschliche Gesundheit oder die Umwelt erheblich beeinträchtigt, die zuständige Behörde in Kenntnis zu setzen und Maßnahmen zu ergreifen, um die gesundheitlichen oder ökologischen Folgen zu begrenzen und weitere Vorfälle oder Unfälle zu vermeiden. Haben sie gegen die einschlägigen Vorschriften aus der Verordnung verstoßen, müssen sie die zuständige Behörde informieren und alle Maßnahmen ergreifen, um die Einhaltung der Vorschriften wiederherzustellen.
Der abgeänderte Kommissionsvorschlag sieht darüber hinaus noch weitere Änderungen vor. So sollen die aktualisierten Risikobewertungspläne und eine neue Konformitätserklärung gem. Art. 4 Abs. 2 EU-KunststoffgranulatVO nun alle drei Jahre, statt der bisherigen fünf Jahre, übermittelt werden. Des Weiteren soll auch „Kunststoffgranulatstaub“, also die Industrierückstände aus der Handhabung, Zerkleinerung oder Verarbeitung von Kunststoffgranulat, mit in die Verordnung einbezogen werden.
Die Bundesregierung zeigt sich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion CDU/CSU (BT-Drs. 20/12325) grundsätzlich offen für den Kommissionsvorschlag. Sie begrüßt vor allem die generelle Anwendbarkeit der Verordnung ab einer Bagatellschwelle von 5 Tonnen gehandhabtem Kunststoffgranulat, damit Betriebe, die Forschungs- oder Versuchsanlagen sind oder die nicht regelmäßig Verarbeitungsvorgänge durchführen, entlastet werden.
Kritisch steht sie allerdings der Einbeziehung von Staub aus Kunststoffgranulat in den Anwendungsbereich der geplanten Verordnung, gegenüber. Zudem plädiert sie für eine Streichung der in Art. 16 Abs. 4 EU-KunststoffgranulatVO niedergelegten Beweislastumkehr bei einem vermuteten Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verstoß zulasten der für den Verstoß verantwortlichen Person. Bei den weiteren Verhandlungen in Brüssel will die Bundesregierung prüfen, ob die Belange kleiner und mittlerer Unternehmen hinreichend berücksichtigt werden.
Durch die neuen Regelungen kommen bürokratische und finanzielle Herausforderungen auf die Wirtschaftsteilnehmer und Frachtführer zu, die sich durch die Annahme des geänderten Kommissionsvorschlags nochmals verstärken dürften. Es bleibt abzuwarten, wie über den geänderten Vorschlag in der zweiten Lesung entschieden wird. Doch schon jetzt sollten sich Wirtschaftsteilnehmer und Frachtführer auf mögliche neue Regelungen und Pflichten bei der Handhabung von Kunststoffgranulat einstellen.
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