12. Sanktionspaket gegen Russland: Die „No-Russia-Clause“ in Lieferverträgen
Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Europäische Union laut eigener Aussage „massive und beispiellose" Sanktionen gegen Russland verhängt. Im Rahmen von nunmehr zwölf Sanktionspaketen erließ die Europäische Union diverse Verordnungen, die in immer komplexer werdenden Regelungen unter der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe den Handel zwischen insb. deutschen Unternehmen und Russland umfassend einschränken. Deutsche Unternehmen werden immer wieder mit der Herausforderung konfrontiert, diese Regelungen zu durchdringen und korrekt anzuwenden - zuletzt auch in Bezug auf die sogenannte „No-Russia-Clause“.
Die „No-Russia-Clause" gemäß dem 12. Sanktionspaket gegen Russland
Bereits im Zuge der Annexion der Krim durch Russland erließ der Rat der Europäischen Union am 31.07.2014 die Verordnung EU Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen hinsichtlich des Handels zwischen europäischen Unternehmen und Russland.
Im Rahmen des letzten 12. Sanktionspakets hat der Rat der Europäischen Union am 18.12.2023 durch die Verordnung EU 2023/2878 diese bestehende Verordnung EU 833/2014 abgeändert.
Hinweis: Siehe dazu hier.
Der neu eingefügte Artikel 12g Absatz 1 der Verordnung EU 833/2014 fordert nun, dass ab dem 20.03.2024 der Ausführer von bestimmten hochsensiblen Gütern oder Technologien bei deren Verkauf, Lieferung, Verbringung oder Ausfuhr in bestimmte Drittländer (ausgenommen sind die USA, Japan, UK, Südkorea, Australien, Kanada, Neuseeland, Norwegen und die Schweiz) die Wiederausfuhr von den benannten Gütern oder Technologien nach Russland und die Wiederausfuhr zur Verwendung in Russland vertraglich untersagen muss. Konkret muss die verbindliche Vereinbarung einer sog. „No-Russia-Clause" erfolgen.
Produkte und Technologien, die unter die No-Russia-Clause fallen, sind vorwiegend Dual-use-Güter sowie fortgeschrittene Technologieprodukte für russische Waffensysteme, wie etwa Hydrauliköle zur Verwendung in Fahrzeugen, Kugellager, gewisse Dioden und Oszilloskope.
Hinweis: Um die Betroffenheit zu prüfen, sollten Ausführer die in Artikel 12g erwähnten Güterlisten sorgfältig durchgehen.
Ausgenommen von der Verpflichtung zur Implementierung einer No-Russia-Clause sind Verträge, die vor dem 19.12.2023 geschlossen und bis zum 20.12.2024 erfüllt werden oder vorher ablaufen (sog. Altvertragsklausel).
Ausführer, die unter den Anwendungsbereich der Neuregelung fallen, müssen zudem sicherstellen, dass „angemessene Abhilfemaßnahmen" mit dem Abnehmer für den Fall seines Verstoßes gegen die No-Russia-Clause vertraglich vereinbart sind.
Vorsätzliche Verstöße gegen diese Vorschriften können mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, oder einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen sanktioniert werden. Ein entsprechender Verstoß führt somit zur Eintragung in das Führungszeugnis des Verantwortlichen , Dadurch gilt dieser als „vorbestraft“. Fahrlässige Verstöße können mit Bußgeldern von bis zu 500.000 Euro sanktioniert werden.
Aufnahme einer Klausel zur Wiederausfuhr nach Russland
Wie genau das Verbot der Wiederausfuhr aus Drittstaaten außerhalb der EU nach Russland oder von dort zur Verwendung in Russland in Bezug auf die hochsensiblen Güter und Technologien in der konkreten Lieferbeziehung umgesetzt werden kann, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Sofern sich Ausführer aktuell in den Verhandlungen von Lieferverträgen befinden, ist ihnen dringend anzuraten, den Abschluss des Vertrages von der Vereinbarung einer No-Russia-Clause abhängig zu machen.
In (Rahmen-)verträgen bei bestehenden Lieferbeziehungen sind die Vertragsbedingungen bereits ausgehandelt und der Lieferant hat grundsätzlich keine Möglichkeit, bei erneuten Bestellungen neu in Vertragsverhandlungen einzusteigen. Es ist demnach erforderlich, dass der Ausführer eine entsprechende No-Russia-Clause nachverhandelt. Aus Artikel 12g der Verordnung EU 833/2014 ergibt sich keine Pflicht, wonach die No-Russia-Clause unmittelbar in dem Liefervertrag geregelt werden muss. Aus der Formulierung „eine gemäß Absatz 1 geschlossene vertragliche Verpflichtung" des Artikel 12g Absatz 3 lässt sich schließen, dass die No-Russia-Clause auch in einer Zusatzvereinbarung zum bestehenden Rahmenvertrag geregelt werden kann, sofern alle in den Anwendungsbereich fallenden Güter und Technologien, die in den Drittstaat verbracht werden, von diesem eigenständigen Dokument umfasst sind. Dies bietet den Vorteil, dass mit einer solchen Zusatzvereinbarung nicht der gesamte Inhalt des Rahmenvertrages nachträglich „zur Disposition" gestellt wird.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Ausführer eine entsprechende Klausel in der Praxis tatsächlich nachverhandeln kann und was die Konsequenzen sind, wenn ihm dies nicht gelingt. Unterliegt der Rahmenvertrag deutschem Recht, könnte sich ein - ggf. auch gerichtlich durchsetzbarer - Anpassungsanspruch aufgrund der schwerwiegenden Änderung der Umstände zur Legalität der Ausfuhr ergeben. Unterliegt der Rahmenvertrag jedoch dem Recht des Drittstaats, muss im Einzelfall gesondert geprüft werden, ob dem Abnehmer ein entsprechender Anspruch auf Vertragsanpassung zusteht.
