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Steuerberatung

Verzicht auf Steuerfreiheit: Insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot

BFH 12.6.2018, VII R 19/16

Da das Recht auf Vor­steu­er­ab­zug ma­te­ri­ell-recht­lich be­reits ent­steht, wenn die be­tref­fen­den Ge­genstände ge­lie­fert oder die Dienst­leis­tung er­bracht wird, kommt es für die in­sol­venz­recht­li­che Begründung des Er­stat­tungs­an­spruchs auf den Be­sitz der Rech­nung nicht an. Auf den Zeit­punkt der dem Vor­steu­er­ab­zug zu­grunde lie­gen­den Lie­fe­rung von Ge­genständen oder Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen ist auch dann ab­zu­stel­len, wenn der An­spruch auf Vor­steu­er­ab­zug auf einem Ver­zicht auf Steu­er­frei­heit nach § 9 UStG be­ruht.

Der Sach­ver­halt:

Über das Vermögen der A-GmbH war im Juni 2009 das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net wor­den. Der Kläger wurde zum In­sol­venz­ver­wal­ter be­stellt. Die GmbH war auf dem Ge­biet des Fahr­zeug­baus tätig ge­we­sen. Die not­wen­di­gen Be­triebs­an­la­gen (Grundstücke, Gebäude, Ma­schi­nen und Ein­rich­tungs­ge­genstände) wa­ren ihr im Rah­men ei­ner Be­triebs­auf­spal­tung von der KG ge­gen Zah­lung ei­nes pro­zen­tua­len An­teils des Roh­er­trags über­las­sen wor­den. Um­satz­steu­er­lich war man vom Vor­lie­gen ei­ner Or­gan­schaft i.S.d. § 2 Abs. 2 UStG aus­ge­gan­gen.

Im März 2009 hatte die KG ge­genüber dem Fi­nanz­amt gel­tend ge­macht, dass ent­ge­gen der bis­he­ri­gen An­nahme die Vor­aus­set­zun­gen für eine um­satz­steu­er­li­che Or­gan­schaft nicht vor­ge­le­gen hätten. Die Behörde war die­ser Auf­fas­sung letzt­lich ge­folgt. Im Juli 2011 stellte die KG dem Kläger eine Rech­nung aus, mit der sie erst­mals über die von ihr ge­genüber der GmbH er­brach­ten Pacht­leis­tun­gen für den Zeit­raum Ja­nuar 2006 bis Fe­bruar 2009 ab­rech­nete. Die Rech­nung wies Um­satz­steuer aus und wurde dem Kläger im Au­gust 2011 über­ge­ben.

Die dar­auf­hin vom Fi­nanz­amt im De­zem­ber 2012 geänderte Fest­set­zung der Um­satz­steuer-Vor­aus­zah­lung für Au­gust 2011 wies zu­guns­ten des Klägers einen Über­schuss aus. Die­ses Gut­ha­ben ver­rech­nete das Fi­nanz­amt am sel­ben Tag mit of­fe­nen Steu­er­for­de­run­gen ge­gen die GmbH aus Um­satz­steuer für die Jahre 2006 bis 2008. Ein Vergütungs­be­trag er­gab sich des­we­gen nicht mehr. Der Kläger be­an­tragte den­noch im De­zem­ber 2014 un­ter Be­ru­fung auf § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aus­zah­lung des Gut­ha­bens, was das Fi­nanz­amt ab­lehnte. Das FG gab der hier­ge­gen ge­rich­te­ten Klage statt. Auf die Re­vi­sion des Fi­nanz­am­tes hob der BFH das Ur­teil auf und wies die Klage ab.

Gründe:

Das FG ist rechts­feh­ler­haft zu dem Er­geb­nis ge­langt, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehe der Auf­rech­nung ent­ge­gen.

Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Auf­rech­nung un­zulässig, wenn ein In­sol­venzgläubi­ger erst nach der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens et­was zur In­sol­venz­masse schul­dig ge­wor­den ist. Ob ein In­sol­venzgläubi­ger be­reits vor Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens et­was zur In­sol­venz­masse schul­dig ge­wor­den ist, be­stimmt sich da­nach, ob der Tat­be­stand, der den be­tref­fen­den An­spruch begründet, nach den steu­er­recht­li­chen Vor­schrif­ten be­reits vor oder erst nach In­sol­ven­zeröff­nung vollständig ver­wirk­licht und da­mit ab­ge­schlos­sen ist. Ent­schei­dend ist, ob sämt­li­che ma­te­ri­ell-recht­li­chen Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen für die Ent­ste­hung ei­nes Er­stat­tungs­an­spruchs im Zeit­punkt der Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens be­reits erfüllt wa­ren.

Das Recht auf Vor­steu­er­ab­zug ent­steht ma­te­ri­ell-recht­lich, wenn die be­tref­fende Lie­fe­rung von Ge­genständen be­wirkt oder die Dienst­leis­tung er­bracht wird. Auf den Be­sitz der Rech­nung kommt es für die in­sol­venz­recht­li­che Begründung des Er­stat­tungs­an­spruchs nicht an. Denn das Recht auf Vor­steu­er­ab­zug ent­steht ma­te­ri­ell-recht­lich be­reits dann, wenn der An­spruch auf die ab­zieh­bare Steuer ent­steht. Dies ist der Zeit­punkt, zu dem die Lie­fe­rung von Ge­genständen be­wirkt oder die Dienst­leis­tung er­bracht wird. Der Rech­nungs­be­sitz ist dem­zu­folge eine nur for­melle, nicht aber eine ma­te­ri­elle Be­din­gung für die Ent­ste­hung des Rechts auf Vor­steu­er­ab­zug. Der Um­stand, dass der Be­sitz der Rech­nung eine ma­te­ri­elle An­spruchs­vor­aus­set­zung für die Ausübung des Rechts auf Vor­steu­er­ab­zug dar­stellt, ist da­her für die Frage nach dem Zeit­punkt der ma­te­ri­ell-recht­li­chen Ent­ste­hung die­ses An­spruchs un­er­heb­lich.

Auf den Zeit­punkt der dem Vor­steu­er­ab­zug zu­grunde lie­gen­den Lie­fe­rung von Ge­genständen oder Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen ist auch dann ab­zu­stel­len, wenn der An­spruch auf Vor­steu­er­ab­zug auf einem Ver­zicht auf die Steu­er­frei­heit nach § 9 UStG be­ruht; denn der Ver­zicht wirkt hin­sicht­lich der Ent­ste­hung des An­spruchs auf den Ver­an­la­gungs­zeit­raum zurück, in dem der Um­satz aus­geführt wurde. In die­sem Punkt un­ter­schei­det sich der Ver­zicht auf Steu­er­frei­heit nach § 9 UStG von ei­ner Be­rich­ti­gung des Steu­er­be­trags nach § 14c Abs. 1 S. 2 oder Abs. 2 S. 3 UStG; denn die Be­rich­ti­gung wirkt nicht auf den Zeit­punkt der Aus­stel­lung der Rech­nung zurück.

Im vor­lie­gen­den Fall hat der Kläger erst im Au­gust 2011 eine Rech­nung mit Um­satz­steu­er­aus­weis über die von der KG bis ein­schließlich Fe­bruar 2009 er­brach­ten Pacht­leis­tun­gen er­hal­ten. Mit die­ser Rech­nung hatte die KG die Pacht­leis­tun­gen als steu­er­pflich­tige Umsätze be­han­delt und dem­zu­folge auf die Steu­er­frei­heit der Pacht­leis­tun­gen ver­zich­tet. Der Ver­zicht auf die Steu­er­frei­heit be­wirkte rück­wir­kend, dass der Um­satz steu­er­pflich­tig ist. Auch wenn der Kläger sei­nen An­spruch erst mit dem Er­halt der Rech­nung gel­tend ma­chen konnte, änderte dies nichts an dem Um­stand, dass das Recht auf den Vor­steu­er­ab­zug ma­te­ri­ell-recht­lich be­reits zum Zeit­punkt der je­wei­li­gen Pacht­leis­tung ent­stan­den war, im Streit­fall also i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens, so dass die vom Fi­nanz­amt vor­ge­nom­mene Auf­rech­nung des Vor­steu­er­vergütungs­an­spruchs mit an­dere Steu­er­schul­den rechtmäßig war.

Link­hin­weis:

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