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Steuerberatung

Verlustabzug bei Kapitalgesellschaften nach § 8c KStG mit dem GG unvereinbar

BVerfG 29.3.2017, 2 BvL 6/11

Die Re­ge­lung in § 8c S. 1 KStG, wo­nach der Ver­lust­vor­trag ei­ner Ka­pi­tal­ge­sell­schaft an­tei­lig wegfällt, wenn in­ner­halb von fünf Jah­ren mehr als 25 % und bis zu 50 % der An­teile über­tra­gen wer­den (schädli­cher Be­tei­li­gungs­er­werb), ist mit dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz un­ver­ein­bar; glei­ches gilt für die iden­ti­sche Re­ge­lung in § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in ih­rer bis Ende 2015 gel­ten­den Fas­sung. Der Ge­setz­ge­ber muss bis Ende 2018 rück­wir­kend für die Zeit vom 1.1.2008 bis 31.12.2015 eine Neu­re­ge­lung tref­fen.

Der Sach­ver­halt:
Die Kläge­rin des Aus­gangs­ver­fah­rens ist eine im Jahr 2006 gegründete Ka­pi­tal­ge­sell­schaft mit zwei Ge­sell­schaf­tern. Die Ge­schäfts­jahre 2006 und 2007 schloss die Ge­sell­schaft je­weils mit einem Ver­lust ab. Der fest­ge­stellte Ver­lust­vor­trag zur Körper­schaft­steuer zum 31.12.2007 be­trug rd. 600.000 €. Im Jahr 2008 er­wirt­schaf­tete die Ge­sell­schaft einen Ge­winn, be­vor sie am Ende die­ses Jah­res we­gen der Kündi­gung ei­nes Ko­ope­ra­ti­ons­part­ners ihre Li­qui­da­tion be­schloss. Während ih­rer Tätig­keit zwi­schen 2006 und 2008 er­litt die Ge­sell­schaft einen Ge­samt­ver­lust von rd. 600 €.

An­fang 2008 über­trug ei­ner der bei­den Ge­sell­schaf­ter auf­grund der Befürch­tung, dass we­gen ei­ner ge­gen ihn ge­rich­te­ten Scha­dens­er­satz­for­de­rung in sei­nen Ge­schäfts­an­teil an der Kläge­rin voll­streckt wer­den könnte, die­sen An­teil an einen Drit­ten. Des­halb kürzte das Fi­nanz­amt bei der Körper­schaft­steu­er­ver­an­la­gung der Ge­sell­schaft für 2008 gem. § 8c S. 1 KStG die zum 31.12.2007 ver­blei­ben­den Ver­luste um den pro­zen­tual auf die­sen Ge­sell­schaf­ter ent­fal­len­den An­teil und setzte die Körper­schaft­steuer für das Jahr 2008 i.H.v. rd. 43.000 € fest. Mit ih­rer Klage be­rief sich die Kläge­rin auf die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit von § 8c KStG.

Das FG Ham­burg setzte das Ver­fah­ren aus und legte dem BVerfG die Frage der Ver­fas­sungsmäßig­keit von § 8c S. 1 KStG zur Ent­schei­dung vor.

Die Gründe:
§ 8c S. 1 KStG in der Fas­sung des Un­ter­neh­men­steu­er­re­form­ge­set­zes 2008 ist mit Art. 3 Abs. 1 GG un­ver­ein­bar, so­weit bei der un­mit­tel­ba­ren Über­tra­gung von mehr als 25 % des ge­zeich­ne­ten Ka­pi­tals an ei­ner Ka­pi­tal­ge­sell­schaft an einen Er­wer­ber (schädli­cher Be­tei­li­gungs­er­werb) die bis zum schädli­chen Be­tei­li­gungs­er­werb nicht aus­ge­gli­che­nen oder ab­ge­zo­ge­nen ne­ga­ti­ven Einkünfte (nicht ge­nutzte Ver­luste) nicht mehr ab­zieh­bar sind.