„Angemessene Abhilfemaßnahmen" bei einem Verstoß
Artikel 12g Absatz 3 der Verordnung EU 833/2014 sieht zudem vor, dass die vertragliche Verpflichtung „angemessene Abhilfemaßnahmen" für den Fall eines Verstoßes enthalten muss. Eine Definition, was unter dem abstrakten Begriff einer „angemessenen Abhilfemaßnahme" zu verstehen ist, bietet bislang weder die EU noch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz oder das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Wie angemessene Abhilfemaßnahmen im konkreten Einzelfall auszugestalten sind, dürfte von verschiedenen Faktoren abhängig sein.
Im Rahmen von langfristigen Lieferbeziehungen besteht grundsätzlich ein größerer Spielraum hinsichtlich der Vereinbarung von derartigen Klauseln. Zudem kann der Ausführer grundsätzlich leichter Druck auf den Abnehmer aufbauen, da beide Parteien ein wirtschaftliches Interesse an dem langfristigen Erhalt der Lieferbeziehung haben dürften und oftmals keine kurzfristigen Alternativlieferanten verfügbar sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Abhilfemaßnahme jedoch genau als angemessen zu bewerten ist, kann bis zu einer Definition durch die EU oder die Bundesämter nicht rechtssicher beantwortet werden. Denkbar wäre, zur näheren Definition des abstrakten Rechtsbegriffs Rückgriff auf die in § 3 Abs. 2 des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) benannten Angemessenheitskriterien zu nehmen. Ob eine Handlung angemessen ist, richtet sich demnach nach der Art und dem Umfang der Geschäftstätigkeit, dem Einflussvermögen des Ausführers auf den Abnehmer, die typischerweise zu erwartende Schwere des Verstoßes und dem Verursachungsbeitrag des Ausführers hinsichtlich des Verstoßes.
Hinweis: Auch im Rahmen des LkSG sind Unternehmen verpflichtet, bei ihren Zulieferern angemessene Abhilfemaßnahmen vertraglich zu vereinbaren und durchzusetzen, um Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltrechte zu verhindern. Grundsätzlich haben die beiden Normen daher ähnliche Regelungsinhalte und Zielsetzungen, sodass unseres Erachtens die Kriterien des LkSG zumindest als erste Orientierung bei der Bewertung für angemessene Abhilfemaßnahmen herangezogen werden können.
Danach wäre ein Konzept zur Beendigung eines Verstoßes mit dem Abnehmer zu erstellen und umzusetzen; denkbar wäre dabei der Zusammenschluss in Brancheninitiativen und die Festlegung von Branchenstandards zur Erhöhung der Einflussnahme sowie ein temporäres Aussetzen der Geschäftsbeziehung. Als ultima ratio käme der Abbruch der Geschäftsbeziehung in Betracht. Empfehlenswert ist daher, ein vertragliches Recht zur außerordentlichen Kündigung des Liefervertrages bzw. der Lieferbeziehung im Fall des Verstoßes gegen die No-Russia-Clause vorzusehen.
Bei nur einmaligen Lieferungen ist weiterhin zu empfehlen, sich den Endverbleib der Güter und Technologie unter Beachtung exportkontrollrechtlicher Vorgaben zusichern zu lassen. Für einen Verstoß gegen diese Zusicherung sollte eine empfindliche Vertragsstrafe vereinbart werden sowie ein Ausgleichsanspruch, wonach der Abnehmer den Ausführer von jeglichen Forderungen in diesem Zusammenhang freistellt.
Kommt es zu einem Verstoß durch den Vertragspartner aus dem Drittland, trifft den Ausführer nach Artikel 12g Absatz 4 der Verordnung EU 833/2014 eine Verpflichtung zur Unterrichtung der zuständigen Behörden des Landes seiner Niederlassung.
Ausblick
Da sowohl das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bisher zu allen Sanktionspaketen ein Q&A als auch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Erläuterungen zu den bislang gültigen Sanktionen gegen Russland veröffentlicht hat, ist davon auszugehen, dass sich die Bundesämter auch zu dem Inhalt des 12. Sanktionspakets gegen Russland einlassen werden. Möglich ist auch die Veröffentlichung einer Musterklausel durch die EU-Kommission selbst.
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