Nachhaltigkeitsberichterstattung im Mittelstand: Was bringt’s und was kostet es?
Das Verständnis für nachhaltiges Handeln ist längst in der Mitte von Wirtschaft und Gesellschaft angekommen. Viele Unternehmen verpflichten sich bereits in Eigeninitiative zu nachhaltigem Handeln, und werden nun seit einiger Zeit zunehmend rechtlichen Anforderungen unterworfen.
Ab 2026 müssen auch große mittelständische Unternehmen für das Geschäftsjahr 2025 einen sog. Nachhaltigkeitsbericht abgeben. Prof. Dr. Maximilian Müller hat den Lehrstuhl für Financial Accounting an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln inne. In einem seiner Forschungsprojekte untersucht sein Lehrstuhl u. a., ob die Unternehmen von der Nachhaltigkeitsregulatorik nicht überfordert werden und welche Kosten-Nutzen-Relation besteht. In diesem Kontext laden wir Sie herzlich unten zur Teilnahme an einer Umfrage ein.
Herr Prof. Müller, erreicht die Politik mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung aus Sicht der Wissenschaft ihre Ziele und welchen Beitrag kann die Wissenschaft dazu leisten?
Das ist offen. Die Idee ist, dass mehr Transparenz in Bezug auf Nachhaltigkeit nicht nur zu einem Umdenken bei Unternehmen und ihren Stakeholdern führt, sondern auch zu einer Verhaltensänderung hin zu mehr Nachhaltigkeit. Es ist jedoch unklar, wie viel Transparenz allein bewirken kann. Vermutlich ist Transparenz nur ein Vorbote für andere Regulierungsinstrumente mit „mehr Biss“, wie z. B. Steuern oder Verbote, die dann vielleicht auf den nun neu gewonnenen Daten fußen.
Als Wissenschaft begleiten wir diesen Prozess kritisch und neutral – so setzen wir z. B. gerade eine große Studie auf, die die Transparenzeffekte für die „erste Welle" von Unternehmen, die 2025 berichten müssen, evaluiert. Dabei generieren wir auch wertvolle Benchmarks und Anschauungsbeispiele für die „zweite Welle" von Unternehmen, die 2026 berichten müssen. Für diese ist die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung wahrscheinlich eine noch größere Herausforderung. Das müssen wir besser verstehen und auch der Politik in Zahlen greifbar machen – daher fragen wir in unserer Umfrage zur CSRD explizit nach den erwarteten Kosten, um die Verhältnismäßigkeit der neuen Regulierung besser einschätzen zu können.
Die CSRD-Nachhaltigkeitsberichterstattung ist sehr komplex und überfordert in ihren Details viele mittelständische Unternehmen. Welche Vereinfachungen wären aus Ihrer Sicht möglich?
Der wichtigste inhaltliche Hebel, den die Unternehmen ein Stück weit selbst in der Hand haben, ist sicherlich die Wesentlichkeitsanalyse. Ein Fokus der Berichterstattung auf die wesentlichen Themen kann die Komplexität stark reduzieren. Der zeitliche Hebel liegt weitgehend in den Händen der Politik. Schon jetzt gibt es einige Angabepflichten, die erst später greifen werden. Diesen Kreis könnte man erweitern, gerade für die „kleineren" großen Kapitalgesellschaften.
Stehen aus Ihrer Sicht die Kosten und der Nutzen der Nachhaltigkeitsregulatorik in einem angemessenen Verhältnis? Konkret: Was bringt es dem Klima und den Unternehmen und was kostet es?
Zu den Kosten wissen wir leider viel zu wenig, daher wollen wir diese empirisch beleuchten. Zum Nutzen gibt es Studien, die moderate Verbesserungen aufzeigen. So führte eine Pflicht zur Emissionsberichterstattung in Großbritannien zu einer Senkung der Emissionen um etwa 8 %.
