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Verwendung von Samples zur künstlerischen Gestaltung kann Eingriff in Urheber- und Leistungsschutzrechte rechtfertigen

BVerfG 31.5.2016, 1 BvR 1585/13

Steht der künst­le­ri­schen Ent­fal­tungs­frei­heit ein Ein­griff in das Tonträger­her­stel­ler­recht ge­genüber, der die Ver­wer­tungsmöglich­kei­ten nur ge­ringfügig be­schränkt, können die Ver­wer­tungs­in­ter­es­sen des Tonträger­her­stel­lers zu­guns­ten der Frei­heit der künst­le­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung zurück­zu­tre­ten ha­ben. Das für die An­wend­bar­keit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Ein­griffe in das Tonträger­her­stel­ler­recht her­an­ge­zo­gene Kri­te­rium der feh­len­den gleich­wer­ti­gen Nach­spiel­bar­keit der über­nom­me­nen Se­quenz ist nicht ge­eig­net, einen verhält­nismäßigen Aus­gleich her­zu­stel­len.

Der Sach­ver­halt:
Die Ver­fas­sungs­be­schwerde be­trifft die Frage, in­wie­weit sich Mu­sik­schaf­fende bei der Über­nahme von Aus­schnit­ten aus frem­den Tonträgern im Wege des sog. Sam­pling ge­genüber leis­tungs­schutz­recht­li­chen An­sprüchen der Tonträger­her­stel­ler auf die Kunst­frei­heit be­ru­fen können. Als Sam­pling wird in der Mu­sik ein Ge­stal­tungs­mit­tel ver­stan­den, das in der Spei­che­rung von Klängen aus un­ter­schied­li­chen Ton­quel­len und der Ver­ar­bei­tung die­ser Klänge in einem neuen Mu­sikstück be­steht. Der Ein­satz von Sam­pling spielt ins­be­son­dere im Be­reich des Hip-Hop und der elek­tro­ni­schen Mu­sik eine be­deu­tende Rolle.

Be­schwer­deführer sind u.a. die zwei Kom­po­nis­ten und die Sänge­rin des Ti­tels "Nur mir", der 1997 in meh­re­ren Ver­sio­nen auf dem Al­bum "Die neue S-Klasse" und auf ei­ner EP ("Ex­ten­ded Play") veröff­ent­licht wurde, so­wie die Mu­sik­pro­duk­ti­ons­ge­sell­schaft, die das Al­bum und die EP her­ge­stellt hat. Nach den zi­vil­ge­richt­li­chen Fest­stel­lun­gen war zur Her­stel­lung von zwei Ver­sio­nen des Ti­tels "Nur mir" eine Rhyth­mus­se­quenz von zwei Se­kun­den aus der Ton­spur des Ti­tels "Me­tall auf Me­tall" aus dem Al­bum "Trans Eu­ropa Ex­press" der deut­schen Band "Kraft­werk" von 1977 im Ori­gi­nal ent­nom­men und in nur ge­ringfügig veränder­ter Form den bei­den Ver­sio­nen als fort­lau­fend wie­der­holte Rhyth­mus­fi­gur ("Loop") zu­grunde ge­legt wor­den.

Das OLG gab der Klage von zwei Mit­glie­dern der Band "Kraft­werk" statt und ver­ur­teilte die Kom­po­nis­ten und die Mu­sik­pro­duk­ti­ons­ge­sell­schaft, die Her­stel­lung und den Ver­trieb von Tonträgern mit den bei­den be­trof­fe­nen Ver­sio­nen des Ti­tels "Nur mir" zu un­ter­las­sen und be­reits be­ste­hende Tonträger an die Kläger zur Ver­nich­tung her­aus­zu­ge­ben. Außer­dem wurde fest­ge­stellt, dass die Be­schwer­deführer den Klägern scha­dens­er­satz­pflich­tig seien. Die Re­vi­sion der Be­klag­ten hatte vor dem BGH kei­nen Er­folg.Auch die Ent­nahme klein­ster Aus­schnitte aus ei­ner frem­den Ton­spur stelle einen Ein­griff in das Leis­tungs­schutz­recht des Tonträger­her­stel­lers gem. § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG dar und bedürfe grundsätz­lich des­sen Zu­stim­mung. Eine Aus­nahme hier­von be­stehe, wenn es sich um eine freie Be­nut­zung gem. § 24 Abs. 1 UrhG han­dele. Vor­aus­set­zung hierfür sei aber, dass die be­tref­fende Se­quenz nicht in gleich­wer­ti­ger Art und Weise nach­ge­spielt wer­den könne. Dies sei vor­lie­gend je­doch möglich ge­we­sen.

Das BVerfG gab der Ver­fas­sungs­be­schwerde drei der ins­ge­samt zwölf Be­schwer­deführer (Kom­po­nis­ten und Mu­sik­pro­duk­ti­ons­ge­sell­schaft), mit der diese ins­be­son­dere eine Ver­let­zung ih­res Grund­rechts auf Kunst­frei­heit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gel­tend ma­chen, statt.

Die Gründe:
Die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen ver­let­zen die bei­den Kom­po­nis­ten und die Mu­sik­pro­duk­ti­ons­ge­sell­schaft des Ti­tels "Nur mir" in ih­rer durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ga­ran­tier­ten Frei­heit der künst­le­ri­schen Betäti­gung.

