
Reformvorschläge für ein unionsrechtskonformes Umsatzsteuerverfahrensrecht
Der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Bundessteuerberaterkammer schlagen ein Maßnahmenpaket für weitreichenden Bürokratieabbau im Rahmen des Umsatzsteuerrechts vor. Eine entsprechende Stellungnahme, die Vorschläge für die Verankerung eines eigenen umsatzsteuerlichen Verfahrensrechts im Umsatzsteuergesetz enthält, wurde am 07.03.2025 an Vertreter der künftigen Koalitionsparteien übergeben.
In ihrer gemeinsamen Stellungnahme zeigen der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) anhand praxisnaher Fallbeispiele auf, wie die Umsatzsteuer Unternehmer aus verfahrensrechtlichen Gründen systemwidrig dauerhaft belasten kann, obwohl sie ihrem Wesen nach wirtschaftlich ausschließlich von den Endverbrauchern getragen werden soll.
Um was es geht
Diese Problematik wird u. a. anhand eines Fallbeispiels zum Reverse-Charge-Verfahren verdeutlicht: Zwei Unternehmer gehen bei der Beurteilung einer Lieferung irrtümlich von einer Umkehr der Steuerschuld aus, sodass der Lieferer dem Abnehmer unter Verweis auf § 13b UStG lediglich den Nettobetrag in Rechnung stellt. Der Abnehmer meldet daraufhin die Steuer an und macht den Vorsteuerabzug geltend. Die Betriebsprüfung stellt nach Jahren zutreffend fest, dass die Lieferung dem Regelbesteuerungsverfahren und eben nicht dem Reverse-Charge-Verfahren unterliegt und erhebt beim Lieferer die Steuer nebst Zinsen nach. Die Steuerfestsetzung beim Leistungsempfänger ist zwischenzeitlich bestandskräftig geworden und kann nicht mehr korrigiert werden. In der Folge entsteht beim Lieferer eine endgültige Umsatzsteuerbelastung, da er die Steuer aus dem vereinnahmten Nettobetrag heraus schuldet, ohne den Betrag vom Abnehmer erhalten zu haben. Für den Leistungsempfänger bleibt der Vorgang umsatzsteuerlich neutral, da die abgeführte Umsatzsteuer in voller Höhe als Vorsteuer abgezogen wurde. Eine Korrektur ist regelmäßig nur noch im Wege einer Billigkeitsmaßnahme oder eines zivilrechtlichen Ausgleichsanspruchs möglich.
Ob der Lieferer den Umsatzsteuerbetrag vom Abnehmer nachfordern kann, hängt davon ab, ob zivilrechtlich eine Brutto- oder Nettopreisvereinbarung getroffen wurde.
Anhand weiterer Beispiele wird dargestellt, dass auch bei grenzüberschreitenden innergemeinschaftlichen Sachverhalten eine systemwidrige Belastung mit Umsatzsteuer, etwa aufgrund von Uneinigkeit der beteiligten Finanzbehörden der beteiligten Staaten über den Ort der Leistung oder der Zuordnung der steuerfreien bewegten Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts eintreten kann.
Als Ursache für die definitive Belastung von Unternehmern mit Umsatzsteuer wird in der Stellungnahme, zu der auch RSM Ebner Stolz im Zuge seines Engagements in der entsprechenden Arbeitsgruppe der BStBK beigetragen hat, die unzureichende Kompatibilität des Verfahrensrechts der Abgabenordnung mit dem europäischen Mehrwertsteuersystem identifiziert.
Dabei wird deutlich, dass die Neutralität der Umsatzsteuer nur dann gewährleistet werden kann, wenn sie bei allen an einer Transaktion beteiligten Unternehmern korrespondierend und auf Grundlage einer einheitlichen rechtlichen Bewertung des Sachverhalts festgesetzt wird.
Vorschläge der BStBK und des BDI
Um die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen hierfür zu schaffen, schlagen BStBK und BDI gesetzgeberische Maßnahmen zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vor:
Zur Gewährleitung der einheitlichen Beurteilung eines Sachverhalts soll bereits im Vorfeld einer Transaktion die Einholung einer umsatzsteuerlichen Auskunft mit Bindungswirkung für alle Beteiligten möglich sein – vergleichbar mit der allgemeinen verbindlichen Auskunft. Ebenso soll ein Verfahren zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlage und des Steuerschuldners eingeführt werden. Daneben sollen die Schaffung einer Korrekturvorschrift bei inkongruenten Steuerfestsetzungen und umfangreiche Beteiligungsrechte aller an einer Transaktion beteiligten Unternehmer an den umsatzsteuerlichen Verfahren zu einer einheitlichen Sachverhaltsbeurteilung beitragen.
Die zeitnahe und einheitliche umsatzsteuerliche Abwicklung grenzüberschreitender Sachverhalte soll laut BDI und BStBK durch die Beteiligung Deutschlands an dem Modellversuch zu Anträgen auf amtliche Vorab-Auskünfte (Vorbescheide) der Europäischen Kommission ermöglicht werden.
Ferner enthält die Stellungnahme einen Vorschlag für eine unionsrechtskonforme gesetzliche Regelung der Erstattung rechtswidrig erhobener Umsatzsteuer vom Fiskus im Wege des sog. Direktanspruchs.
Ein weiterer zentraler Vorschlag betrifft die Verzinsungsregelung der Abgabenordnung. Diese soll so modifiziert werden, dass die Verzinsung der Umsatzsteuer auf Fälle beschränkt werden soll, in denen der Fiskus in einer Gesamtbetrachtung tatsächlich einen finanziellen Nachteil erlitten hat. So würde die Verzinsung bei einer rückwirkenden Steuerfestsetzung etwa in Fällen, in denen sowohl der Leistende als auch der Leistungsempfänger irrtümlich von einem nicht steuerbaren Vorgang ausgehen, entfallen. Da Umsatzsteuer zwar nicht bezahlt, die Vorsteuer aber nicht abgezogen wird, entsteht für den Fiskus kein Liquiditätsnachteil.
Ziel der von BStBK und BDI vorgeschlagenen Maßnahmen ist die Vereinfachung des Umsatzsteuerverfahrens für Unternehmer und die Finanzverwaltung, ohne das Umsatzsteueraufkommen zu mindern. Die frühzeitige, einheitliche Beurteilung eines Sachverhalts soll im Vergleich zum derzeitigen nachgelagerten Prüfungs- und Rechtsmittelverfahren den bürokratischen Aufwand reduzieren sowie die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung verbessern.
Ausblick
Inwiefern die dargestellten Vorschläge ggf. bereits Eingang in die laufenden Koalitionsverhandlungen finden, bleibt abzuwarten. Zu hoffen ist jedenfalls, dass die Vorschläge im Bundesfinanzministerium Gehör finden und im Laufe der neuen Legislaturperiode umgesetzt werden.
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