Allgemein wäre bei den größten Unternehmen wohl am meisten für das Klima und andere Nachhaltigkeitsaspekte zu holen. Denn auch wenn die CSRD gut 14.000 große Unternehmen in Deutschland betrifft, machen allein die größten 500 davon fast 3/4 des Umsatzes aller betroffenen Unternehmen aus. Die Geschäftstätigkeit dieser Unternehmen hat damit auch die größten Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Ein Pendant zur CSRD, die CSDDD (Europäische Lieferkettenrichtlinie), die Unternehmen zur Reduktion ihrer Auswirkungen entlang der Lieferkette anhalten soll, gilt ebenfalls nur für deutlich größere Unternehmen als die CSRD. Meine Befürchtung ist, dass nun viele Unternehmen, die eine verhältnismäßig geringe Auswirkung haben, Ressourcen für eine gesetzeskonforme Berichterstattung aufwenden müssen. Hinzu kommen noch die vielen mittelbar betroffenen Unternehmen.
Die Unternehmen sind auch aufgefordert, ESG-Ziele zu veröffentlichen und bspw. einen Übergangsplan für den Klimaschutz aufzustellen sowie zu erläutern, wie ggf. die Unternehmensstrategie und das Geschäftsmodell angepasst werden sollen. Welche Auswirkungen hat die erhöhte Transparenz für Unternehmen, insb. im Hinblick auf die Wettbewerbswirkung?
Unternehmen beschäftigen sich von selbst mit der Wirkung von Nachhaltigkeitsaspekten auf das eigene Geschäftsmodell. Das passiert intern und wird mit wichtigen Stakeholdern vertraulich diskutiert. Fraglich ist jedoch, ob das alles auch gegenüber jedermann offengelegt werden muss. Unternehmen stehen im Wettbewerb und müssen ihre Wettbewerbsinteressen schützen. Gerade Wettbewerber außerhalb der EU veröffentlichen in diesen Bereichen deutlich weniger. Daher vermute ich, dass wir hier teilweise eher ausweichende bzw. wenig „harte" Informationen zu sehen bekommen werden.
Wie sähe aus Ihrer Sicht eine angemessene Nachhaltigkeitsberichterstattung aus und wie könnte die CSRD-Berichterstattung entsprechend weiterentwickelt werden?
Ein gewisses Maß an Standardisierung der Berichterstattung in Kernbereichen der Transformation ist sinnvoll. Damit werden Daten vergleichbarer und die Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen bewertbar. Das hat zur Folge, dass es sich mehr lohnen wird, „grün" zu sein, als bisher, wo sich zu viele Unternehmen selbst als „grün" bezeichnen können. Unternehmen müssen auf dieser Grundlage jedoch auch passgenauere KPIs nutzen. Es wird sehr schwierig sein, diese branchenspezifischen Aspekte sinnvoll zu regulieren. Hier könnten Branchenverbände vermutlich besser z. B. Best Practice Empfehlungen geben.
Ihr Lehrstuhl hat ein Forschungsprojekt zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ins Leben gerufen. Sie wollen von den Unternehmen den Status quo und erste Erfahrungen zum Nachhaltigkeitsreporting abfragen. Was ist das konkrete Ziel des Forschungsprojekts?
Wir wollen Fakten schaffen, denn die aktuelle Debatte um Bürokratieburnouts oder -monster ist nicht besonders sachlich. Der Gesetzgeber operiert mit Kostenschätzungen zur CSRD, die auf einer 2022 durchgeführten EU-Umfrage bei 89 Unternehmen basieren – davon 17 aus Deutschland. Das sind nicht nur viel zu wenige für ein repräsentatives Bild – für die antwortenden Unternehmen war die aufkommende Berichterstattungspflicht damals noch viel zu abstrakt. Nun, da fast jedes betroffene Unternehmen weiß, was die CSRD ist und sich Gedanken über die Implementierung gemacht hat, bekommen wir ein realistischeres Bild der Lage zu den Kosten, aber auch dazu, wo der Schuh am meisten drückt. Da der Bundesjustizminister „Reparaturarbeiten" angekündigt hat, fragen wir konkret nach den Erwartungen an den Gesetzgeber, was Unterstützungen und Anpassungen angeht. Unser Ziel ist es, diese Informationen zügig aufzubereiten und neutral in die politische Debatte einzubringen.
Vielen Dank Herr Prof. Müller für das interessante Gespräch.
Hinweis: Wir freuen uns sehr, wenn unsere Leser das Forschungsprojekt von Prof. Müller unterstützen und an der Online-Umfrage teilnehmen. Hier kommen Sie zu dem Fragebogen. Selbstverständlich werden wir Sie über die Ergebnisse der Studie informieren.
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