§ 8c S. 1 KStG be­han­delt Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten hin­sicht­lich der Be­stim­mung ih­rer steu­er­pflich­ti­gen Einkünfte un­ter­schied­lich je nach­dem, ob ein schädli­cher Be­tei­li­gungs­er­werb vor­liegt oder nicht. Ka­pi­tal­ge­sell­schaf­ten können ne­ga­tive Einkünfte, die im Ver­an­la­gungs­jahr nicht aus­ge­gli­chen wer­den, vom Ge­samt­be­trag der Einkünfte des un­mit­tel­bar vor­an­ge­gan­ge­nen Ver­an­la­gungs­zeit­raums und der fol­gen­den Ver­an­la­gungs­zeiträume ab­zie­hen. Da­von macht § 8c S. 1 KStG eine Aus­nahme. Wer­den in­ner­halb von fünf Jah­ren un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar mehr als 25 % des ge­zeich­ne­ten Ka­pi­tals an ei­ner Ka­pi­tal­ge­sell­schaft über­tra­gen oder liegt ein ver­gleich­ba­rer Sach­ver­halt vor (schädli­cher Be­tei­li­gungs­er­werb), kann die Ka­pi­tal­ge­sell­schaft die bis da­hin nicht aus­ge­gli­che­nen oder ab­ge­zo­ge­nen ne­ga­ti­ven Einkünfte nicht mehr ab­zie­hen, so­weit sie rech­ne­ri­sch auf den über­tra­ge­nen An­teil ent­fal­len. Die nicht ge­nutz­ten Ver­luste ge­hen an­tei­lig un­ter, ob­wohl die wirt­schaft­li­che Leis­tungsfähig­keit der Ka­pi­tal­ge­sell­schaft durch die bloße An­teilsüber­tra­gung nicht verändert wird.

Für diese Un­gleich­be­hand­lung fehlt es an einem sach­lich ein­leuch­ten­den Grund. § 8c S. 1 KStG hält schon ei­ner Prüfung am Maßstab des Willkürver­bots nicht stand. Das Ziel der Bekämp­fung von le­ga­len, je­doch un­erwünsch­ten Steu­er­ge­stal­tun­gen, ins­be­son­dere des Han­dels mit vor­tragsfähi­gen Ver­lus­ten (sog. Man­tel­kauf), ist zwar ein le­gi­ti­mer Zweck, der Un­gleich­be­hand­lun­gen recht­fer­ti­gen kann. Al­ler­dings sind die Gren­zen zulässi­ger Ty­pi­sie­rung über­schrit­ten, wenn zur Er­fas­sung sol­cher Ge­stal­tun­gen al­lein an die Über­tra­gung ei­nes An­teils von mehr als 25 % an­geknüpft wird. Die­ser Um­stand in­di­ziert für sich ge­nom­men nicht eine missbräuch­li­che Ge­stal­tung, weil es für die Über­tra­gung ei­ner der­ar­ti­gen Be­tei­li­gung an ei­ner Ver­lust­ge­sell­schaft vielfältige Gründe ge­ben kann, die nicht re­gelmäßig darin be­ste­hen, die Ver­luste für ein an­de­res Un­ter­neh­men des neuen An­teils­eig­ners nutz­bar zu ma­chen.

Bei der Re­ge­lung des § 8c KStG ist der Ge­setz­ge­ber da­von aus­ge­gan­gen, dass sich die wirt­schaft­li­che Iden­tität ei­ner Ge­sell­schaft durch das wirt­schaft­li­che En­ga­ge­ment ei­nes an­de­ren An­teils­eig­ners ändert und die in früherer Zeit er­wirt­schaf­te­ten Ver­luste un­berück­sich­tigt blei­ben sol­len, so­weit sie auf die­ses neue wirt­schaft­li­che En­ga­ge­ment ent­fal­len. Der Vor­schrift liegt der im Steu­er­recht an­er­kannte Grund­satz zu­grunde, dass beim steu­er­li­chen Ver­lust­ab­zug das­je­nige Steu­er­sub­jekt, das den Ver­lust­ab­zug nut­zen möchte, mit dem­je­ni­gen Steu­er­sub­jekt iden­ti­sch sein muss, das den Ver­lust er­lit­ten hat. Der Ge­setz­ge­ber hat je­doch die Gren­zen sei­ner Ty­pi­sie­rungs­be­fug­nis über­schrit­ten, so­weit er eine Ände­rung der wirt­schaft­li­chen Iden­tität al­lein mit der Vor­aus­set­zung de­fi­nie­ren und nor­ma­tiv er­fas­sen wollte, dass in­ner­halb von fünf Jah­ren mit­tel­bar oder un­mit­tel­bar mehr als 25 % und bis zu 50 % der An­teile an ei­ner Ka­pi­tal­ge­sell­schaft an einen Er­wer­ber oder die­sem nahe ste­hende Per­so­nen über­tra­gen wer­den.

