IDW S 11: Vorliegen von Insolvenzeröffnungsgründen

05.02.2025 | 6 Minuten Lesezeit

Der IDW Standard IDW S 11 „Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen“ definiert die Anforderungen zur Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (Insolvenzreife) unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Diese Beurteilungsanforderungen richten sich an die gesetzlichen Vertreter sowie Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, die bei der Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzgründen hinzugezogen werden oder die im Rahmen eines Sanierungskonzepts die Insolvenzreife beurteilen.

Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

Die Insolvenzordnung nennt drei Gründe für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens:

  • Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO),
  • drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und
  • Überschuldung (§ 19 InsO).

Bei Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung ist in den Fällen des § 15a InsO von den Verantwortlichen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, zu beantragen. Das Gesetz sieht hierfür eine Frist von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung vor, § 15a Abs. 1 InsO.

Die Neuerungen im IDW S 11 (Stand 13.12.2023) berücksichtigen die aktuelle Rechtsprechung des BGH im Zusammenhang mit der Feststellung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und zur Berücksichtigung beim Bestehen eines Cash-Pools.

Zahlungsunfähigkeit

Zahlungsunfähigkeit bedeutet, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Von der Zahlungsunfähigkeit ist die Zahlungsstockung abzugrenzen, bei der es sich um die nur vorübergehende Unfähigkeit handelt, die fälligen Verbindlichkeiten vollständig zu begleichen.

Zur Abgrenzung der Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung ist es notwendig, dass zunächst ein stichtagsbezogener Finanzstatus und im Anschluss ein zeitraumbezogener Finanzplan erstellt werden.

Finanzstatus

In einem Finanzstatus werden den fälligen Verbindlichkeiten die gegenwärtig verfügbaren Finanzmittel (bspw. Barmittel, Bankguthaben, Schecks in der Kasse und nicht ausgeschöpfte und ungekündigte Kreditlinien) gegenübergestellt. Weist der Finanzstatus einen Überhang der verfügbaren Finanzmittel über die fälligen Verbindlichkeiten aus, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Ergibt sich im Finanzstatus eine Liquiditätslücke, d. h. die verfügbaren Finanzmittel decken nicht die fälligen Verbindlichkeiten, ist der Finanzstatus in einem Finanzplan fortzuführen. Der Finanzplan beinhaltet dann ebenfalls die Entwicklung der verfügbaren Liquidität und fälligen Verbindlichkeiten im Prognosezeitraum. Dies ermöglicht die Entwicklung von Plan-Finanzstatus in einem relevanten Zeitraum und berücksichtigt die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 28.06.2022, Az. II ZR 112-21, wonach Zahlungsunfähigkeit auch durch die Aneinanderreihung mehrerer Plan-Finanzstatus in aussagekräftiger Anzahl nachgewiesen werden kann.

Keine Zahlungsunfähigkeit besteht, wenn durch den Finanzplan dargelegt wird, dass sich die durch den Finanzstatus aufgedeckte Liquiditätslücke im Dreiwochenzeitraum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit schließt.

Ergibt sich aus dem Finanzplan, dass die Liquiditätslücke in dem Dreiwochenzeitraum nicht geschlossen wird oder sich vergrößert, ist eine Fortschreibung des Finanzplans erforderlich, um festzustellen, ob Zahlungsunfähigkeit vorliegt oder es sich nur um eine Zahlungsstockung handelt. Um eine reine Zahlungsstockung handelt es sich, wenn die nach drei Wochen verbleibende Liquiditätslücke von 10 % oder mehr innerhalb eines „überschaubaren“ Zeitraums geschlossen werden kann.

Hinweis: Eine Erstreckung auf einen Zeitraum von mehr als drei Wochen kommt allerdings nur in Betracht, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Liquiditätslücke vollständig geschlossen und den Gläubigern dies zugemutet werden kann.

Das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit kann, wie bereits angeführt, auch durch die Aufstellung eines Finanzstatus und mehreren Finanzstatus in aussagekräftiger Anzahl im darauffolgenden Dreiwochenzeitraum ermittelt werden. Die prozentuale Lücke kann jeweils stichtagsbezogen als Verhältnis der absoluten Lücke zu den zu diesem Zeitpunkt fälligen Verbindlichkeiten berechnet werden. Ergibt sich aus den jeweiligen Finanzstatus eine Lücke von 10 % oder mehr, liegt Zahlungsunfähigkeit vor.

Hinweis: Laut BGH kann Zahlungsunfähigkeit auch durch die Aufstellung einer sog, Liquiditätsbilanz ermittelt werden. Bei der Ermittlung des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (ex-ante und ex-post) ist die Methode der Aneinanderreihung von (Plan-)Finanzstatus der Liquiditätsbilanz aufgrund des Volumeneffekts vorzuziehen. Der Volumeneffekt der Liquiditätsbilanz führt häufig zu einer geringeren prozentualen Lücke, was tendenziell zu einem späteren Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit (und damit zu möglichen Haftungsgefahren) führt.

Cash-Pooling / Zentrale Liquiditätssteuerung

Ist das Unternehmen einem Cash-Pooling-System oder einer zentralen Liquiditätssteuerung von in einem Finanzierungskreis zusammengeschlossenen Gesellschaften angeschlossen, ist maßgebend, ob ein Zugriff auf freie Liquidität innerhalb von drei Wochen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gesichert ist. Zudem ist danach zu unterscheiden, ob es sich um die den Cash-Pool führende Gesellschaft oder um eine dem Cash-Pool angeschlossene Gesellschaft handelt.

