Bei multinationalen Unternehmensgruppen kann grundsätzlich über Verrechnungspreise gesteuert werden, in welcher Gesellschaft oder Betriebsstätte - und damit auch in welchem Land - welches Ergebnis realisiert und besteuert wird. Dieses Gestaltungspotenzial wird durch den sog. Fremdvergleichsgrundsatz eingedämmt. Danach müssen Verrechnungspreise so vereinbart werden, wie sie auch zwischen fremden Dritten vereinbart worden wären. Dies ist fundiert zu dokumentieren. Ging es in den vergangenen Jahren vorwiegend darum, dass möglichst jedes beteiligte Land, in dem eine Unternehmensgruppe tätig ist, einen angemessenen Gewinnanteil zugewiesen bekommt, stellt sich aufgrund der gegenwärtigen Wirtschaftskrise nun die umgekehrte Frage: Wie sind Verluste in der Unternehmensgruppe auf einzelne Gesellschaften bzw. Betriebsstätten - und damit auf die einzelnen Länder - aufzuteilen?
Vertriebsgesellschaften, verlängerte Werkbänke und Support-Dienstleister
Gruppengesellschaften, die bspw. als Vertragshändler den Vertrieb in lokalen Märkten durchführen, für die Unternehmensgruppe ausschließlich Support-Funktionen übernehmen oder als verlängerte Werkbänke in die Produktion eingebunden sind, haben üblicherweise ein begrenztes Funktions- und Risikoprofil. Als Unternehmen, die lediglich geringe Risiken übernehmen und managen, haben sie keinen Anspruch auf über eine funktionsadäquate Vergütung hinausgehende Erträge, die sich aus entsprechenden Marktchancen ergeben können. Umgekehrt müssen sie regelmäßig auch nicht die Verluste aus der Risikorealisierung tragen, sondern erwirtschaften kleine, aber stetige Gewinne.
Was ist aber bei extern motivierten Risiken, die zu Verlusten führen, wie sie aktuell aufgrund der Corona-Krise entstehen? Hier kann eine für den Fremdvergleich erforderliche Vergleichstransaktion nur schwer gefunden werden. Gegenwärtig ist noch ungeklärt, ob aktuell vereinbarte Verrechnungspreise (noch) angemessen sind, wenn der von der Vertriebsgesellschaft bearbeitete Absatzmarkt zum Erliegen gekommen ist, oder wenn Leistungen von Support-Gesellschaften im Verbund kaum mehr nachgefragt werden. Können oder sollten die entsprechenden Gesellschaften in diesen Fällen ebenfalls Verluste verzeichnen?
Schwierigkeiten bei der Lizenzierung
Für Gruppengesellschaften, die als Produktionseinheiten tätig sind und ihre Produkte direkt an Drittkunden verkaufen, können sich ebenfalls verrechnungspreisbedingte Probleme ergeben. Sie zahlen häufig Lizenzgebühren für die Nutzung immaterieller Güter, wie Patente oder produktionsbezogenes Know-how anderer Gruppengesellschaften. Ein Absatz- und Produktionsrückgang bei unverändert hohen Lizenzgebühren verschärft die Verlustsituation. Eine Überprüfung der Lizenzgebühren erscheint im Einzelfall sinnvoll, wobei dabei auch die Situation der lizenzgebenden Einheit zu berücksichtigen ist.
Gruppeninterne Finanzierung
Für Finanzierungsgesellschaften kann u. U. die Änderung der Bonität der darlehensnehmenden Gruppengesellschaft aufgrund einer Verlustsituation Anlass für Überlegungen sein, den Darlehenszinssatz gemäß dem Fremdvergleichsgrundsatz anzupassen. Hier ist auch zu klären, wie in diesem Zusammenhang etwaige Sicherheiten behandelt werden oder ob es ggf. Auswirkungen aufgrund der Tatsache gibt, dass Gesellschafterdarlehen insolvenzrechtlich als nachrangig anzusehen sind.
Die Krise als Chance
Unzweifelhaft werden die Antworten, die im Einzelfall gefunden werden, nicht immer so ausfallen, wie sich das die Fisci der beteiligten Länder vorstellen und das Konfliktpotenzial auf dem Feld der Verrechnungspreise dürfte weiter zunehmen. Allerdings sollte das Unternehmen nicht davon abhalten, proaktiv gruppeninterne Leistungsbeziehungen zu untersuchen. Dazu sollte die Geschäftsbeziehung hinsichtlich der Risikoübernahme bzw. Risikotragung, der finanziellen Fähigkeiten und der Risikozuordnung überprüft werden. Vor allem setzt die Corona-Krise neue Schwerpunkte bei der Dokumentation der Funktions- und Risikoprofile: Standen bislang häufig vor allem funktionale und operative Risiken im Vordergrund, rücken jetzt strategische und extern verursachte Risiken, die von keinem vorherzusehen oder zu kontrollieren sind, in den Fokus. So bietet die Krise hier auch eine Chance: Auf Basis einer grundlegenden Analyse bestehender Risikoallokationen können bestehende Verrechnungspreissysteme neu justiert und optimiert werden. Das kann zur weiteren Liquiditätssicherung beitragen: Mit krisenangepassten Verrechnungspreisstrukturen kann es gelingen, innerhalb der Unternehmensgruppe insgesamt erzielte Verluste sinnvoll zu nutzen und nach Möglichkeit zu vermeiden, dass in vielen Einzelstaaten dennoch Steuer(nach)zahlungen fällig werden.