Bei der recht­li­chen Be­wer­tung der Nut­zung von ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­ten Wer­ken steht dem In­ter­esse der Ur­he­ber­rechts­in­ha­ber, die Aus­beu­tung ih­rer Werke zu frem­den kom­mer­zi­el­len Zwecken ohne Ge­neh­mi­gung zu ver­hin­dern, das durch die Kunst­frei­heit ge­schützte In­ter­esse an­de­rer Künst­ler ge­genüber, ohne fi­nan­zi­elle Ri­si­ken oder in­halt­li­che Be­schränkun­gen in einen Schaf­fens­pro­zess im künst­le­ri­schen Dia­log mit vor­han­de­nen Wer­ken tre­ten zu können. Steht der künst­le­ri­schen Ent­fal­tungs­frei­heit ein Ein­griff in die Ur­he­ber­rechte ge­genüber, der die Ver­wer­tungsmöglich­kei­ten nur ge­ringfügig be­schränkt, so können die Ver­wer­tungs­in­ter­es­sen der Ur­he­ber­rechts­in­ha­ber zu­guns­ten der Frei­heit der künst­le­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung zurück­zu­tre­ten ha­ben. Diese Grundsätze gel­ten auch für die Nut­zung von nach § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG ge­schütz­ten Tonträgern zu künst­le­ri­schen Zwecken.

Die An­nahme des BGH, die Über­nahme selbst klein­ster Ton­se­quen­zen stelle einen un­zulässi­gen Ein­griff in das Tonträger­her­stel­ler­recht der Kläger dar, so­weit der über­nom­mene Aus­schnitt gleich­wer­tig nach­spiel­bar sei, trägt der Kunst­frei­heit nicht hin­rei­chend Rech­nung. Wenn der Mu­sik­schaf­fende, der un­ter Ein­satz von Sam­ples ein neues Werk schaf­fen will, nicht völlig auf die Ein­be­zie­hung des Sam­ple in das neue Mu­sikstück ver­zich­ten will, stellt ihn die enge Aus­le­gung der freien Be­nut­zung durch den BGH vor die Al­ter­na­tive, sich ent­we­der um eine Sam­ple­li­zen­zie­rung durch den Tonträger­her­stel­ler zu bemühen oder das Sam­ple selbst nach­zu­spie­len. In bei­den Fällen würden je­doch die künst­le­ri­sche Betäti­gungs­frei­heit und da­mit auch die kul­tu­relle Fort­ent­wick­lung ein­ge­schränkt.

Der Ver­weis auf die Li­zen­zie­rungsmöglich­keit bie­tet kei­nen gleich­wer­ti­gen Schutz der künst­le­ri­schen Betäti­gungs­frei­heit: Auf die Einräum­ung ei­ner Li­zenz zur Über­nahme des Sam­ple be­steht kein An­spruch; sie kann von dem Tonträger­her­stel­ler ohne An­gabe von Gründen ver­wei­gert wer­den. Das ei­gene Nach­spie­len von Klängen stellt eben­falls kei­nen gleich­wer­ti­gen Er­satz dar. Der Ein­satz von Sam­ples ist ei­nes der stilprägen­den Ele­mente des Hip-Hop. Diese gen­re­spe­zi­fi­schen As­pekte können nicht un­berück­sich­tigt ge­las­sen wer­den. Im Übri­gen führt die Be­ur­tei­lung der gleich­wer­ti­gen Nach­spiel­bar­keit für die Kunst­schaf­fen­den zu er­heb­li­cher Un­si­cher­heit. Die­sen Be­schränkun­gen der künst­le­ri­schen Betäti­gungs­frei­heit steht hier bei ei­ner er­laub­nis­freien Zulässig­keit des Sam­pling nur ein ge­ringfügi­ger Ein­griff in das Tonträger­her­stel­ler­recht der Kläger ohne er­heb­li­che wirt­schaft­li­che Nach­teile ge­genüber. Eine Ge­fahr von Ab­satzrückgängen für die Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens ist nicht er­sicht­lich.

Nach all­dem ha­ben die Ver­wer­tungs­in­ter­es­sen der Tonträger­her­stel­ler in der Abwägung mit den Nut­zungs­in­ter­es­sen für eine künst­le­ri­sche Betäti­gung zurück­zu­tre­ten. Das durch den BGH ein­geführte zusätz­li­che Kri­te­rium der feh­len­den gleich­wer­ti­gen Nach­spiel­bar­keit der über­nom­me­nen Se­quenz ist nicht ge­eig­net, einen verhält­nismäßigen Aus­gleich zwi­schen dem In­ter­esse an ei­ner un­ge­hin­der­ten künst­le­ri­schen Fort­ent­wick­lung und den Ei­gen­tums­in­ter­es­sen der Tonträger­pro­du­zen­ten her­zu­stel­len. Bei der er­neu­ten Ent­schei­dung kann der BGH die hin­rei­chende Berück­sich­ti­gung der Kunst­frei­heit im Rah­men ei­ner ent­spre­chen­den An­wen­dung von § 24 Abs. 1 UrhG si­cher­stel­len. Hier­auf ist er aber nicht be­schränkt. Eine ver­fas­sungs­kon­forme Rechts­an­wen­dung, die hier und in ver­gleich­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen eine Nut­zung von Ton­auf­nah­men zu Zwecken des Sam­pling ohne vor­he­rige Li­zen­zie­rung er­laubt, könnte etwa auch durch eine ein­schränkende Aus­le­gung von § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG er­reicht wer­den.

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