Zahlungsansprüche einer dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaft gegen die den Cash-Pool führende Gesellschaft können im Finanzstatus angesetzt werden, soweit ein tagesgleicher Zufluss erfolgt. Entsprechendes gilt für Mittel, die aufgrund des Cash-Pooling-Systems als Kredit in Anspruch genommen werden dürfen. Anderenfalls sind diese im Finanzplan zu erfassen, wenn sie mit hinreichender Sicherheit erwartet werden können.

Hinweis: Zur Feststellung verfügbarer Liquiditätsreserven aus dem Cash-Pooling-System kommt dem Finanzplan der Unternehmensgruppe, aus dem sich die Liquiditätsströme innerhalb der angeschlossenen Gesellschaften und damit die in der Unternehmensgruppe insgesamt verfügbare Liquidität ableitet, besondere Bedeutung zu. Dabei ist zu beachten, dass die Summe aus der freien Liquidität abzüglich der fälligen Verbindlichkeiten der Cash-Pool führenden Gesellschaft und der dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaften die Finanzierungsmöglichkeiten der Teilnehmer des Cash-Pools begrenzt und insoweit die Obergrenze dessen bildet, was an Liquidität einer dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaft zugeführt werden kann.

Zahlungseinstellung

Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist Zahlungsunfähigkeit i.d.R. zudem anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungseinstellung liegt vor, wenn der Schuldner wegen eines Mangels an Zahlungsmitteln aufhört, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, und dies für die beteiligten Verkehrskreise hinreichend erkennbar geworden ist.

Hinweis: Beweisanzeichen für das Vorliegen einer Zahlungseinstellung können bspw. die Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen, eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise, die Nichtzahlung von Stromrechnungen oder zurückgegebene Lastschriften sein.

Überschuldung

Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Sofern eine positive Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 InsO vorliegt, d. h. die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist und somit keine drohende Zahlungsunfähigkeit gegeben ist, liegt eine Überschuldung nicht vor. Die Überschuldungsprüfung erfordert somit i.d.R. ein zweistufiges Vorgehen.

Auf der ersten Stufe sind die Überlebenschancen des Unternehmens in einer Fortbestehensprognose zu beurteilen. Bei einer positiven Fortbestehensprognose liegt keine Überschuldung i.S. des § 19 Abs. 2 InsO vor. Zur Feststellung einer künftigen, der Fortführung des Unternehmens entgegenstehenden Liquiditätslücke ist ausgehend von der Stichtagsliquidität im Prüfungszeitpunkt die gesamte finanzielle Entwicklung des Unternehmens für den Prognosezeitraum von zwölf Monaten in einer Fortbestehensprognose darzustellen.

Im Falle einer negativen Fortbestehensprognose sind auf der zweiten Stufe Vermögen und Schulden des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen. In diesem Fall liegt zumindest eine drohende Zahlungsunfähigkeit und damit ein Insolvenzantragsrecht vor. Ist darüber hinaus das sich aus dem Überschuldungsstatus ergebende Reinvermögen negativ, liegt zusätzlich eine Überschuldung vor, die eine Antragspflicht begründet.

Der Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose, die für die Einschätzung der Überschuldung maßgeblich ist, umfasst gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO ab dem Beurteilungsstichtag zwölf Monate. Eine nach diesem Prognosezeitraum eintretende Liquiditätslücke (z. B. nach 13 Monaten) begründet zum Beurteilungsstichtag keine Überschuldung. Sofern die Liquiditätslücke nach zwölf Monaten aber innerhalb der nächsten i.d.R. 24 Monate eintritt, liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit und damit ein Antragsrecht des Schuldners vor.

Hinweis: Der erforderliche Detaillierungsgrad der Fortbestehensprognose (z. B. quartals-, monats- oder wochenweise Planung) wird vom Ausmaß der Unternehmenskrise und der bereits eingetretenen sowie der erwarteten Liquiditätsanspannung bestimmt.

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Nach § 18 InsO ist auch die drohende Zahlungsunfähigkeit Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die drohende Zahlungsunfähigkeit begründet allerdings keine Antragspflicht, sondern gibt dem Schuldner das Recht, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist auch eine Zugangsvoraussetzung für den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen nach StaRUG.

Zahlungsunfähigkeit droht, wenn zum Beurteilungsstichtag keine Liquiditätslücke vorhanden ist, nach dem Finanzplan aber absehbar ist, dass die Zahlungsmittel im Prognosezeitraum der Fortbestehensprognose nach § 18 Abs. 2 InsO (in aller Regel 24 Monate) zur Erfüllung der fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr ausreichen und die sich ergebende Liquiditätslücke durch Maßnahmen (bspw. Kapitalbeschaffung) ausgeglichen werden kann.

Hinweis: Bei der Fortbestehensprognose nach § 18 Abs. 2 InsO handelt es sich bei den ersten zwölf Monaten um dieselbe Planung wie bei der Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 InsO. Im Zusammenhang mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit sind deshalb die gleichen inhaltlichen Anforderungen an die Fortbestehensprognose nach § 18 Abs. 2 InsO zu stellen wie bei dem Insolvenztatbestand der Überschuldung.