International tätige Unternehmen, wie etwa die Schwarz-Gruppe mit den Einzelhandelsunternehmen Lidl und Kaufland, müssen sich derzeit auf unterschiedliche umsatzsteuerliche Vorgaben in den verschiedenen Ländern einstellen, in denen das Unternehmen aktiv ist. Über die Herausforderungen international tätiger Unternehmen im Bereich der Umsatzsteuer und eine eventuelle Vereinfachung und Vereinheitlichung durch die zunehmende Digitalisierung der Umsatzsteuerprozesse sprechen wir mit Alexander Kollmann, Alexander Michelutti und Robert Backes. Alexander Kollmann ist Bereichsleiter Steuern International / Tax Technology der Schwarz Dienstleistung KG. Die Steuerberater Alexander Michelutti und Robert Backes sind beide Partner und Umsatzsteuerexperten bei Ebner Stolz.
Herr Kollmann, wie würden Sie als Verantwortlicher für den Bereich internationales Steuerrecht und Tax Technology eines international tätigen Unternehmens die derzeitige Ausgangslage im Hinblick auf die weltweite Umsatzsteuer-Compliance beschreiben? Sind Sie bereits heute mit unterschiedlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung oder besonderen Meldepflichten konfrontiert?
Alexander Kollmann: Es gibt einen globalen Trend, der innerhalb und außerhalb von Europa zu beobachten ist: Die Finanzbehörden wollen immer mehr Informationen vom Steuerpflichtigen und das möglichst in Real Time und auf jeden Fall in digitaler Form. Es fängt damit an, dass sich der Fiskus alle Rechnungen einzeln melden lässt. In späteren Ausbaustufen des steuerlichen Meldewesens kommen dann auch noch die weiteren Schritte der „Einkaufs- bzw. Verkaufsprozesskette“ dazu. Das bedeutet, dass auch Bestellungen, Warenbewegungen und schließlich auch die Zahlung einer Rechnung an den Fiskus zu melden sind. Das stellt alles zusätzliche Belastungen für die Unternehmen dar. Da dieser Trend aber an sich nicht gestoppt werden kann, geht es jetzt darum, eine „Schadensminimierung“ zu erreichen. Dazu gibt es zwei Ansatzpunkte:
Eine europäische Standardisierung dieses transaktionalen Steuerreportings führt dazu, dass die Lösungsanbieter (Steuer Reporting Software, EDI Provider) kostengünstigere Lösungen für den ganzen europäischen Markt entwickeln können. Die Standardisierung wird zu einem schärferen Wettbewerb zwischen den Lösungsanbietern führen als im heutigen Europa mit seinen vielen landesspezifischen und damit unterschiedlichen Steuer-Reporting-Anforderungen, die jeweils nur mit teurer lokaler Steuersoftware gelöst werden können.
Welche Maßnahmen der EU und des deutschen Gesetzgebers wären denn Ihrer Ansicht nach vor diesem Hintergrund wünschenswert? Was machen andere Länder in der EU? Bietet denn insbesondere die Einführung der E-Rechnung den Unternehmern auch Vorteile?
Alexander Kollmann: Eine Verknüpfung der Einführung eines steuerlichen Real Time-Reportings mit einer verpflichtenden E-Rechnung ist die zweite Form der oben angesprochenen Schadensminimierung. Wenn jede einzelne Rechnung ohnehin für das transaktionale Steuerreporting in digitaler Form vorliegen muss, bietet sich die Einführung einer elektronischen Rechnung an. Wenn man es richtig ausgestaltet, können dann im Zuge eines Digitalisierung-Vorgangs beide Zielsetzungen gleichzeitig erreicht werden.
Wir sehen, dass es in Europa Finanzbehörden mit unterschiedlichem Fokus gibt: Es gibt die „egoistischen“ Finanzbehörden, die sich ausschließlich darauf fokussieren, ihren Dialog mit dem Steuerpflichtigen zu digitalisieren, ohne dies mit einer verpflichtenden elektronischen Rechnung zu verknüpfen. Beispiele dafür sind das heutige polnische und spanische System. In beiden Ländern gibt es schon seit einigen Jahren ein steuerliches Massendaten-Reporting. Beide Länder wollen sich nun weiterentwickeln und haben vor, in einer weiteren Ausbaustufe dieses Reporting mit einer verpflichtenden E-Rechnung zu verknüpfen. Andere Länder wie Belgien, Dänemark und Schweden wollen zuerst mit einer verpflichtenden E-Rechnung starten und planen, kein steuerliches Reporting einzuführen oder erst in einem späteren Entwicklungsschritt. Diese Priorisierung ist wesentlich wirtschaftsfreundlicher.
Die verpflichtende Einführung einer E-Rechnung hilft dabei, eine ganze Volkswirtschaft zu digitalisieren. Die Vorteile einer E-Rechnung liegen sowohl beim Rechnungsempfänger, der die Daten medienbruchfrei weiterverarbeiten kann, wie auch beim Rechnungsversender, der aufgrund des Wegfalls des Postweges eine schnellere Bearbeitung seiner Rechnung erwarten kann.