Zwar begründet der Er­werb ei­ner sol­chen Be­tei­li­gung ge­sell­schafts­recht­lich eine Sperr­mi­no­rität. Diese er­laubt aber al­len­falls mit­tel­bar ein ak­ti­ves Ge­stal­ten der Ent­schei­dun­gen durch den Min­der­heits­ge­sell­schaf­ter. Nur eine Mehr­heits­be­tei­li­gung ermöglicht es dem An­teil­ser­wer­ber, auf die Ka­pi­tal­ge­sell­schaft un­mit­tel­bar maßge­bend Ein­fluss zu neh­men und die Ver­luste durch ent­spre­chende un­ter­neh­me­ri­sche Ent­schei­dun­gen zu ei­ge­nen Zwecken zu nut­zen. We­der aus der Ge­set­zes­begründung noch aus sons­ti­gen Gründen ist er­sicht­lich, wa­rum bei Über­tra­gung von mehr als 25 % bis zu 50 % der An­teile im Re­gel­fall von ei­ner Iden­titätsände­rung aus­zu­ge­hen ist. Mit die­sem Merk­mal wer­den auch und nicht nur in einem Rand­be­reich Fälle er­fasst, in de­nen Be­triebs­vermögen, Un­ter­neh­mens­ge­gen­stand und Ge­schäfts­be­trieb von der An­teilsüber­tra­gung nicht berührt wer­den und nicht verändert wer­den sol­len. Es ver­fehlt in die­sen Fällen den Norm­zweck der Er­fas­sung von Ände­run­gen der wirt­schaft­li­chen Iden­tität ei­ner Ka­pi­tal­ge­sell­schaft und ist des­halb als al­lei­ni­ges Ty­pi­sie­rungs­merk­mal un­ge­eig­net.

Ein sach­li­cher Grund für die vom Ge­setz­ge­ber vor­ge­nom­mene Dif­fe­ren­zie­rung er­gibt sich auch nicht aus dem Ge­dan­ken der Un­ter­neh­me­ri­den­tität als Vor­aus­set­zung für den Ver­lust­ab­zug und ei­ner Annäherung an die Be­steue­rung von Per­so­nen­ge­sell­schaf­ten, die nach dem Trans­pa­renz­prin­zip als eine sol­che der Ge­sell­schaf­ter er­folgt. In ih­rer Wir­kung trifft die Re­ge­lung des § 8c S. 1 KStG nicht nur den aus­schei­den­den, son­dern - an­ders als beim An­teils­eig­ner­wech­sel in der Per­so­nen­ge­sell­schaft - auch die ver­blei­ben­den Alt­ge­sell­schaf­ter, weil die quo­tale Kürzung des Ver­lust­ab­zugs we­gen der ei­ge­nen Steu­er­pflicht der Körper­schaft ebenso auf ih­rem Ge­winn­an­teil las­tet. Zu­dem geht auf Sei­ten des aus­schei­den­den Ge­sell­schaf­ters der Ver­lust­ab­zug - an­ders als beim aus­schei­den­den Per­so­nen­ge­sell­schaf­ter und beim Ein­zel­un­ter­neh­mer, der sein Un­ter­neh­men veräußert - endgültig un­ter.

Die Gründe, die zur Ver­fas­sungs­wid­rig­keit von § 8c S. 1 KStG in der Fas­sung des Un­ter­neh­men­steu­er­re­form­ge­set­zes 2008 führen, tref­fen auf die da­mit wort­lau­tid­en­ti­schen nach­fol­gen­den Fas­sun­gen von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG bis zum In­kraft­tre­ten des mit dem Ge­setz zur Wei­ter­ent­wick­lung der steu­er­li­chen Ver­lust­ver­rech­nung bei Körper­schaf­ten vom 20.12.2016 ein­gefügten § 8d KStG ebenso zu. Ob durch Einführung von § 8d KStG mit Wir­kung vom 1.1.2016 der An­wen­dungs­be­reich von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in ei­ner Weise re­du­ziert wor­den ist, dass die Norm nun­mehr den An­for­de­run­gen von Art. 3 Abs. 1 GG genügt, be­darf ge­son­der­ter Be­trach­tung. Sie ist des­halb nicht mehr ohne Wei­te­res aus den­sel­ben Gründen mit dem GG un­ver­ein­bar wie vor dem In­kraft­tre­ten von § 8d KStG, so dass eine Er­stre­ckung der Un­ver­ein­bar­keits­erklärung über die­sen Zeit­punkt hin­aus nicht in Be­tracht kommt. Der Ge­setz­ge­ber hat bis zum 31.12.2018 rück­wir­kend für die Zeit vom 1.1.2008 bis 31.12.2015 den fest­ge­stell­ten Ver­fas­sungs­ver­stoß zu be­sei­ti­gen. Kommt er die­ser Ver­pflich­tung nicht nach, tritt am 1.1.2019 im Um­fang der fest­ge­stell­ten Un­ver­ein­bar­keit rück­wir­kend auf den Zeit­punkt sei­nes In­kraft­tre­tens die Nich­tig­keit von § 8c S. 1 KStG (jetzt § 8c Abs. 1 S. 1 KStG) ein.

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