Die mit Spannung erwarteten Vorschläge der EU-Kommission zur Modernisierung und Digitalisierung des Mehrwehrsteuersystems liegen nun seit Dezember letzten Jahres auf dem Tisch. Welche Punkte des Maßnahmenpakets schätzen Sie denn als besonders weitreichend ein, Herr Kollmann?
Alexander Kollmann: Alle Rechnungen zwischen zwei EU-Staaten sollen ab 2028 in einem einheitlichen digitalen Format auszutauschen sein. Die zusammenfassende Meldung wird durch ein Einzelrechnungsreporting mit kurzen Meldefristen ersetzt. Die EU schreibt zwar keine vergleichbare Einführung für Inlandstransaktionen vor, wenn aber eine Nation freiwillig beschließt, das zu tun, dann soll es möglich sein, auch die gleichen Standards wie für innergemeinschaftliche Transaktionen anzuwenden. Dies gilt sowohl für das Steuer-Reportingformat wie auch für das Rechnungsformat.
Was genau ist denn nach den Vorstellungen der EU-Kommission unter einer elektronischen Rechnung zu verstehen? Herr Backes, würde beispielsweise der Mailversand einer Rechnung im PDF-Format die Anforderungen an eine elektronische Rechnung erfüllen?
Robert Backes: In einem ersten Schritt beabsichtigt die EU-Kommission, die Definition einer elektronischen Rechnung in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie zu ändern. Nach dieser Definition soll ab dem Jahr 2024 unter dem Begriff elektronische Rechnung oder E-Rechnung ein Rechnungsdokument zu verstehen sein, das in einem strukturierten elektronischen Format erstellt wird. Zudem muss möglich sein, das Dokument elektronisch ohne Medienbrüche zu übermitteln, zu empfangen und zu verarbeiten. Da so ermöglicht werden soll, dass die Rechnungsdaten ohne weitere Zwischenschritte automatisiert in die verarbeitenden Systeme eingelesen werden können, würde eine eingescannte Papier- oder PDF-Rechnung keine E-Rechnung darstellen.
Die Anforderungen an eine E-Rechnung erfüllen beispielweise Dateien, die auf einem XML-Format basieren. Dieses semantische Format ist speziell für die maschinelle Verarbeitung konzipiert. Für das menschliche Auge sind die in einer XML-Datei enthaltenen Rechnungsinformationen allerdings schwer erfassbar und werden erst mittels eines Visualisierungsprogramms auf herkömmliche Art lesbar.
Dieses XML-Format wird auch durch die europäische CEN-Norm 16931 für elektronische Rechnungsstellung vorgegeben. Dieser Standard wurde ursprünglich für die Abwicklung des Liefer- und Leistungsverkehrs mit Auftraggebern der öffentlichen Hand entwickelt. In Deutschland wurden hierfür die Formate XRechnung und ZUGFEeRD entwickelt. Seit 2020 ist die E-Rechnung einigen Unternehmen bereits aus der Zusammenarbeit mit Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen bekannt, da Rechnungen an diese seitdem nur noch im XRechnungs-Format übermittelt werden dürfen.
Die verpflichtende elektronische Rechnungsstellung betrifft nach den derzeitigen Plänen der EU-Kommission im Wesentlichen nur grenzüberschreitende Sachverhalte. Ist nach Ihrer Einschätzung, Herr Michelutti, eine entsprechende Verpflichtung auch für inländische Umsätze in Deutschland zu erwarten?
Alexander Michelutti: Die Kommissionsvorschläge sehen vor, ab 01.01.2028 eine generelle Pflicht zur elektronischen Rechnungsstellung für Umsätze zwischen EU-Staaten einzuführen. Hierunter fallen etwa steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen oder innergemeinschaftliche sonstige Leistungen, bei denen der Leistungsempfänger die Steuer schuldet. Als Faustregel kann man sich merken, dass im Wesentlichen für diejenigen Umsätze, die bisher in der Zusammenfassenden Meldung zu erfassen sind, nach den Vorschlägen der EU-Kommission eine E-Rechnung ausgestellt werden muss, denn die elektronische Rechnungsstellung dient gleichzeitig als Grundlage für ein digitales Meldepflichtensystem, das die Zusammenfassende Meldung ablösen soll.
Wie Herr Kollmann ja bereits gesagt hat, ist eine verpflichtende Einführung der E-Rechnung für reine Inlandsumsätze oder Umsätze mit Bezug zu Drittstaaten bislang nicht vorgesehen. Allerdings steht es den Mitgliedsstaaten nach den Kommissionsvorschlägen frei, sich auch für nationale Umsätze für eine verpflichtende elektronische Rechnungsstellung nach dem Vorbild der EU-Regelungen zu entscheiden.
Die Bundesregierung hat - losgelöst von den Entwicklungen auf europäischer Ebene - im Koalitionsvertrag die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug durch ein bundesweit einheitliches elektronisches Meldesystem für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen vorgesehen. Außerdem hat Deutschland bereits 2022 die, nach heutigem Stand für die Einführung der E-Rechnung für nationale Umsätze noch erforderliche, Derogations-Genehmigung bei der EU eingeholt. Daher sollten sich aus meiner Sicht deutsche Unternehmen darauf einrichten, sich vor dem Hintergrund der ViDA-Initiative auch mit den Entwicklungen bei der E-Rechnung für inländische Sachverhalte zu beschäftigen.
Aufbauend auf dem E-Invoicing soll ab 2028 ein sog. digitales Meldepflichtensystem (DMP-System) eingeführt werden. Wie genau soll dieses europaweite Meldesystem funktionieren, Herr Backes?
Robert Backes: Grundlage für das System sollen die elektronischen Rechnungen bilden, die für Umsätze zwischen EU-Staaten innerhalb von zwei Tagen nach Verwirklichung des Steuertatbestandes auszustellen sind. Dies führt dazu, dass Sammelrechnungen über mehrere, z. B. innerhalb eines Monats getätigte Lieferungen nicht mehr zulässig sind. Innerhalb von weiteren zwei Tagen soll für jeden einzelnen Umsatz eine digitale Meldung abzugeben sein.
Zu melden wären alle Daten, die derzeit die Pflichtabgaben auf einer Rechnung bilden, sowie einige neue obligatorische Rechnungsbestandteile, wie etwa das Bankkonto, auf dem die Zahlung der Rechnung gutgeschrieben werden soll.
Diese gemeldeten Daten sollen die nationalen Steuerverwaltungen über ein neues Meldesystem untereinander austauschen. Dabei soll das neue System die bisherige Zusammenfassende Meldung ersetzen, da die entsprechenden Daten den Finanzverwaltungen bereits durch die digitalen Meldungen vorliegen.
Durch die umfassenden digitalen Meldepflichten werden große Anforderungen an die Automatisierung und Digitalisierung der umsatzsteuerlichen Prozesse von Unternehmen gestellt. Herr Kollmann, liegen denn Ihrer Einschätzung nach bei den Unternehmen bereits die Voraussetzungen hierfür vor?
Alexander Kollmann: Ich habe mich in den letzten Jahren mit der Einführung von Real Time-Reporting-Systemen in verschiedenen europäischen Ländern beschäftigt. Insbesondere kleine Unternehmen befürchten die Anfangsinvestitionen, die mit einer Digitalisierung einher gehen. In der Regel werden diese Kosten durch zwei Maßnahmen abgefedert: Es gibt steuerliche Sonderabschreibungsmöglichkeiten für diese Anfangsinvestments sowie staatliche kostenlose Angebote mit einem minimalen Funktionsumfang, um so die Notwendigkeit der Anschaffung eigener Software für kleine Unternehmen zu verhindern.
Die Hersteller von lokaler Fakturier-Software nehmen dann auch die Erzeugung einer elektronischen Rechnung in ihren Standard-Funktionsumfang mit auf, da sie ansonsten in den betroffenen Ländern ihr Produkt nicht mehr verkaufen könnten. Ersatzweise gibt es Dienstleister, die eine entsprechende Datenkonvertierung aus den vorhandenen Inhouse-Formaten anbieten.
Wer heute noch kein digitales Quellsystem hat und zum Beispiel seine Rechnungen per Hand oder nur per Word erstellt, steht dann vor der Wahl, ob er rechtzeitig entsprechende Systeme einführen möchte oder sich darauf verlassen will, dass eine staatliche Plattform kostenlose Funktionen zur Verfügung stellt, die seinen Ansprüchen genügen.
Herr Michelutti, noch handelt es sich bei dem Paket VAT in the Digital Age um Rechtssetzungsvorschläge der EU-Kommission. Was erwarten Sie denn für den weiteren Gesetzgebungsprozess?
Alexander Michelutti: Bei den Vorschlägen der Kommission handelt es sich genau genommen um Änderungen an der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie und weiterer Richtlinien. Damit diese Änderungen umgesetzt werden können, ist die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten erforderlich. Da die Vorschläge dem Vernehmen nach in enger Abstimmung mit allen EU-Staaten ausgearbeitet wurden, ist mit einer Einigung grundsätzlich zu rechnen, zumal bereits einige Staaten Teile der vorgeschlagenen Änderungen eingeführt haben (beispielsweise Ungarn, Spanien und Portugal bei den erweiterten digitalen Meldepflichten).
Hinweis: Über die aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der ViDA-Initiative berichten wir in unserem ViDA-Ticker. Sofern Sie Interesse an Informationen, Workshops und einem gezielten Austausch haben, schreiben Sie uns einfach eine E-Mail mit Ihren Kontaktdaten an vida@ebnerstolz.de.